Türck-Freispruch Der völlig unnötige Prozess

Das Strafverfahren gegen TV-Moderator Andreas Türck hätte nie eröffnet werden dürfen. Was bleibt, ist eine blamierte Staatsanwaltschaft, ein Gericht, das sich aus der Verantwortung ziehen will - und ein Freigesprochener, dessen Ruf ruiniert ist.

Frankfurt am Main - Freispruch - und doch kein Grund zum Jubeln: Der ehemalige Fernsehmoderator Andreas Türck ist, wie sogar von der Staatsanwaltschaft beantragt, freigesprochen worden, weil die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichten. Er könnte damit zufrieden sein. Doch ist er es?

Wer weiß, dass er nichts Strafbares getan hat, dem genügt ein solcher Spruch meist nicht. Er hofft auf Rehabilitierung, auf die Wiederherstellung seines guten Rufes, auf Wiedergutmachung des Schadens, der ihm durch Verdacht, Ermittlungen, Anklage und zuletzt die Hauptverhandlung zugefügt wurde. Er hofft auf die Tilgung des Makels, der ihm seit der Berührung mit der Strafjustiz anhaftet.

Eine unerfüllbare Hoffnung, vor allem, wenn eine Person angeklagt wurde, die in der Öffentlichkeit steht. Sie hofft, dass ihr vor dieser Öffentlichkeit, die sie zunächst auf der Anklagebank wahrgenommen hatte, wenigstens Genugtuung widerfährt durch eine entsprechende Urteilsbegründung. Dass der Freispruch auch wie ein Freispruch klingt.

Dürftige Beweise

Doch auch diese Hoffnung hat sich für Andreas Türck nicht erfüllt. Nicht nur, dass die mündliche Urteilsbegründung durch die Vorsitzende der 27. Strafkammer des Landgerichts, Bärbel Stock, nicht so eindeutig war, wie sie sich ein zu Unrecht Angeklagter wünscht - es schwang immer wieder ein leiser Ton des Bedauerns mit, dass man nicht hatte verurteilen können. Sondern die Vorsitzende enthielt sich auch - fast - jeder Kritik an der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren mit staunenswertem Eifer vorangetrieben hatte. Fast: "Man kann durchaus diskutieren, ob im Zwischenverfahren nicht schon mehr hätte geklärt werden können", sagte die Vorsitzende. Das war's an Kritik.

Von einem Schulterschluss mit der Staatsanwaltschaft zu sprechen liegt nahe. Denn nicht grundlos lautet eine der Fragen, die nicht oder nur schwer zu beantworten sind: Warum hat die Staatsanwaltschaft überhaupt angeklagt, wenn doch die Beweise so dürftig waren?

Die Vorsitzende zählte zu den "gewichtigen Indizien", die zunächst "nach Aktenlage" für eine Anklageerhebung sprachen, die "zeitnahen Angaben von Katharina B. gegenüber Dritten", ihre Weigerung, Anzeige zu erstatten, und den Mangel an Motivation für eine Falschaussage. Sie zählte auch das Gutachten dazu, dass die psychologische Sachverständige Edda Gräfe zur Glaubhaftigkeit der Aussage des angeblichen Opfers Katharina B. angefertigt hatte. Das aber nun verstehe, wer will.

Gutachten unbrauchbar im Sinne der Anklage

Denn Gräfe hatte sehr frühzeitig im Ermittlungsverfahren unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht, dass "die Aussagezuverlässigkeit" von Katharina B. "massiv eingeschränkt" sei. Dass ihre Angaben zum angeblichen Tatgeschehen - gewaltsam erzwungener Oralverkehr mit Andreas Türck auf der Frankfurter Honsell-Brücke in der Nacht vom 24. auf den 25. August 2001 - "gravierende Mängel in Quantität und Qualität" aufwiesen. Dass "eine Erlebnisfundiertheit" nicht bestätigt werden könne und so fort. Gräfes Befund einer wohl "unbewussten Falschaussage" der jungen Frau war alles andere als ein Indiz für Türcks Täterschaft.

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft webt inzwischen an der Legende, Gräfes schriftliches Gutachten sei "unbrauchbar" gewesen. "Hätte sich die Dame vorher so konkret geäußert wie in der Verhandlung, wäre es wohl zu keiner Anklage gekommen", so der Leitende Frankfurter Oberstaatsanwalt Hubert Harth am 7. September in der "Bild"-Zeitung.

