Vergewaltigungsprozess Kachelmann-Verteidiger verlangt mehr Öffentlichkeit

Kachelmann-Verteidiger Schwenn: "Scharlataneskes Verhalten"
Foto: Ronald Wittek/ dpaAn diesem Freitag sollte im Vergewaltigungsprozess gegen die wichtige Phase der Sachverständigenanhörung beginnen. Denn außer den Beschuldigungen jener Frau, die von dem Moderator mutmaßlich vergewaltigt wurde, gibt es ja nicht viel, was dem Mannheimer Gericht zur Urteilsbildung dienen könnte. Doch es kam ganz anders.
Kachelmanns neuer Verteidiger Johann Schwenn widmete sich erst einmal dem grundsätzlichen Thema des Ausschlusses der Öffentlichkeit. Tatsächlich konnten sich die Berichterstatter von dem, was im Fall Kachelmann bisher verhandelt worden war, kaum ein Bild machen. Stets stand man vor der Tür, ob es nun explizit um den Anklagevorwurf ging oder zum Beispiel um mediale Begleiterscheinungen.
Dass das mutmaßliche Opfer und andere Frauen, die mit dem Angeklagten sexuelle Kontakte hatten oder noch immer haben, dies nicht detailliert öffentlich ausbreiten wollen und auch nicht sollen, steht außer Frage. Doch gerade unter jenen Ex-Geliebten waren eben auch einzelne, die Exklusivverträge mit Medien abgeschlossen hatten. Sie hatten sich offensichtlich entschlossen, ihre Erlebnisse mit Kachelmann nicht im Gerichtssaal zu schildern, sondern ausschließlich den Lesern von Illustrierten.

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Da diese Frauen zwar als Zeuginnen vor Gericht zur Wahrheit verpflichtet sind, nicht aber als Protagonistinnen von Titelstorys, hatten Prozessbeobachter nicht die Möglichkeit zum Vergleich der jeweiligen Angaben. Was mag da gelogen, übertrieben oder verschwiegen worden sein? Das eindeutig kommerzielle Interesse der Medien, so Schwenn, sei von den rechtlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit nicht gedeckt.
Diese Diskussion setzte sich fort, als der Therapeut des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers, der Heidelberger Traumatologe Günter Seidler, als sachverständiger Zeuge vernommen werden sollte. Das Gericht hatte bereits beschlossen, auch ihn ohne Öffentlichkeit anzuhören. Schwenn aber forderte die Kammer zu einer Änderung dieses Beschlusses auf.
Denn Seidler habe als behandelnder Arzt "scharlataneskes Verhalten" an den Tag gelegt, trug der Verteidiger vor. So habe er seiner Patientin zur Bewältigung des möglicherweise Geschehenen unter anderem empfohlen, "sich nackt vor den Spiegel zu stellen, um den eigenen Körper zu erkunden". Überzeugt von einer schweren Traumatisierung seiner Patientin, habe Seidler überdies behauptet, er könne "Todesangst riechen". Und Seidler wolle auch, als der Angeklagte noch in Haft saß, "geträumt" haben, dass dieser demnächst freikomme.
"Die Fragen, die mich beschäftigen, gehören in die Öffentlichkeit"
Die Staatsanwaltschaft habe trotz solch absonderlicher Argumente nicht gezögert, sich für eine Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten auszusprechen und überdies Anklage zu erheben, so Schwenn. Und auch das Gericht habe keine Zweifel befallen, ob eine auf derartige Seltsamkeiten gestützte Anklage die Eröffnung des Hauptverfahrens überhaupt legitimiert. Jetzt solle sich wenigstens die Öffentlichkeit ein Bild von der Stichhaltigkeit der Vorwürfe machen können.
"Die Fragen, die mich beschäftigen", trug Schwenn vor, "gehören in die Öffentlichkeit." Denn Seidler habe auch mit dem Anwalt der Belastungszeugin und der Staatsanwaltschaft kommuniziert, er habe der Nebenklage Empfehlungen für deren Strategie gegeben. "Dies alles hat weder mit dem persönlichen Lebensbereich der Nebenklägerin noch dem des sachverständigen Zeugen etwas zu tun. Ich kann nur warnen", fuhr Schwenn fort, "mit der Öffentlichkeit weiter so umzugehen wie bisher."
Die Kammer ging auf diesen Antrag nicht ein. Denn man wolle sich ausschließlich mit Fragen geschäftigen, die das Arzt-Patienten-Verhältnis beträfen, sagte der Vorsitzende Michael Seidling lapidar. Ende der Diskussion.
Erster Revisionsgrund?
Hat die Kammer damit den ersten absoluten Revisionsgrund produziert? Die Frage, wann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann, ist kompliziert und bedarf jeweils einer gründlichen Abwägung. Zwar ist es in der Vergangenheit eingerissen, solchen Ausschlussanträgen fast reflexhaft nachzukommen: Zeugenschutz! Opferschutz! Persönlichkeitsrechte! Die Gefahr des Irrtums allerdings wuchs. Da tun sich Fallen auf, in die selbstgerechte Richter gern hineintappen.
Schwenn, der neue Verteidiger Kachelmanns, ließ am Freitag einige jener Waffen aufblitzen, die einer Verteidigung zur Verfügung stehen. Und er ließ keinen Zweifel daran, jede einzelne auch einzusetzen. So lehnte er zum Beispiel die von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige Luise Greuel wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Greuel hatte die Glaubhaftigkeit der Angaben von Kachelmanns mutmaßlichem Opfer zu analysieren - und war dabei zu einem Ergebnis gekommen, das den Anklägern unmöglich gefallen konnte. Für die Verteidigung war das Gutachten nicht ungünstig, bot aber auch keinen Anlass zu Jubel.
"Weitere Munition"
Doch das war für Schwenn nicht der Punkt. Er sprach von einer nur "nahezu rechtsprechungskonformen Begutachtung". Er warf Greuel vor, ihre Kompetenz als Aussagepsychologin überschritten zu haben, da sie über einen "totalen Zusammenbruch des Weltbildes" und, damit einhergehend, einem "seelischen Trauma" der Nebenklägerin spekuliert habe.
"Der Hypothese einer intentionalen Falschaussage", also einer bewussten Lüge, habe die Sachverständige "nur einige wenige Sätze gewidmet", kritisierte Schwenn. Sie habe über eine "Schockstarre" des mutmaßlichen Opfers spekuliert. Und sie habe in ihrem Gutachten sogar diskutiert, ob bei Kachelmann möglicherweise ein "Kontrollverlust" eingetreten sein könnte. Die Psyche des Angeklagten zu beurteilen, sei jedoch nicht ihre Aufgabe gewesen.
Fazit: Der erfahrenen Sachverständigen sei bewusst gewesen, was ihr Auftraggeber, die Mannheimer Staatsanwaltschaft von ihr erwartet habe, nämlich "weitere Munition gegen den Angeklagten", so Schwenn. Bei der "Jagd auf Kachelmann" habe sie sich hinreißen lassen.
Zu dem, was ursprünglich erwartet worden war, nämlich die Auseinandersetzung zwischen dem Traumatologen Seidler und dem forensischen Psychiater Hans-Ludwig Kröber kam es dann nicht mehr. Das Gericht schickte Seidler heim, mit der etwas fadenscheinigen Begründung, man wäre an diesem Verhandlungstag mit seiner Befragung ohnehin nicht fertig geworden.
Es scheint, als müssten sich die Mannheimer erst an die neue Gangart Schwenns gewöhnen. Bisher war der Eindruck entstanden, Kachelmann und seine Verteidiger haben es schwer mit diesem Gericht. Von jetzt an hat es das Gericht schwer mit Kachelmann und seinen Verteidigern.