Urteil Verfassungsrichter kippen Regelungen zur Sicherungsverwahrung
Karlsruhe - Hochgefährliche Straftäter dürfen unter sehr engen Grenzen weiter verwahrt werden, die anderen kommen frei: So fasste der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, das komplizierte Urteil zur Sicherungsverwahrung zusammen, das mit Spannung erwartet worden war. Das Bundesverfassungsgericht erklärte damit die Regelungen zur Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter für verfassungswidrig. Die Regelungen verletzen das Grundrecht auf Freiheit, entschied das Gericht am Mittwoch.
Damit reagieren die Karlsruher Richter auf die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, die für Aufsehen gesorgt hatte. Der EGMR hatte die deutsche Praxis sowohl der rückwirkenden Verlängerung wie auch der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gewertet.
Extrem gefährliche Straftäter dürfen aber zum Schutz der Bevölkerung bis zu einer Neuregelung weiter eingesperrt bleiben, entschied das Gericht. In sogenannten Altfällen muss die besondere Gefährlichkeit der Betroffenen bis Jahresende geprüft werden. Die Sicherungsverwahrung, die nur dem Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tätern dient, unterscheide sich nicht deutlich genug von einer Strafhaft. Dieses sogenannte Abstandsgebot hatte der EGMR bereits im Dezember 2009 eingefordert.
Grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung
Der Gesetzgeber wurde mit weitreichenden Vorgaben verpflichtet, die Sicherungsverwahrung bis Mai 2013 grundlegend zu reformieren und ein "freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept" zu entwickeln. Die Betroffenen müssen demnach etwa durch qualifizierte Fachkräfte so intensiv therapeutisch betreut werden, dass sie "eine realistische Entlassungsperspektive" haben. Ihr Leben in Verwahrung muss zudem so weit wie möglich "den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst" und ihnen familiäre und soziale Außenkontakte ermöglicht werden.
Von den verbliebenen rund 70 Altfällen, die sich nach früheren Regelungen derzeit noch in Sicherungsverwahrung befinden, dürften nun viele Betroffene bis Jahresende auf freien Fuß kommen. Laut Urteil können nur noch die Täter weiter festgehalten werden, von denen eine "hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten" ausgeht und die zudem an einer "zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung" leiden.
Die Richter verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass auch nach Artikel fünf der Europäischen Menschenrechtskonvention eine nachträglich verlängerte oder angeordnete Sicherungsverwahrung nur unter der Voraussetzung einer psychischen Störung zulässig ist. Das seit Januar geltende Therapieunterbringungsgesetz greift diesen Gedanken den Richtern zufolge bereits auf. Auf dessen Grundlage könnten dann psychisch gestörte und weiterhin gefährliche Rückfalltäter in therapeutischen Einrichtungen verwahrt werden.
Der Opferhilfeverein "Weisser Ring" hatte eine verantwortungsbewusste Entscheidung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung erwartet. Das Urteil müsse auch den Blickwinkel der Opfer von schweren Straftaten und den Schutz der Bevölkerung berücksichtigen, sagte Vereinssprecher Helmut Rüster am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin".
Sicherungsverwahrung sei ein unverzichtbares Instrument des Strafrechts, da es viele Straftäter gebe, die nicht therapierbar seien und eine dauerhafte Gefahr darstellten. Im Zweifel habe der Schutz der Bevölkerung Vorrang vor dem Freiheitsrecht gefährlicher Täter, betonte Rüster.