Unbrauchbar wozu? Für eine Verurteilung? Gräfe wehrt sich mittlerweile gegen solche Anwürfe. Sie legt offen, dass sie in vielen Telefonaten ihre Einschätzung von Katharina B.s Aussage der Staatsanwaltschaft mitgeteilt habe; dass sie daraufhin vom ermittelnden Staatsanwalt aufgefordert wurde, sich mit der Frage einer möglichen Traumatisierung Katharina B.s und deren eventuellen Folgen auseinanderzusetzen - offenbar in der Hoffnung, die mangelnde "Qualität und Quantität" der Aussage damit zu erklären. Und die Anklage zu retten.

"Grauzone menschlicher Begegnungen"

Die Psychologin wies in einem "Exkurs" auf den renommierten Berliner Psychologen Max Steller hin, der als Experte für derlei Fragen gilt. Warum hat die Staatsanwaltschaft nicht bei ihm nachgefragt? Gräfe hat auch auf die Notwendigkeit eines medizinischen Gutachtens bezüglich der Alkoholisierung und des vermuteten Drogenkonsums von Katharina B. hingewiesen. Warum wurde die Staatsanwaltschaft nicht tätig?

Die Vorsitzende Richterin wich all diesen Fragen aus und erklärte, dass sich gerade bei Sexualdelikten - "dieser Grauzone menschlicher Begegnungen" - vieles erst in der Hauptverhandlung kläre. Das ist sicher richtig. Doch manchmal liegt das Kind dann schon im Brunnen.

Richterin Stock scholt die Verteidigung, weil sie Protokolle von Telefongesprächen verlesen ließ, die ein eindrucksvolles Bild von Katharina B.s Umfeld und Umgang abgaben. Die Vorsitzende: "Die Verlesung dieser Protokolle waren weder für den Freispruch noch für eine Verurteilung nötig. Sie diente nur dazu, die Nebenklägerin möglichst übel beleumundet dastehen zu lassen."

Ist es völlig egal zu wissen, in welchem Milieu sich eine angeklagte Tat ereignet hat? Ist es egal zu wissen, dass sich die angeblich Geschädigte zur Tatzeit und unmittelbar davor schon in einem höchst desolaten körperlichen und seelischen Zustand befand, der den angeblichen Tatfolgen bis ins Detail ähnelte? Hätten die Zeugen ohne Vorhalte aus jenen Protokollen über Rauschgiftkonsum, Alkohol und Tabletten und so fort gesprochen?

Die Hölle der Katharina B.

Das Gericht bezeichnete Zeuginnen aus dem Partymilieu als glaubwürdig, die bekundeten, mit Katharina B. sei "etwas Schlimmes passiert". Andere, die von "aufreizendem, sexualisiertem Verhalten" der angeblich Geschädigten sprachen, fanden keinen Glauben. Da war manches für den Beobachter, der die gesamte Hauptverhandlung verfolgt hat, nicht recht nachvollziehbar.

In einem Punkt ist der Kammer uneingeschränkt zuzustimmen. "Das Gericht versteht noch immer nicht, wer der Nebenklägerin zur ständigen Anwesenheit in der Hauptverhandlung geraten hat", sagte Richterin Stock. In der Tat: Katharina B. muss die Hölle durchlitten haben. Alles ist nun über sie bekannt, und sie musste es sich anhören: ihre Essstörungen, ihre Selbstverletzungen, der schnelle Sex, ein Selbstmordversuch, ihre körperlichen und seelischen Zusammenbrüche, ihre Neigung, sich als Opfer darzustellen und entsprechende Geschichten zu erfinden, ihr Bestreben, Zuwendung und Aufmerksamkeit zu bekommen, ihr bewusstes oder manchmal vielleicht auch unbewusstes Lügen und was es da noch alles gibt.

Wer eine so labile und beschädigte junge Frau wie Katharina B. einer solchen Tortur ohne Not aussetzt, handelt in höchstem Maße verantwortungslos. Ihre Anwältin hätte sie davor schützen können und müssen. Die Vorsitzende appellierte am Schluss an die Medien, die sich ihrer "gigantischen Macht" bewusst sein sollten. Die Medien jedoch haben das Verfahren nicht in Gang gesetzt und nicht betrieben. Sie haben nicht angeklagt und den Prozess auch nicht entschieden. Sie haben, gewiss in unterschiedlicher Qualität, darüber berichtet. Die Urheber des angerichteten Unheils sind andere.

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