TV-Geständnis "Die kriegen mich nicht"

Es ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Niederlande: Seit fast drei Jahren wird Natalee Holloway vermisst und ein junger Mann verdächtigt, ihr etwas angetan zu haben. Jetzt hat Joran van der Sloot vor versteckten Fernsehkameras eine schreckliche Tat beschrieben.
Von Anne Huschka

Amsterdam - Ihre Spur verliert sich am Strand von Aruba: Seit dem 30. Mai 2005 ist Natalee Holloway verschwunden. Die damals 18-jährige US-Amerikanerin war mit fünf Freunden auf die Urlaubsinsel geflogen. Am letzten Abend, nach viel Alkohol, verließ sie gegen 1.30 Uhr den Nachtclub Carlos 'n' Charlie's und ließ sich mit dem seinerzeit 17-jährigen Joran van der Sloot an einem menschenleeren Strand absetzen. Seitdem gibt es keine Spur mehr von ihr.

Aufwendige Suchaktionen - die Niederlande schickten drei Düsenjäger in das Urlaubsparadies - und eine Belohnung von bis zu einer Million Dollar trugen wenig zur Lösung des Falles bei. Zweimal, 2005 und 2007, wurde Joran van der Sloot unter Tatverdacht festgenommen. Er verstrickte sich in Lügen: Zuerst gab er an, Holloway in ihr Hotel zurückgebracht zu haben. Auf den Bändern der Überwachungskameras des Holiday Inn ist das allerdings nicht zu sehen.

Dann sagte er, das Mädchen auf eigenen Wunsch allein am Strand zurückgelassen zu haben. Dies sei ihm unangenehm gewesen, deshalb habe er zuvor eine anderslautende Aussage gemacht. Auf Rat seines Vaters, selbst Jurist, schwieg von der Sloot in den weiteren Befragungen eisern.

Mysteriöser Fall ohne Leiche

Fakt ist, dass van der Sloot, der mit seinen Eltern auf Aruba wohnte, gegen 3 Uhr zu Hause war, denn Spuren belegen, dass er wenig später im Internet surfte. In anderthalb Stunden ein Techtelmechtel am Strand, einen Mord begehen und die Leiche verschwinden lassen? Der Fall wirft seitdem zahlreiche Fragen auf und beschäftigte die Presse in den Niederlanden, den USA und auf Aruba ausgiebig.

Ein mysteriöser Fall ohne Leiche, ein lügender Tatverdächtiger und keine eindeutige Spur, dafür viel Aufmerksamkeit - das ist ein Fall für Peter Rudolf de Vries. Der 51-Jährige hat sich als "Kriminaljournalist" einen Namen gemacht und eine eigene Show beim Privatsender SBS 6: "Peter R. de Vries, Kriminaljournalist. Die Sendung, die untersucht, demaskiert, anklagt und verteidigt." Er konnte einen der Entführer von Brauereidirektor Freddy Heineken ausfindig machen. Auch wies de Vries nach, dass die Braut des niederländischen Prinzen Johan Friso, Mabel Wisse Smit, eine Beziehung zu einer Amsterdamer Unterweltgröße hatte. Johan Friso verlor daraufhin seinen Rang in der niederländischen Thronfolge.

Nun also "Der Fall Holloway". De Vries konzentrierte sich von Anfang an auf Joran van der Sloot. Bereits im November 2006 beschuldigte er van der Sloot in seiner Sendung der Mitschuld am Verschwinden des Mädchens - ohne handfeste Beweise. Dann der anscheinende Glücksfall: Patrick van der Eem, ein auf Aruba geborener, in den Niederlanden lebender Unternehmer, bietet dem Journalisten seine Dienste an. Van der Eem habe van der Sloot im Casino von Nijmegen kennen gelernt und dessen Vertrauen gewonnen, weil er "auch die Sprache der Straße spricht", so de Vries in seiner Sendung. Der 34 Jahre alte Lockvogel gab sich als zwielichtiger Kumpel aus und imponierte so seinem jüngeren "Freund".

"Einzigartige versteckte Kamera-Aktion"

25.000 Euro sind nach de Vries’ Angaben für das geflossen, was er seit Donnerstag als "einzigartige versteckte Kamera-Aktion" bewarb: Ein mit Kameras und Mikrofonen ausgestatteter Geländewagen, mit dem der Lockvogel seinen jungen Freund zu Spritztouren abholte. Ende 2007 begannen die entlarvenden Ausfahrten mit van der Sloot, der sich völlig in Sicherheit wähnte.

Nachdem die Ermittlungen gegen ihn endgültig eingestellt schienen, trat van der Sloot mit seinen Eltern am 10. Januar zum "abschließenden" Interview in einer großen Abendtalkshow auf. Auch Peter R. de Vries war geladen und konfrontierte den äußerlich gelassenen van der Sloot erneut mit seinen Lügen. Nach Ende der Sendung passierte das, was landesweit als "Wein-Vorfall" Schlagzeilen machte. Völlig überraschend schüttete van der Sloot seinem Verfolger Rotwein ins Gesicht.

