Urteil im Berliner Goldmünzenprozess Der Coup ihres Lebens

Vor dem Landgericht: Zwei der Angeklagten sitzen zwischen ihren Verteidigern im Gerichtssaal
Foto: Paul Zinken/ dpaEs ist eine Tat, die auch eine Vorsitzende Richterin zu Superlativen verleitet. In der Nacht zum 27. März 2017 stahlen Diebe eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum. Die Münze besteht zu 99,999 Prozent aus Gold, ihr Materialwert soll zur Tatzeit bei 3,3 Millionen Euro gelegen haben. Nur fünf Exemplare dieser Riesenmünze gibt oder gab es auf der Welt. Diesen Schatz zu stehlen, erfordere "Dreistigkeit, Mut und Risikobereitschaft ganz besonderer Güte", sagt Richterin Dorothee Prüfer. Sie spricht von "hochprofessionellem Vorgehen" und dem "Coup des Lebens".
Die 9. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin hat am Donnerstag Wissam Remmo, Ahmed Remmo und Denis W. wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall verurteilt. Denis W. soll für drei Jahre und vier Monate ins Gefängnis, Wissam und Ahmed Remmo für vier Jahre und sechs Monate. Die Kammer hat bei allen drei Angeklagten das Jugendstrafrecht angewandt. Denis W. war zur Tatzeit 18, Wissam 20 und Ahmed 19 Jahre alt. Den vierten Angeklagten, Wayci Remmo, hat das Gericht freigesprochen.

Die kanadische Münze mit dem Bild von Königin Elizabeth II. war die Leihgabe eines Privatmanns
Foto: Heinz-Peter Bader / REUTERSAhmed und Wayci Remmo sind Brüder, ihre Eltern kommen aus dem Libanon, Wissam Remmo ist ihr Cousin. "Sie entstammen einer sogenannten Großfamilie, von der einige durch Straftaten auffällig geworden sind", sagt Richterin Prüfer. Auch Ahmed und Wissam Remmo sind seit ihrer Jugend wiederholt straffällig geworden. Der eine wurde zuletzt wegen Körperverletzung, der andere wegen Einbruchs rechtskräftig verurteilt. Auch Denis W. ist bereits aufgefallen. Er schraubte fremde Nummernschilder an ein Auto, tankte und fuhr weg, ohne zu bezahlen.
Seit 2010 war die Riesenmünze im Bode-Museum zu sehen. Sie war die Leihgabe eines Privatmannes. Am 28. März 2017 sollte die Münze für dreieinhalb Monate in einer anderen Ausstellung in Berlin gezeigt werden. Naheliegend, dass die Diebe davon wussten. Aus Sicht des Gerichts nutzten sie am 27. März 2017 zwischen 3.20 und 3.50 Uhr ihre vorerst letzte Chance, um die Goldmünze zu stehlen.
Wer waren die Täter?
"Wer waren die Täter?", fragt die Richterin nun im Saal 500 des Kriminalgerichts. Ihre Antwort: "Die Münze ist bei der Familie Remmo, das steht fest." Davon zeugten Goldspuren, Goldpartikel und Goldspäne in Wohnungen, Fahrzeugen und an Kleidung der Familie. Sie sagt auch: "Wir gehen sicher davon aus, dass die Goldmünze zerteilt worden ist." Vermutlich sei sie stückweise eingeschmolzen, dann verkauft oder versteckt worden.
"Das Vorgehen der Täter konnte gut rekonstruiert werden", sagt Prüfer. Denn sie hinterließen vor und im Museum Spuren und Einbruchswerkzeug. Die Ermittler fanden eine Leiter, ein Seil, eine zerschlagene Glasvitrine, ein Rollbrett, eine Schubkarre, den Stiel einer Axt, Türkeile. Sie fanden auch Aufnahmen aus Überwachungskameras.
Demnach gelangten die Diebe vom nahen S-Bahnhof Hackescher Markt über die Gleise zum Museum und durch das Fenster eines Umkleideraums ins Museum hinein. Vor dem Fenster war eine Sicherheitsscheibe montiert. Nach Überzeugung der Richterinnen und Richter ging das Glas bereits am 21. März zu Bruch. Richterin Prüfer spricht von einer "Generalprobe". Die Täter hätten wenige Tage vor dem Diebstahl getestet, ob die Scheibe alarmgesichert sei. War sie nicht. Das Glas zersplitterte, ohne dass der Alarm losging.

