BKA-Bericht Verfassungsschutz soll rechte V-Leute geschützt haben

Rechtsextremisten: Verfassungsschutz soll V-Leute vor Durchsuchungen gewarnt haben
Foto: Stefan Sauer/ dpaHamburg - Dass bei den Ermittlungen im Umfeld des Terror-Trios NSU vieles schiefgelaufen ist, steht außer Frage. Zum Jahrestag der Enttarnung der Rechtsradikalen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe berichtet der SPIEGEL, wie der Verfassungsschutz rechtsextreme V-Leute in den neunziger Jahren systematisch vor Strafverfolgung schützte.
Das zeigt eine als geheim eingestufte Analyse des Bundeskriminalamts (BKA) vom Februar 1997. In dem 14-seitigen "Positionspapier" übt das BKA massive Kritik an der Quellenführung des Verfassungsschutzes.
Belegt werden die Vorwürfe mit konkreten Fallbeispielen. Das BKA nennt die Namen von insgesamt neun Personen, die im Zuge von Ermittlungen als Verfassungsschutz-Quellen erkannt worden seien. Die V-Leute sollen vor Durchsuchungen gewarnt worden sein. Auch habe man relevante Informationen erst so spät an die Polizei weitergeleitet, dass rechte Aktionen "nicht mehr verhindert werden" konnten.
Einer Straftat überführte V-Leute seien zudem häufig weder angeklagt noch verurteilt worden. Viele der Quellen seien "überzeugte Rechtsextremisten", die glaubten, unter dem Schutz des Verfassungsschutzes "im Sinne ihrer Ideologie ungestraft handeln zu können".
Dem Papier zufolge wurde etwa eine rechtsextreme "Aktionswoche" zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß im August 1994 maßgeblich von Spitzeln des Inlandsgeheimdienstes organisiert - unter ihnen nicht weniger als fünf Quellen des Verfassungsschutzes.
Die Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und BKA waren offenbar so gravierend, dass es im November 1996 zu einem Spitzentreffen der Behördenchefs gekommen sein soll. Der neue Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sagte dem SPIEGEL: "Die Kultur der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz hat sich bereits geändert." Durch die positiven Erfahrungen im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin habe sich "ein Austausch etabliert, der intensiver und vertrauensvoller als in der Vergangenheit ist".
Maaßen sieht das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden beeinträchtigt. "Für mich ist es nachvollziehbar, dass das Vertrauen vieler Bürger - insbesondere der Opferfamilien - in die deutsche Sicherheitsarchitektur und ihre Behörden stark beschädigt ist", sagte er der "Welt am Sonntag" (WamS). Dieses Vertrauen wolle er wiedergewinnen, so Maaßen. "Aus diesem Grund stellt sich das Bundesamt für Verfassungsschutz einem umfassenden Reformprozess, mit dem unter anderem durch eine aktivere Öffentlichkeitsarbeit ein Mehr an Transparenz erzielt werden soll."
"Verfassungsschutz darf kein Eigenleben führen"
Zum Jahrestag der Enttarnung des Terror-Trios haben zahlreiche Politiker und NSU-Ausschussmitglieder die Behörden scharf kritisiert. Der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Aufklärung der Ermittlungsfehler, Sebastian Edathy (SPD), forderte eine bessere Kontrolle: "Ich bin ein Freund des Verfassungsschutzes, wenn er denn die Verfassung schützt und nicht beginnt, ein Eigenleben zu führen", sagte er dem Sender MDR Info.
Die SPD-Obfrau im Ausschuss, Eva Högl, warf der Polizei vor, diese habe sich bei ihren Mord-Ermittlungen von Vorurteilen leiten lassen. "Sie gingen vordringlich dem Verdacht nach, die Morde hätten mit Organisierter Kriminalität zu tun, einen fremdenfeindlichen Hintergrund hingegen prüften sie nie ernsthaft", sagte sie der "Frankfurter Rundschau".
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) soll neun Einwanderer sowie eine Polizistin getötet haben. Die rechtsradikale Gruppe blieb 14 Jahre unentdeckt und flog erst auf, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in Thüringen Selbstmord begingen. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe stellte sich vier Tage später der Polizei. Gegen sie soll in Kürze Anklage erhoben werden.
Maaßen plädierte nun für ein zentrales V-Leute-Register: "Ein zentrales Wissen ist unabdingbar, um die jeweiligen V-Leute des Bundes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz wirksam steuern zu können", sagte er der "WamS". Einen Verzicht auf Verbindungsleute schloss er aus. "Menschliche Quellen sind und bleiben unverzichtbar, um Erkenntnisse über innere Strukturen und Planungen verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu erlangen."
Linken-Abgeordnete Petra Pau konterte: "V-Leute sind keine netten Informanten, sondern vom Staat gekaufte Spitzel und bezahlte Täter. Die Vernunft gebietet: nicht registrieren, sondern abschalten."
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