Schon einen Tag danach traf sich der Lockvogel mit van der Sloot, der nach und nach Details des 30. Mai preisgab und mehrfach gestand, tief in das Verschwinden Holloways verstrickt zu sein. Die Nachricht, dass der für unlösbar gehaltene Fall gelöst sei, schlug in den Niederlanden ein wie eine Bombe. Doch bis zur Ausstrahlung des "exklusiven" Materials in seiner Sendung streute Peter de Vries nur häppchenweise Informationen. "In meiner zweistündigen Sondersendung werden alle Fragen beantwortet", betete er in allen Berichten vor. Am Sonntagabend, gleich nach dem Quotenrenner "Bauer sucht Frau".

"Dann hat sie angefangen, zu zittern"

Zum Beweis, dass es sich bei seiner Recherche um "Weltnachrichten" handle, wurden US-Nachrichtensendungen über den Fall eingeblendet. Danach folgten die detaillierten Aussagen van der Sloots: Er habe mit der betrunkenen Holloway am Strand gelegen, sie hätten sich geküsst und gefummelt, dann sollte sie ihn oral befriedigen. "Dann hat sie angefangen, zu zittern", wenig später sei sie leblos gewesen. "Ich dachte: Scheiße! Und hab sie geschüttelt, geschüttelt."

Auf Nachfrage kann er nicht sicher sagen, dass Holloway tot gewesen sei. Dann habe er einen Freund, "Daury", angerufen, der ein Boot besitze. Dieser habe die Leiche hinausgefahren und über Bord geworfen, während er selbst nach Hause gelaufen sei und sich an den Computer gesetzt habe. Ganz bewusst habe er Spuren im Internet hinterlassen und sei am nächsten Tag wie gewohnt zur Schule gegangen.

Eins ist gewiss: Die Kamera-Aufzeichnungen entlarven Joran van der Sloot als gewissenlosen Aufschneider. "Ich habe nicht eine Nacht wach gelegen deswegen", die Behörden seien "so dumm. Die kriegen mich nicht", prahlt er grinsend, während er sich einen Joint nach dem anderen ansteckt. Seinen Freund "Daury" hätte die Polizei nicht einmal befragt. Er bezeichnet Holloway als "Hure" und brüstet sich damit, dass er die Schlagzeilen gegen ihn "missbraucht" und "einen fetten Schadensersatz kassieren" will.

"Die Hölle auf Erden"

Mit diesem Material konfrontierte de Vries die eigens aus den USA eingeflogene Mutter Natalee Holloways, Beth Twitty. Die Reaktion der geschockten Mutter wurde gleich im Anschluss an die Autoverhöre präsentiert. Millionen Zuschauer konnten Twittys Racheschwur auf dem Bildschirm erleben: "Ich dachte, das Leben von Joran wäre bereits die Hölle auf Erden, aber es fängt jetzt erst an, es fängt jetzt erst an", murmelt die blonde Frau in die Kamera, während sie ihre Hände reibt. "Er ist es nicht wert, auf dieser Erde zu leben." Peter R. de Vries, im roten Ledersessel neben ihr sitzend, pflichtet der fassungslosen Amerikanerin bei.

Das Ergebnis: Quotenrekord für die Sondersendung. Mit sieben Millionen Zuschauern erreichte de Vries so viele Menschen, wie sonst nur die Fußballnationalmannschaft zur WM. Doch viele Fragen bleiben offen. Vor allem: Wie viel Wahrheit steckt in den Aussagen des Mannes, der diese noch vor der Ausstrahlung als "gelogen" und "große Dummheit" bezeichnete? Er habe seinem Freund imponieren wollen und erzählt, was dieser wohl hören wollte.

Joran von der Sloot hat sich bereits mehrfach in Lügen verstrickt, seine Glaubwürdigkeit hat gelitten. Gibt es diesen Freund "Daury" wirklich, ist es eine Person oder mehrere und wer verbirgt sich dahinter? Was war die Ursache für den Tod Natalees - und war sie überhaupt tot, als sie ins Meer geworfen wurde? Wurde sie überhaupt ins Meer geworfen? Und vor allem: Wie verwertbar sind die versteckten Aufnahmen für weitere Ermittlungen?

Eine weitere Voruntersuchung wurde eröffnet, aber einen Haftbefehl gegen den mittlerweile untergetauchten van der Sloot gibt es nicht. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft "könnte diese Version der Fakten nah an die Wahrheit kommen", sei aber nach Ansicht des arubanischen Untersuchungsrichters nicht ausreichend für eine Untersuchungshaft.

Sicher ist: Heute um 16.25 Uhr wird die quotenträchtige Ausstrahlung wiederholt, ab 18 Uhr gibt es Specials zum Umfeld und zu den internationalen Reaktionen auf die "Weltnachrichten". Die Rechte für die Ausstrahlung in den USA hat sich ABC gesichert.

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