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Chris Kyle erschossen Tod eines Scharfschützen

Mehr als 160 Menschen hat er getötet, er war der erfolgreichste Scharfschütze in der US-Geschichte: Chris Kyle war eine Legende - doch jetzt ist er selbst erschossen worden. Nicht im Krieg. Sondern daheim in Texas.

Irgendwann begann der Krieger Chris Kyle zu glauben, er sei unverwundbar: "Sie können mich nicht töten. Wir sind verdammt noch mal unbesiegbar. Ich habe einen Schutzengel." So beschrieb er das in seinem Buch "American Sniper". Er, der treffsicherste Scharfschütze in der Geschichte des US-Militärs, überlebte mehrere Jahre Irak-Krieg.

Doch an diesem Samstag war da kein Schutzengel, als Kyle mit seinem Nachbarn auf dem "Rough Creek Lodge"-Schießplatz in Texas starb. Erschossen offenbar von einem psychisch kranken Irak-Veteranen, den er selbst mit auf die Anlage genommen hatte. Weil er glaubte, das könne dem Mann helfen.

"Das ist doch wie in einer Tragödie von Shakespeare: Er war so oft in großer Gefahr, er kommt nach Hause, hilft Leuten mit ihren Traumata und dann tötet ihn ein Kriegskamerad", so Rorke Denver, der mit Kyle im Irak war, in der Zeitung "Dallas Morning News". Tragisch und ironisch sei das alles.

Tatsächlich war der 38-jährige Chris Kyle nicht irgendein Irak-Veteran. Vielen im Militär galt er als Verkörperung des amerikanischen Helden, als Legende. Denn der Mann hat laut US-Verteidigungsministerium "mehr als 160" Feinde erschossen; 14 Auszeichnungen hat er für seinen Dienst erhalten. Kein Scharfschütze hat mehr Tote auf dem Konto. Kyles Autobiografie erschien Anfang 2012 und ist seitdem mit gut 900.000 verkauften Exemplaren ein Bestseller; am Sonntagabend war "American Sniper" das meistverkaufte Buch bei Amazon.

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Bei Training erschossen: Das war Chris Kyle

Foto: AP/ The Fort Worth Star-Telegram

Es ist ein harter Bericht. Kyle erzählt vom Töten. Und dass es ihm nichts ausgemacht hat: "Ich konnte es kaum abwarten, bis die Schlacht losgeht. Ich wollte ein Ziel. Ich wollte jemanden erschießen. Ich musste nicht lange warten." Kyles Argumentation: Er tötet "Wilde", wie er die gegnerischen Iraker nennt, um das Leben der eigenen Leute zu retten. So erschießt der Elitesoldat der Navy Seals mehrmals Selbstmordattentäter, bevor die ihren todbringenden Auftrag ausführen können. Die Aufständischen, berichtete Kyle in seinem Buch, hätten ihn den "Teufel" genannt und ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt: 20.000 Dollar.

Und wie fühlte er sich selbst? "Wenn Gott mich einst mit meinen Sünden konfrontieren wird", schrieb der gläubige Christ Kyle, "dann glaube ich nicht, dass es dabei um die von mir Erschossenen gehen wird. Jeder, den ich erschossen habe, war böse. Ich hatte gute Gründe für jeden einzelnen Schuss. Sie alle haben es verdient zu sterben." Viermal geht er in den Irak, bis er im Jahr 2009 aussteigt, mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Texas zieht, wo er aufgewachsen war und einst als Cowboy gearbeitet sowie Rodeos geritten hatte.

Kyle fand sich nicht leicht wieder ins zivile Leben ein, er bekam ein Alkoholproblem, vermisste die Navy Seals. Dort habe er die beste Zeit seines Lebens gehabt, sagte er. Als er seine persönliche Krise schließlich überwand, begann er sich für psychisch geschädigte Veteranen zu engagieren. Er gründete eine Stiftung, hielt die erkrankten Soldaten zu sportlichen Aktivitäten an - und ging immer wieder mit ihnen auf die Shooting Range.

Dem Täter droht die Todesstrafe

Und so sind Kyle und sein 35-jähriger Begleiter Chad Littlefield an diesem Samstag auf ihren mutmaßlichen Mörder getroffen: Eddie Ray Routh war das erste Mal mit auf dem Schießstand in der Nähe von Dallas; Kyle und Littlefield nahmen den 25-Jährigen in Kyles schwarzem Pick-up-Truck mit. Die "New York Times" berichtet, dass Routh an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, eine weitverbreitete Krankheit unter Veteranen. Von September 2007 bis März 2008 war Routh im Irak-Einsatz, nach dem Erdbeben 2010 wurde er nach Haiti geschickt. Doch zurück in Amerika kam er nicht mehr klar, war arbeitslos und wurde zuletzt aufgegriffen, als er betrunken Auto fuhr.

Kyle wollte etwas unternehmen. "Chad und Chris haben den Veteranen zum Schießen mit rausgenommen, um ihm zu helfen", sagt Travis Cox, ein Freund von Kyle: "Und dann wurden sie getötet."

Warum Routh die beiden erschossen haben soll, ist noch unklar. Über sein Motiv schweigt er nach Informationen der "Dallas Morning News", auch gestanden hat er die Tat nicht. Wird er für schuldig befunden, droht ihm in Texas die Todesstrafe.

Routh soll Kyle und Littlefield am Nachmittag gegen 15.30 Uhr erschossen haben und dann mit Kyles Auto zu Schwester und Schwager gefahren sein. Das Ehepaar, so heißt es, habe daraufhin die Polizei gerufen. Routh fuhr weiter zu seinem eigenen Haus. Dort versuchten ihn dann Polizeikräfte, unterstützt von einer Spezialeinheit, gegen 20 Uhr festzunehmen. Routh floh ein weiteres Mal, konnte aber eine knappe Stunde später gestellt werden.

Der Ex-Scharfschütze Kyle war im Irak so oft dem Tod entkommen, weil er jederzeit mit ihm rechnete. Aber auf dem Schießstand daheim in Texas fühlte er sich offenbar sicher.

Mit Material von AP und Reuters
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