Urteil im Moshammer-Prozess Viele neue Tode
München - Es sei Gottes Wille gewesen, hatte Herisch A. zu Beginn des Prozesses einmal gesagt, als er die Tötung des Münchner Herrenausstatters schildern sollte. Und dass Moshammer jetzt seinen Frieden habe, aber er, der Täter, sterbe jeden Tag einen neuen Tod. Als wahres Opfer jener verhängnisvollen Nacht im Januar, als der Iraker ein Telefonkabel um Moshammers Hals legte und ihn erdrosselte, sieht sich Herisch A., 26, offenbar selbst.

Moshammer-Mord: Ein Prozess mit vielen skurrilen Besuchern
Und derart getroffen gibt er sich auch nach dem Urteilsspruch von Richter Manfred Götzl im Landgericht München I. Herisch A. sinkt langsam in die Knie, kommt zum Sitzen, wischt sich die Hände an der Hose ab. Er spielt mit seinen zittrigen Fingern, schluchzt, lässt sich ein Taschentuch reichen vom Dolmetscher, hält die Hand vor die Brust und beginnt langsam vor- und zurückzuschaukeln, während Götzl seine Höchststrafe begründet.
Das Gericht glaubt, dass der spielsüchtige Iraker Moshammers Tod geplant und ihn heimtückisch ermordet hat, um den vermögenden homosexuellen Modemacher auszurauben. Deshalb lautete das Urteil "lebenslang". Außerdem stellte die Kammer die besondere Schwere der Schuld fest. Das heißt: Herisch A. wird wohl 18 bis 20 Jahre ohne Chance auf vorzeitige Freiheit sitzen müssen. Die teils grausamen und unappetitlichen Details der kalten Winternacht im Münchner Villen-Vorort Grünwald werden nochmals ausgebreitet in Götzls Urteilsbegründung.
Die Not des Angeklagten etwa, der am Abend tausend Euro seiner Freundin in einer Spielothek verzockt hatte und dringend Geld brauchte. Den Sex suchenden Moshammer, der Herisch A. in seinem Rolls Royce mit nach Hause nahm, wobei dem Iraker da schon klar gewesen sein müsse, dass sexuelle Handlungen von ihm erwartet würden. Das gemeinsame Warm-up bei einem Pornofilm im Fernsehzimmer der Villa, Oralverkehr und Selbstbefriedigung, die Säuberung im Badezimmer und die Spermaflecken des Modemachers an seiner Hose, all das sind Einzelheiten, wegen derer mancher Münchner in den Gerichtssaal strömt.
16.000 Euro übersehen
Die Spurenlage in Moshammers noblem Zuhause war wohl zu eindeutig, um an eine Tötung im Affekt zu denken. Weder das Opfer noch die penibel aufgeräumten Zimmer wiesen irgendwelche Kampfspuren auf. Herisch A. habe also, sagt Götzl, aus einer Schublade im Fernsehraum ein viereinhalb Meter langes Kabel genommen und es nach den gemeinsamen Sexspielen dem 64-Jährigen mehrmals von hinten um den Hals geschlungen. Als Moshammer rückwärts zu Boden fiel, habe er einen Fuß auf den Brustkorb des schwergewichtigen Designers gestützt und mit solcher Kraft an dem Kabel gezogen, dass es riss.
Nach dem Mord hat Herisch A. offenbar alle Kommoden und Schränkchen im Haus nach Bargeld durchsucht. Schubladen und Türen standen teilweise noch halb offen, als die Polizei eintraf. Den auffälligen Schmuck seines Opfers ließ er liegen, und 16.000 Euro, die zwischen der Post im Frisiertisch des Schlafzimmers lagen, hat er übersehen. Wie viel Bargeld Herisch A. bei dem Münchner Exzentriker letztlich erbeutet hat, bleibt ungeklärt. In der Wohnung seiner Freundin fand sich später lediglich ein 200-Euro-Schein aus Moshammers Besitz.
