
Rassistisches Verbrechen: Der Fall Stephen Lawrence
Urteil im Lawrence-Prozess 15 Jahre für einen Mord aus Hass
Die Strafe kam mit 18 Jahren Verspätung, aber sie fiel deutlich aus. Die beiden Mörder des jungen Schwarzen Stephen Lawrence sind am Mittwoch von einem Londoner Richter zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Gary Dobson, 36, muss für mindestens 15 Jahre und 2 Monate hinter Gitter, sein Kumpan David Norris, 35, erhielt mindestens 14 Jahre und 3 Monate.
"Schande über Euch alle", rief Dobsons Vater von den Zuschauerbänken im Gericht nach der Verkündung des Strafmaßes. Die Mutter des Opfers, Doreen Lawrence, hingegen zeigte sich zufrieden, dass der Mord endlich gesühnt wurde. "Dies ist, hoffe ich, der Beginn eines neuen Lebens."
Auf Mord steht eine Mindesthaftzeit von zwölf Jahren, doch Richter Colman Maurice Treacy entschied, das Strafmaß im Fall der Angeklagten zu erhöhen. Er begründete dies damit, dass die beiden Täter Mitglieder einer "rassistischen Verbrecherbande" gewesen seien. Strafmindernd wirkte sich der Umstand aus, dass die beiden Verurteilten zum Tatzeitpunkt erst 16 und 17 Jahre alt waren. Der Richter musste das damals gültige Jugendstrafrecht anwenden.
Dobson und Norris könnten das Verbrechen aufklären
Dobson und Norris waren Teil einer Gruppe von insgesamt fünf weißen Jugendlichen, die am Abend des 22. April 1993 den schwarzen Schüler Stephen Lawrence an einer Bushaltestelle im Südlondoner Stadtteil Eltham erstachen. Der Richter sah es als erwiesen an, dass die Gruppe gemeinsam und aus rassistischen Motiven handelte. Es spiele keine Rolle, ob einer der beiden Verurteilten die Tatwaffe in der Hand gehalten habe, sagte Treacy. Der Täter habe im Namen der gesamten Gruppe gehandelt. Am Dienstag hatte bereits eine Jury Dobson und Norris des Mordes für schuldig gesprochen, nachdem DNA-Analysen die Anwesenheit der beiden am Tatort bewiesen hatten.
Die anderen drei Täter sind weiter auf freiem Fuß. Die Polizei hat zu wenig in der Hand, um ihnen eine Mittäterschaft nachzuweisen. Die einzige Hoffnung der Ermittler besteht darin, dass die beiden Verurteilten ihr Schweigen brechen und ihre Komplizen belasten. Stephens Vater Neville Lawrence appellierte nach der Urteilsverkündung erneut an Dobson und Norris, endlich auszusagen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden reden, wird jedoch als gering eingeschätzt. Weder Dobson noch Norris haben in all den Jahren Reue gezeigt. Auch am Mittwoch beharrten sie auf ihrer Unschuld. So bleiben auch nach dem Urteil viele Fragen offen.
Die Antriebsfeder: Die Eltern des Getöteten
Britische Kommentatoren und Politiker aller Parteien sind sich jedoch einig, dass der Lawrence-Fall ein Meilenstein in der Geschichte des Landes ist. Kein anderer Fall in der Geschichte von Scotland Yard habe solche Wirkung auf die Polizeiarbeit gehabt wie der Mord an Stephen Lawrence, schrieb die stellvertretende Londoner Polizeichefin Cressida Dick im "Guardian".
Die Polizei war damals für ihre stümperhaften Ermittlungen scharf kritisiert worden. Unter anderem hatte sie die Verdächtigen erst zwei Wochen nach der Tat festgenommen, obwohl es unmittelbar danach bereits deutliche Hinweise gab. Eine von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission warf der Londoner Polizei 1999 "institutionellen Rassismus" vor und gab eine Reihe von Empfehlungen ab. Die Polizei habe sich die Kritik zu Herzen genommen und ihre Herangehensweise grundlegend geändert, schrieb Dick. Intern gebe es nun eine Kultur der Vielfalt und Toleranz.
Als Antriebsfeder wurden am Mittwoch die Eltern des Ermordeten gepriesen. Die beiden Einwanderer aus Jamaika hatten unermüdlich für die Wiederaufnahme der Ermittlungen geworben und mit Hilfe der Medien den Druck aufrecht erhalten. Unmittelbar nach dem Mord hatten sie in London unter anderem den Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela getroffen.
Der "Guardian" bezeichnete das Paar als "eine normale Familie ohne Beziehungen und Reichtümer, die das Establishment herausgefordert und zu einer Entschuldigung gezwungen hat".
Die Reaktionen: Jubel über den Sieg der Gerechtigkeit
"Dank der Lawrences ist Großbritannien ein besseres Land", schrieb der frühere Innenminister Jack Straw in der "Times". Der Chef der Antidiskriminierungsbehörde, Trevor Phillips, schrieb im "Telegraph", es gebe immer noch zu viele Hate Crimes, also rassistisch motivierte Straftaten in Großbritannien, aber dank der Lawrences gelte offener Rassismus - wie der von Dobson und Norris - heutzutage als "säkulare Sünde".
Rassistische Wörter sind spätestens seit dem Bericht der Untersuchungskommission 1999 tabu. Wenn sie in der Öffentlichkeit fallen, erhebt sich jedes Mal ein Proteststurm - wie zuletzt, als John Terry, Kapitän der englischen Fußball-Nationalelf, beschuldigt wurde, seinen Gegenspieler Anton Ferdinand rassistisch beleidigt zu haben.
Einige Kommentatoren mahnten an, dass die Wächter der Political Correctness inzwischen über ihr Ziel hinausgeschossen seien. Es sei eine "gefährliche Kultur" entstanden, in der Lehrer vermeintlich rassistische Kommentare von Fünfjährigen notierten, schreibt der "Telegraph".
Doch insgesamt überwiegt die Befriedigung, dass zwei der fünf Männer, deren Schuld in den Augen der Öffentlichkeit seit Jahren feststeht, nun verurteilt worden sind.
Am deutlichsten triumphierte die "Daily Mail". "Mörder", titelte das Boulevardblatt in dicken Lettern. Mit der gleichen Schlagzeile hatte das Blatt bereits vor 15 Jahren die fünf Jugendlichen an den Pranger gestellt, obwohl sie nicht verurteilt waren. Die Redaktion forderte die fünf damals offen heraus, den Verlag wegen übler Nachrede zu verklagen.
Doreen Lawrence dankte der "Mail" ausdrücklich nach der Urteilsverkündung. Die Veröffentlichung der Gesichter der fünf Jugendlichen habe sie im ganzen Land bekannt gemacht, sagte Lawrence. "Sie waren nicht mehr gesichtslos."
Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version dieses Artikels hieß es, John Terry wurde beschuldigt, Rio Ferdinand rassistisch beleidigt zu haben. Tatsächlich soll Terry dessen Bruder Anton Ferdinand rassistisch beleidigt haben. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen!