US-Entscheidung für Todesspritze Würdevoller als Ausweiden und Vierteilen

Das oberste US-Gericht hat Hinrichtungen mit der Todesspritze genehmigt - jetzt dürfen Dutzende ausgesetzte Exekutionen vollzogen werden. Begründung der Richter: Der Giftcocktail sei immerhin viel humaner als mittelalterliche Methoden. Dabei wird er in vielen Staaten nicht mal Tieren zugemutet.

New York - Angel Nieves Díaz starb qualvolle 34 Minuten lang. Noch eine halbe Stunde nach der ersten Injektion zuckte er, "verzog das Gesicht, blinzelte, leckte sich die Lippen und versuchte, etwas zu sagen", berichtete ein Zeuge. Der Gerichtsmediziner stellte hinterher fest, dass die Todesspritzen nicht die Venen, sondern den Muskel getroffen und Díaz' Arm an mehreren Stellen verätzt hatten.

Florida, Dezember 2006: Nach der grausigen Hinrichtung des Raubmörders Díaz verhängte der damalige Gouverneur, Präsidentenbruder Jeb Bush, ein Moratorium für alle Exekutionen, bis die Probleme bei der Ausführung geklärt seien. Im September 2007 dann, als sich das Oberste US-Bundesgericht der Frage annahm, wurden Hinrichtungen mit der Todesspritze in allen betroffenen Bundesstaaten ausgesetzt.

Heute dann kam das Urteil des Obersten US-Gerichtshofs - und es war ein Rückschlag für alle Todesstrafengegner.

Mit einer selten deutlichen Mehrheit von sieben zu zwei Stimmen befand der Supreme Court, die Hinrichtung per tödlicher Injektion sei keineswegs eine "grausame und unübliche Bestrafung", wie die US-Verfassung sie verbietet. "Ein gewisses Risiko des Schmerzes gehört selbst bei der humansten Exekutionsmethode dazu", schrieb Chefrichter John Roberts.

Das Urteil bedeutet, dass in allen 35 US-Bundesstaaten, die einen Giftcocktail aus drei verschiedenen Chemikalien als bevorzugte Hinrichtungsmethode anwenden, nun wieder ohne weitere juristische Skepsis exekutiert werden darf - ein Staat, Nebraska, schickt Delinquenten noch auf den elektrischen Stuhl.

Der Gouverneur von Virginia, der Demokrat Tim Kaine, teilte umgehend mit, sein Staat werde wieder mit Hinrichtungen beginnen Menschenrechtsgruppen reagierten betroffen, kündigten jedoch weitere Schritte gegen die Todesstrafe an.

"Die Frage der Giftinjektion ist nichts als eine Ablenkung von den zahllosen Problemen im Todesstrafensystem", sagte Larry Cox, Geschäftsführer von Amnesty International USA. Das System sei "im Kern fehlerhaft". Es werde immer offensichtlicher, wie viele "Unschuldige verurteilt und womöglich auch hingerichtet" würden.

Die Entscheidung des Obersten Gerichts hat mit der Hinrichtung von Angel Nieves Díaz in Florida direkt nichts zu tun, sondern geht auf eine Klage zweier Todeskandidaten aus Kentucky zurück, Ralph Baze und Thomas Clyde Bowling. Baze hatte 1992 einen Sheriff und einen Hilfssherriff erschossen, die ihn verhaften wollten. Bowling war 1990 wegen Mordes an einem Ehepaar verurteilt worden. Die beiden Todeszelleninsassen verklagten den Staat Kentucky erstmals 2004. Das Verfahren schaukelte sich durch die Instanzen hoch und landete im Sommer 2007 am Supreme Court, der die Hinrichtungen bis zum Urteil aussetzte.

Entsetzliches Brennen in Herzmuskel und Venen

Die Kläger stellten die Methode der Giftspritzen-Hinrichtung in Frage, die in allen fraglichen Bundesstaaten gleich abläuft: Der Verurteilte wird mit einer Abfolge von drei Chemikalien exekutiert. Zuerst betäubt Thiopental ihn. Dann lähmt Pancuroniumbromid seine Muskulatur und lässt ihn ersticken. Schließlich bringt Kaliumchlorid das Herz zum Stillstand und führt zum Tod.

In etlichen dokumentierten Fällen kam es jedoch dazu, dass Thiopental nicht in der ausreichenden Dosis verabreicht wurde - weshalb der Delinquent die extrem schmerzhafte Wirkung der beiden anderen Gifte offenbar spürte. Dies konnte er jedoch wegen der Muskellähmung durch Pancuroniumbromid nicht zeigen. Kaliumchlorid führt zu entsetzlichem Brennen im Herzmuskel und in den Venen.