Für die beiden Verteidiger von Herisch A. ist der Richterspruch Götzls eine Niederlage. Sie hatten eine Haftstrafe wegen Totschlags gefordert. Das Gericht habe offene Fragen jetzt einfach für sich selbst beantwortet, schimpfte Anwalt Adam Ahmed nach dem Urteil. Er und sein Kollege Jürgen Langer kündigten an, in Revision zu gehen.
Mit der lebenslangen Haftstrafe für Herisch A. gehen drei besonders bizarre Prozesswochen zu Ende. Besonderen Anteil daran hatten die Wichtigtuer und Selbstdarsteller, die stets den Sitzungssaal A 101 des Oberlandesgerichts München belagerten und dafür sorgten, dass das letzte Kapitel der Moshammer-Story ähnlich skurril anmutete wie sein vorausgegangenes Leben. Vom Double, das seinem Vorbild kaum ähnlich sah, über enttäuschte Angestellte bis zur Ex-Freundin des Angeklagten, die verkleidet auf der Zuschauertribüne Platz nahm und das Geschehen für einen TV-Sender kommentierte.
Erfundenes "Frischfleisch" für Mosi
Dreist trieb es ein 62-jähriger Koch aus Passau. Manfred Z., genannt Manou, der sich als Doppelgänger und Freund Mosis ausgab, erklärte am ersten Prozesstag, zu dem ihn ein privater Fernsehsender als telegene Einlage geschleppt hatte, er hege Hassgefühle gegen Herisch A.: "Der hat doch meinen Rudi auf dem Gewissen. Ich könnte heulen", zitierte ihn die "tz". Als er ein paar Tage später als einer von 50 Zeugen vernommen wird, tischt er dem Gericht dafür pikante Details aus Moshammers Sexleben auf: Nach "Frischfleisch" habe dieser immer wieder verlangt, worauf er, Manou, ihm junge Sex-Gespielen zugeführt habe. Selbst habe er sie von Passau nach Grünwald gebracht. Besonders pikant an der Aussage war, dass sie frei erfunden war, wie Richter Götzl dem Zeugen Manfred Z. schnell nachwies. So wusste Z. weder Genaueres zu den einzelnen Männern zu sagen, noch konnte er Moshammers Haus beschreiben. Götzl ließ den Aufschneider wegen uneidlicher Falschaussage noch im Gerichtsaal festnehmen.
Aufmerksamkeit heischte auch die 60-jährige Georgine Schwoshuber, die sich Georgette Silver nennt: Die Wirtin vom Café Silbermuseum in Bayerischzell kam eigens für die Verhandlungstage angereist und präsentierte sich wahlweise ganz in Weiß oder gewandet wie ein Christbaum den Fotografen und Kameraleuten. Immer mit dabei: Plüschkatze Chantal. Eine weibliche Karikatur des Verblichenen? An dem ließ die Wirtin jedenfalls kein gutes Haar. "Ich kannte Mosi", erzählte sie der "Bild"-Zeitung freimütig. "Er lud mich mal zum Essen ein. Statt ins Lokal zu fahren, fuhr er mich in einen Hinterhof. Sein Hosentürl stand auf, und er verlangte: 'Bring meinen Zipfel hoch.'" Man kann es glauben. Man muss es nicht.
Auch ehemalige Angestellte nutzten vor Gericht die Chance, endlich mal so richtig über ihren toten Chef zu lästern: Cholerisch, launisch und rassistisch sei der Inhaber der Boutique "Carnaval de Venise" gewesen, hieß es dann. Eine 43-jährige Ex-Angestellte will gar von dem "Leuteschinder" in den Nervenzusammenbruch getrieben worden sein. Selbst der Leiter eines vor zwei Jahren aufgelösten Mosi-Fanclubs bestätigte den "explosiven" Charakter Moshammers und wies darauf hin, der Modemacher habe seine Angestellten "gewechselt wie die Unterwäsche".
