Polizistenausbildung in den USA "Total fahrlässig"

Streifenwagen in North Charleston (Archiv): Tödliche Schüsse
Foto: AP/The Post And CourierAchtmal feuerte Michael S. auf Walter Scott. Auf einen unbewaffneten Mann, der ihm den Rücken zugekehrt hatte und weglief. Warum warnte der Polizist S. den 50-Jährigen nicht, bevor er abdrückte? Warum legte er dem Sterbenden Handschellen an, statt Erste Hilfe zu leisten?
Diese Fragen werden die Ermittler klären müssen. Der Cop aus North Charleston im US-Bundesstaat South Carolina wurde inzwischen wegen Mordes angeklagt und aus dem Polizeidienst entlassen. Im Zusammenhang mit dem Fall rückt aber eine andere Frage zunehmend in den Fokus: Entspricht die Ausbildung der Polizisten in manchen US-Bundesstaaten überhaupt den Anforderungen des Jobs?
Todesschütze S. besuchte offenbar gerade mal neun Wochen lang eine Polizeischule - die South Carolina Criminal Justice Academy. Das berichtet das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Mike Lanier, den stellvertretenden Direktor der Einrichtung. Seit 2011 dauert das Basistraining an der Akademie demnach zwölf Wochen. S. durchlief den Kurs aber bereits 2010, als er noch neun Wochen dauerte.
Schulungen von neun oder zwölf Wochen Dauer? "Das ist total fahrlässig", sagte Maki Haberfeld, Professorin am John Jay College of Criminal Justice in New York, der Zeitung. Die Ausbildungsanforderungen sollten ihrer Meinung nach überprüft werden. Man gebe den angehenden Polizisten nicht das erforderliche Rüstzeug mit auf den Weg.
Mängel in der Ausbildung festgestellt
Ein Kritikpunkt: Es gibt keine einheitlichen Regelungen. Die Ausbildung für US-Polizisten unterscheidet sich von Bundesstaat zu Bundesstaat - und das zum Teil erheblich. Die Dauer der Kurse an den Polizeischulen variiert je nach Standort zwischen wenigen Wochen und mehr als einem halben Jahr. 19 Wochen waren der landesweite Durchschnitt im Jahr 2009.
Die Kurse an den Polizeischulen seien zu kurz, sagte der Kriminologe Victor McCraw dem "Wall Street Journal". Das könne dazu führen, dass Cops zu wenig Vertrauen in ihre eigenen Fertigkeiten erlangten. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Polizisten exzessive Gewalt anwendeten, sei geringer, wenn sie mehr Vertrauen in sich besäßen.
Erst im vergangenen Monat hatte das Justizministerium einen Prüfbericht zum Schusswaffengebrauch von Polizisten in Philadelphia veröffentlicht - und dabei Mängel in der Ausbildung festgestellt. Unter anderem werde die Anwendung von Gewalt nicht ausreichend geschult.
Vorgesehen sind in der Ausbildung beispielsweise Seminare zum Thema Recht sowie praktische Übungen, etwa zum Gebrauch von Schusswaffen. Letzteres nahm laut Justizministerium im Jahr 2002 mit durchschnittlich 60 Stunden vergleichsweise viel Zeit ein. Ebenso wie Selbstverteidigung (44 Stunden), aber anders als etwa der Gebrauch nicht tödlicher Waffen (zwölf Stunden) oder Konfliktmanagement (acht Stunden).
Prinzipiell werden Polizisten so ausgebildet, dass sie mit ihrer Waffe eine "Gefahr beseitigen" - notfalls per Todesschuss. Von Schüssen, die nur verwunden sollen, wird ihnen oft abgeraten. Versuche, das gesetzlich zu ändern, scheiterten bisher.
"Jeder Mensch eine mögliche Bedrohung"
Diesen Ansatz der Ausbildung kritisiert auch Seth Stoughton, ehemaliger Polizist und Jurist an der University of South Carolina. Für ihn gehören US-Cops zwar zu den am besten trainierten Polizisten der Welt, schrieb er im Dezember in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift "The Atlantic" . Doch das Ausbildungskonzept sei Teil des Problems der vielen von Polizisten abgefeuerten tödlichen Schüsse.
Die Welt ist feindlich, überall lauern Gefahren, Nachlässigkeit tötet - diese Doktrin habe zu einer "beinahe religiösen Bedeutung" der eigenen Sicherheit bei Polizisten geführt, so Stoughton. "Sie lernen, dass jede Begegnung, jeder Mensch eine mögliche Bedrohung ist."
Und das werde in der Ausbildung nicht bloß erzählt, sondern anhand von schmerzhaft plastischen Videobildern vorgeführt: Polizisten, die geschlagen werden. Polizisten, die niedergeschossen werden. Jeweils nach einem Moment der Unachtsamkeit oder des Zögerns.
Die Schlussfolgerung sei: Zögern kann tödlich sein. "Deshalb werden Polizisten dazu ausgebildet zu schießen, ehe eine Bedrohung komplett erfasst ist", schreibt Stoughton.
Mike Lanier von der South Carolina Criminal Justice Academy will hingegen keinen Zusammenhang zwischen den Todesschüssen und der Ausbildung von S. an seiner Polizeischule erkennen. "Wir bringen ihnen bei, wann der Einsatz von Gewalt angebracht ist und wann nicht", sagte er. Was ein Polizist dann mit diesen Informationen anfange, sei eine individuelle Entscheidung.