Bate und Bowling hatten mit ihrer Klage versucht, stattdessen eine Hinrichtung durch ein einziges, schmerzloses Barbiturat durchzusetzen, das "innerhalb von Minuten" den Tod bringe. Die derzeitigen Cocktail-Hinrichtungsbestimmungen seien viel zu fehleranfällig, würden von Laien ausgeführt und könnten in "qualvollen, entsetzlichen Schmerzen" resultieren, argumentierte ihr Anwalt Donald Verrilli.

Er forderte außerdem die Anwesenheit von Ärzten bei Hinrichtungen. Ein heftig umstrittener Vorschlag: Die US-Medizinerbranche widersetzt sich dem Ansinnen aus ethischen Gründen.

Qualvolle Prozedur - wenn der Henker keine Vene findet

Der Supreme Court setzte den Fall "Baze v. Rees", Aktenzeichennummer 07-5439, überraschend schnell auf die Tagesordnung. Todesstrafengegner, die daraufhin vermuteten, das Gericht neige ihren Argumenten zu, sahen sich aber erstmals im Januar enttäuscht, als der Fall in Washington zur mündlichen Verhandlung kam. Die konservativen Richter bezweifelten die Berechtigung der Klage im Allgemeinen - und die eher progressiv geneigten Richter zweifelten an der Beweislast.

Zur Debatte stand nicht die Hinrichtung als solche, die der Supreme Court als verfassungsgemäß aufrechterhalten hat und die in Meinungsumfragen von der breiten Mehrheit der US-Bürger befürwortet wird. Zur Debatte stand hier nur die Art der Hinrichtung.

Die alternative Einzelgift-Methode, wie sie beim Einschläfern von Tieren verwendet wird, sei am Menschen unerprobt, sagte Chefrichter Roberts. Damit mache sich diese Option für künftige Verfassungsklagen anfällig. Die Kläger hätten nicht ausreichend nachgewiesen, dass das Schmerzrisiko bei dem Giftcocktail eine grausame Bestrafung darstelle. Außerdem sei die Hinrichtung mit nur einem Gift weniger "würdevoll", fügte er hinzu - weil der Todeskampf ohne Muskellähmung für alle Zeugen sichtbar sei.

Der achte US-Verfassungszusatz verbietet "grausame und unübliche Bestrafung". Dies beziehe sich jedoch nur auf Hinrichtungsarten, "die absichtlich dazu dienen, Schmerz zuzufügen", schrieb Roberts in seiner Mehrheitsmeinung - also mittelalterliche Methoden wie "Ausweiden, Enthaupten, Vierteilen, Zergliedern und bei lebendigem Leibe verbrennen". Roberts: "An diesem Standard gemessen ist dies ein einfacher Fall."

Das Gericht verhandelte dann im weiteren Verlauf des Tages noch darüber, ob die Todesstrafe auch für Straftäter möglich sein soll, denen Vergewaltigung von Kindern zur Last gelegt wird. Nicht weiter befasste es sich dagegen mit den zahlreichen Giftspritzen-Exekutionen, bei denen die Delinquenten offenbar an schweren Qualen litten.

Dutzende Fälle von verpatzter "staatlichen Vergiftung"

Zum Beispiel die Hinrichtung des Gang-Führers Stanley "Tookie" Williams im Dezember 2005: Da konnten die Henker keine Vene im Arm finden. Die Prozedur dauerte mehr als eine halbe Stunde.

Ein anderer, Lloyd Lafevers, starb 2001 von Muskelkrämpfen geschüttelt. Jose High wurde im selben Jahr erst 69 Minuten nach der ersten Spritze für tot erklärt, nachdem eine Spritze in seinen Hals gesetzt werden musste. Der jüngste Bericht von Amnesty International vom Oktober 2007 listet Dutzende solcher Fälle von verpatzter "staatlichen Vergiftung" auf.

Eine Studie im "Fordham Urban Law Journal", die im Mai in Gänze veröffentlicht wird, ergab: Fast alle Staaten, die Pancuroniumbromid einsetzen, verbieten denselben Stoff zum Einschläfern von Tieren.

Nach Angaben des "Death Penalty Information Center" sitzen derzeit 3262 Verurteilte in den US-Todeszellen. Die meisten Todeskandidaten gibt es in Kalifornien (669 Insassen), gefolgt von Florida (388) und Texas (370). Im vergangenen Jahr wurden, bevor das Moratorium in Kraft trat, 42 Amerikaner hingerichtet - alle per Giftcocktail. Seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 gab es in den USA demnach 1099 Exekutionen.

Bundesrichter John Paul Stevens, ein eher liberales Mitglied des Supreme Court, stimmte der Mehrheitsmeinung im vorliegenden Fall zwar zu, distanzierte sich zugleich jedoch von der Todesstrafe generell. Als das Gericht diese 1976 wiedereingesetzt habe, habe es dazu drei Rechtfertigungen formuliert: "Das Unschädlichmachen des Straftäters, Abschreckung und Vergeltung." All das sei inzwischen überholt: "In den vergangenen drei Jahrzehnten ist jedes dieser Argumente in Frage gestellt worden."

Wie Menschen hingerichtet werden

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