Natalia B., die Exfreundin des Angeklagten, erschien ebenfalls am ersten Tag, verkleidet mit Perücke und Sonnenbrille, und nahm unerlaubterweise als Zuhörerin an der Verhandlung teil - obwohl sie auf der Zeugenliste stand. Auch sie hatte von einem Privatsender 1000 Euro bekommen, damit sie exklusiv ihre Eindrücke von der Verhandlung schilderte. Vor Gericht erzählte sie später, Herisch A. habe auch "etwas mit Männern" und sogar mit ihrer Großmutter ein Verhältnis gehabt.
Ende eines Möchtegern-Märchenkönigs
Noch mehr freilich wurde vor Gericht das sexuelle Treiben des Rudolph Moshammer seziert. Zeugen aus dem Milieu schilderten ihre Begegnungen mit dem Mann, der regelmäßig mit seinem Rolls Royce die Gegend um den Münchner Hauptbahnhof abfuhr. Gefiel ihm ein Mann, sei er meist nach demselben Schema vorgegangen, so Staatsanwalt Martin Kronester. Er habe nach einer Videothek gefragt und eine Porno-Kassette gezeigt. "Junge Männer, die interessiert waren, nahm er dann mit in sein Haus." Einer der Zeugen gab sogar an, zu dem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt gewesen zu sein.
Das Mordopfer selbst, so konstatierte es die "Süddeutsche Zeitung", ist "während der Verhandlung eines zweiten Todes gestorben". Die Kunstfigur Rudolph Moshammer, die der Designer mühevoll entworfen hatte, mit deren wahrem Alter er hinter dem Berg hielt und deren Homosexualität zwar ein offenes, aber offiziell stets gehütetes Geheimnis war, ist längst in tausend Stücke zerbrochen.
Zur Haute Couture gehörte der Münchner Herrenausstatter, der nie eine Schneiderlehre gemacht hatte, gewiss nicht. "Ein Modezar ist geboren", habe die "Abendzeitung" am Tag nach seiner Boutique-Eröffnung im Jahr 1967 getitelt, dichtete Moshammer in seinen Memoiren "Mama und ich". Die Legende, an der Moshammer eifrig strickte, will es so, dass der talentierte junge Mann ohne finanzielle Sicherheiten die damalige Hauseigentümerin einfach angefleht habe, ihm eine Chance zu geben. Ganz München habe dann über die Eröffnungsparty gesprochen. Doch ganz so war der Aufstieg des "Modezaren" nicht. Moshammer-Biograf Torsten Fricke machte drei zahlkräftige Helfer aus, die das "junge Talent" von Anfang an nach Kräften unterstützten: den Immobilien-Investor Walter Käßmeier, Klassenkameradin Angela Opel, die mittlerweile reich geheiratet hatte, und Krupp-Erbe Arndt von Bohlen und Halbach. Und die tatsächliche Schlagzeile am Tag nach der Ladeneröffnung in der "Abendzeitung" lautete: "Gemeinster Räuber in München gefasst".
Und doch ließen sich Prominente wie Arnold Schwarzenegger, José Carreras, Karl Flick und Carl Gustav von Schweden bei ihm einkleiden - und in ihrem Schlepptau die halbe Münchner Schickeria. In ihr war der Bub aus Schwabing, der wegen der Alkoholsucht seines Vaters in Armut aufgewachsen war, aufgeblüht. Er schmückte sich mit ihr, und die Schickimickis schmückten sich mit ihm. Bis zu seinem unrühmlichen Ende. Schon bei der Beerdigung kamen nur die ganz treuen der sogenannten Freunde. Die anderen, die sich zu Lebzeiten so gern im Glanz des "Kitschimitats des bayerischen Königs Ludwig II." ("SZ") sonnten, drückten sich bereits.
Als die Verhandlung zu Ende ist, will Herisch A. den Saal nicht verlassen. Die Verteidiger trösten ihn, er rührt sich nicht weg von der Anklagebank im Schwurgerichtssaal A101, vielleicht weil ihm auch klar ist, dass er noch lange genug in der Zelle sitzen wird.
Morgen dürfte die "Abendzeitung" dem "Modezaren" dann doch noch einmal eine Schlagzeile widmen.