Trotz Freispruch Kachelmann-Anwalt rechnet mit Richtern ab
Mannheim - Die Hauptfigur schwieg: Nach seinem Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung hat Jörg Kachelmann das Landgericht Mannheim wortlos im BMW seiner Pflichtverteidigerin Andrea Combé verlassen. Die öffentlichen Kommentare übernahmen stattdessen andere - allen voran Johann Schwenn.
Der Kachelmann-Verteidiger polterte trotz des Freispruchs gegen das Gericht: Die Kammer hätte den Angeklagten "zu gerne verurteilt" und in ihrer Urteilsbegründung noch einmal "richtig nachgetreten", um "den Angeklagten maximal zu beschädigen", so Schwenn. Vor TV-Reportern sprach er von einem "befangenen Gericht" und einer "Erbärmlichkeit, die ihres Gleichen sucht in einem Gerichtssaal". Zuvor hatte der Vorsitzende Richter Michael Seidling Schwenn seinerseits scharf kritisiert. Dieser habe mehrfach in seinem Verhalten Anstand und Respekt vermissen lassen.
Das Landgericht Mannheim sah es als nicht erwiesen an, dass Kachelmann seine Ex-Freundin vergewaltigt hat. Keiner der Beweise "ist für sich gesehen geeignet, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen", sagte Seidling. Kachelmann sei deshalb nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" freizusprechen.

Spektakulärer Prozess: Der Fall Kachelmann
Das Gericht sei überzeugt, so Seidling, die juristisch richtige Entscheidung getroffen zu haben. Eine Befriedigung verspüre die Kammer jedoch nicht. "Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht - ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin."
Im Publikum gab es nach dem Richterspruch Applaus und Freudenschreie. Kachelmann nahm das Urteil zum Abschluss des neunmonatigen Prozesses regungslos zur Kenntnis. Seine 38-jährige Ex-Geliebte, die Hauptzeugin der Anklage, wischte sich am Ende der knapp einstündigen Urteilsverkündung Tränen aus den Augen.
"Fatale Signalwirkung"
Das Urteil wurde unmittelbar nach der Verkündung heftig diskutiert. Der Kachelmann-Prozess könnte eine "fatale Signalwirkung" entfalten, fürchtet die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Betroffene von sexualisierter Gewalt würden sich in Zukunft noch weniger trauen, Anzeige bei einer Vergewaltigung zu erheben, sagte Geschäftsführerin Christa Stolle. Terre des Femmes ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen.
Stolle kritisierte die Berichterstattung über den Prozess und die Vorverurteilung der Klägerin in Teilen der Öffentlichkeit. Außerdem werde gewalttätigen Männern nicht das Gefühl vermittelt, dass "übergriffiges Verhalten" gegenüber Frauen verwerflich sei. "Selbst eine moralische Ächtung durch die Öffentlichkeit ist kaum noch vorhanden, wenn sich Prominente für beschuldigte Männer öffentlich einsetzen", so Stolle.
Die Organisation wies darauf hin, dass in Deutschland nur der kleinste Teil aller Sexualstraftaten angezeigt werde - rund 8000 Anzeigen jährlich. Fast die Hälfte der Vergewaltigungsfälle geschehe in einer Partnerschaft. Grund der geringen Anzeigebereitschaft sei unter anderem die Schwierigkeit, Beziehungstaten nachzuweisen, Angst vor Reaktionen in der Familie oder die fehlende psychische und finanzielle Kraft, ein Gerichtsverfahren zu überstehen.
Auch der Opferhilfeverein Weißer Ring fürchtet negative Folgen des Kachelmann-Prozesses. "Das Verfahren mit seinen extremen Ausuferungen wird uns in unserer Arbeit behindern, weil viele Opfer davon abgehalten werden könnten, eine Vergewaltigung anzuzeigen", sagte Sprecher Veit Schiemann. Dass ein Freispruch nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" häufig "im Zweifel gegen das Opfer" bedeute, sei vielen Juristen nicht bewusst.
Schwarzer fordert Respekt für Kachelmanns Ex-Freundin
Frauenrechtlerin Alice Schwarzer stellte sich an die Seite von Kachelmanns Ex-Freundin. "Man muss auch Respekt vor dem möglichen Opfer haben", sagte Schwarzer, die den Vergewaltigungsprozess für die "Bild"-Zeitung begleitet hatte. Die Nebenklägerin habe "sehr überzeugend dargelegt, dass sie vielleicht die Wahrheit gesagt habe". Der Prozess habe gezeigt, dass Kachelmann "nicht nur diese Frau gezielt manipuliert hat". "Er kommt nicht ins Gefängnis, es bleibt alles offen", sagte Schwarzer.
Laut dem Urteil soll Kachelmann für seine Zeit in Untersuchungshaft entschädigt werden. Ob der Wettermoderator weitere Schritte einleitet, ist noch unklar. Seine Verteidigerin Combé sagte, man werde das weitere Vorgehen zu dritt mit Schwenn besprechen. Laut einer Mitteilung von Meteomedia wird Kachelmann ab sofort wieder für den Wetterdienst arbeiten.
Der Freispruch ist allerdings noch nicht rechtskräftig: Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Revision einlegen wird. Sie werde sich damit in der vorgeschriebenen Frist von einer Woche befassen, sagte ein Sprecher. Die Anklage hatte bis zuletzt an ihrem Vorwurf festgehalten und eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten gefordert.