Nach dem Urteil: Einer der Angeklagten verlässt in Begleitung eines Justizbeamten nach dem Prozess das Gerichtsgebäude
Foto: Paul Zinken/ dpaEiner der Diebe sei Ahmed Remmo gewesen. An Kleidungsstücken fanden die Ermittler Goldspäne, an einem Zettel mit Notizen, die das Gericht als Notizen zur Aufteilung der Beute deutet, sind seine Fingerabdrücke.
DNA von Wissam Remmo fand sich am Seil, das die Diebe am Tatort zurückließen. An einem Handschuh aus seiner Wohnung hafteten Glas- und Goldsplitter. Die Glassplitter passen zu der Vitrine, in der die Münze ausgestellt worden war. Eine Person, die auf einem der Videos der Überwachungskameras zu sehen ist, hat eine ebenso markante Gangart wie er.
Nach Überzeugung des Gerichts sind auf den Aufnahmen Ahmed und Wissam Remmo zu sehen. Zu sehen ist noch eine dritte, unbekannte Person.
Die Richterinnen und Richter gehen von insgesamt mindestens zwei weiteren Tätern aus, "die wir nicht kennen". Ob Wayci Remmo dazu gehört, hat die Kammer nicht feststellen können. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn vorwiegend aufgrund eines digitalforensischen Gutachtens angeklagt. "Dieses Gutachten überzeugt nicht", stellt das Gericht nun fest. Wie die Verteidigung zweifelt auch das Gericht an der Wissenschaftlichkeit des Vorgehens des Sachverständigen.
Die "Achillesferse im Museum"
"Aber wie kamen Mitglieder der Familie Remmo auf die Idee, in ein Museum einzubrechen?", fragt Prüfer. Das Gericht geht davon aus, dass es Denis W. war, der der Familie zu diesem Millionencoup verholfen hat. Er sei es gewesen, der um den Schatz im Museum und die Schwachstelle im Sicherheitssystem wusste.
"Es gab nur eine Achillesferse im Museum", sagt die Richterin, "das Fenster in der Umkleide." Das Fenster war nicht ins Alarmsystem eingebunden. "Das muss man erst mal wissen. Dafür braucht man Insiderwissen." Und dieser Insider sei Denis W. gewesen. "Er ist das Bindeglied zur Familie Remmo." Denis W. und Ahmed Remmo kennen sich aus der Schule, sie sind befreundet, fahren zusammen in den Urlaub. "Er ist wie ein Bruder."
Denis W. hatte wenige Tage vor der Tat angefangen, im Museum als Aufseher zu arbeiten. Er kannte die Räume, habe das Fenster als Schwachstelle erkannt und den Plan ausgetüftelt. In der Tatnacht selbst war er nicht im Museum. Nach Erkenntnis des Gerichts soll er jedoch das Fenster präpariert haben, um den Remmos den Einstieg zu ermöglichen. "Denis W. sollte die Münze bewachen, stattdessen verrät er alle Details und öffnet das Fenster", sagt die Richterin.
Die Kammer geht davon aus, dass er von Familie Remmo für seine Tatmitwirkung mindestens 100.000 Euro erhalten hat. Denn nach der Tat habe er offenbar plötzlich Geld gehabt. Er interessierte sich für Immobilien und teure Autos. "Dafür gibt es sonst keine Erklärung." Die Verteidigung hatte versucht, die Großmutter von Denis W. als Quelle des Geldes darzustellen. "Das überzeugt uns nicht."
Keine Fluchtgefahr?
Die Kammer hat entsprechend dem Goldwert der Münze die Einziehung von 3,3 Millionen Euro bei Ahmed und Wissam Remmo angeordnet. Bei Denis W. sollen - seinem Anteil der Beute entsprechend – 100.000 Euro abgeschöpft werden.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung prüfen, ob sie Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung aller vier Angeklagter nach Erwachsenen-, nicht nach Jugendstrafrecht gefordert, die Verteidigung Freispruch beantragt. Bis zur Rechtskraft des Urteils bleiben Wissam Remmo, Ahmed Remmo und Denis W. in Freiheit. "Wir vertrauen darauf, dass keine Fluchtgefahr besteht", sagt die Richterin.