Überfall auf Anti-Neonazi-Demonstranten "Jagdszenen auf der Autobahnraststätte"

Zufallsbegegnung mit blutigem Ausgang: Auf dem Autobahnrastplatz Teufelstal bei Jena trafen drei Reisebusse zur gleichen Zeit ein - in zweien saßen Teilnehmer der Anti-Neonazi-Demo von Dresden, im dritten 41 Rechtsextremisten. Erst pöbelten die nur. Dann schlugen sie zu.

Jena/Kassel - Es geschah ein paar Kilometer östlich von Jena. Die zwei Busse kamen aus Dresden, von der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch. Es war gegen halb acht Uhr am Samstagabend, die Mitglieder von DGB und Linkspartei aus Nordhessen wollten Pause machen.

Anti-Neonazi-Demo "Geh Denken!" in Dresden (am Samstag): "Wer der zunehmenden rechten Gewalt tatenlos zusieht, macht sich indirekt mitverantwortlich"

Anti-Neonazi-Demo "Geh Denken!" in Dresden (am Samstag): "Wer der zunehmenden rechten Gewalt tatenlos zusieht, macht sich indirekt mitverantwortlich"

Foto: DDP

Dann rollte nach Polizeiangaben ein weiterer Bus auf den Parkplatz. Darin: 41 Rechtsextremisten aus Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schweden. Eine fatale Zufallsbegegnung.

Erst pöbelten die Rechtsextremen. Dann schlugen sie zu.

"Die Neonazis haben unsere zwei Busse aus Nordhessen mit den Worten 'Attack Antifa' mit Flaschen und einem mehrere Kilogramm schweren Eisklotz angegriffen", wird ein DGB'ler von der Nachrichtenagentur AP zitiert. Ein Kollege habe sich bei dem Angriff mehrerer Rechtsextremisten nicht mehr in den Bus retten können.

Er sei so lange gegen Kopf und Oberkörper getreten worden, bis er sich nicht mehr gerührt habe. Im Uni-Klinikum Jena sei später ein Schädelbruch festgestellt worden, der am Montag operiert werden solle. Der aus der Nähe des nordhessischen Schwalmstadt stammende Mann sei Mitglied der Gewerkschaft IG Bau, Agrar und Umwelt. Bei dem Angriff sei eine weitere Person aus einem anderen Bus aus dem Ruhrgebiet ebenfalls schwer verletzt worden.

Drei Demonstrationsteilnehmern schlugen die Neonazis laut DGB ins Gesicht. Ein Sprecher der hessischen Linkspartei erklärte, auch Mitglieder seiner Partei seien darunter gewesen.

Die zuständige Polizeidirektion Jena erklärte per Pressemitteilung, insgesamt fünf der Angegriffenen seien "leicht verletzt an Oberkörper und Gesicht". Zwei von ihnen seien im Klinikum Jena ambulant behandelt worden, "die anderen wurden durch herbeigerufene Rettungskräfte vor Ort versorgt". Meldungen über einen Schädelbruch bestätigte er nicht.

Linkspartei erhebt Vorwürfe gegen Polizei

"Beim Eintreffen der Beamten an der Raststätte hatte der Bus diese bereits verlassen. Er konnte etwa 15 Kilometer weiter in Höhe von Jena gestoppt werden", so ein Polizeisprecher. Die Neonazis seien zwischen 14 und 55 Jahre alt, einige von ihnen wegen rechtsextremistischer Aktivitäten polizeibekannt. Der Bus soll im saarländischen Homburg zugelassen sein. Gegen alle Insassen werde wegen Landfriedensbruchs ermittelt. Die weiteren Ermittlungen wurden der Jenaer Kriminalpolizei übertragen, die eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Staatsschutzes gebildet hat.

Thüringens Linkspartei-Spitzenkandidat Bodo Ramelow berichtete über seinen Kontakt zu den Attackierten: "Teilnehmer haben mir von schlimmen Jagdszenen berichtet, die sich am Samstagabend auf der Autobahnraststätte abgespielt haben. Hier haben die Neonazis ihr wahres Gesicht und ihre Gewaltbereitschaft gezeigt." Ramelow warf der Polizei und den Sicherheitsbehörden Versagen vor. "Es ist unverständlich, wie die Abreise dieser gefährlichen Schläger von der Polizei unbeobachtet erfolgen konnte. Es war klar, dass die Fahrt durch Thüringen führt." Er kündigte deshalb eine Untersuchung im thüringischen Landtag an.

Auch die hessische Linkspartei reagierte: "Die immer häufiger und brutaler werdenden Gewalttaten von Neonazis erschrecken mich", so Linke-Chef Ulrich Wilken. Er fordere alle Verantwortlichen auf, "endlich wirksam gegen die Neonazi-Szene vorzugehen". Wilken weiter: "Wer der zunehmenden rechten Gewalt tatenlos zusieht, macht sich indirekt mitverantwortlich." Der DGB Dresden als Mitveranstalter der Demonstration "Geh Denken" nannte den Überfall einen Gewaltakt von erschreckendem Ausmaß.

In Dresden hatten am Samstag mehr als 10.000 Menschen mit Sternmärschen und Kundgebungen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Sie erinnerten damit auch an die Zerstörung der Stadt bei Angriffen britischer und amerikanischer Bomben am 13. und 14. Februar 1945. Der Protest wandte sich gegen einen Aufmarsch von etwa 6000 Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland. Die Rechtsextremisten instrumentalisieren seit langem den Jahrestag der Bombardierung Dresdens Ende des Zweiten Weltkrieges.

Auch bundespolitische Prominenz wie SPD-Chef Franz Müntefering, Grünen-Vorsitzende Claudia Roth und der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, reihten sich in die Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch ein. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte zum Auftakt: "Es ist gut, dass hier so viele Menschen stehen und Flagge zeigen. Wir müssen die Antidemokraten heute und an jedem anderen Tag in die Schranken weisen."

"Die Opfer haben ein würdiges Andenken verdient und keine Vereinnahmung durch rechtsextreme Propaganda", sagte Roth. Gysi verlangte ein Verbot der rechtsextremen NPD, die an vorderer Stelle am Nazi-Aufmarsch teilnahm. Müntefering sagte: "Keine Toleranz gegenüber Intoleranten. Das gehört zur wehrhaften Demokratie auch mit dazu."

sef/dpa/AP

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