Peter Maxwill

Schüsse auf Mann aus Eritrea Warum uns der rassistische Anschlag von Wächtersbach aufrütteln muss

Da fährt ein mutmaßlicher Rechtsextremist laut Polizei mit geladener Waffe durch eine Kleinstadt, um einen Schwarzen zu erschießen - und die bundesweite Empörung fällt routiniert aus. Ein Weckruf.
Tatort in Wächtersbach: Die Gefahr der kollektiven Abstumpfung

Tatort in Wächtersbach: Die Gefahr der kollektiven Abstumpfung

Foto: RONALD WITTEK/EPA-EFE/REX

Ein Mann setzt sich an einem warmen Julivormitttag in der deutschen Provinz ins Auto, um im Vorbeifahren jemanden zu erschießen. Irgendjemanden, es gibt nur ein Kriterium: Das Opfer soll schwarz sein.

So geschah es laut Polizei am Montag im südhessischen Wächtersbach - und man muss sich die Ungeheuerlichkeit dieser Tat klarmachen, diese erschütternde Beiläufigkeit rassistischer Gewalt: Da fuhr jemand einfach los, um einen arglosen Menschen aufgrund eines hasserfüllten Weltbilds zu töten.

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn wenige Wochen nach dem mutmaßlich rechtsextrem motivierten Mord an einem CDU-Politiker eine solche Tat geschieht? Und was verrät uns der Umgang mit diesem Anschlag über den Zustand von Demokratie und Debattenkultur?

Einige Politiker zeigten sich entsetzt, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier verurteilte "diese augenscheinlich fremdenfeindlich motivierte Straftat", eine Sprecherin der Bundesregierung sprach von einer "abscheulichen Tat".

Im Video: Ermittlungen nach Schüssen auf Eritreer

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Das sind Stellungnahmen, an denen es prinzipiell nichts auszusetzen gibt. Das Problem ist bloß, dass sie routiniert erscheinen. Eine gesamtgesellschaftliche Debatte über rechtsextreme Gewalt scheint gerade jedenfalls nicht neu entfacht zu werden.

Vielleicht liegt das daran, dass der Anschlag kein Mitglied der Mehrheitsgesellschaft traf und vielen schon deshalb nicht nah geht. Oder es liegt daran, dass das Opfer überlebte und der Täter tot ist? Als wäre dadurch die Gefahr gebannt und das grundsätzliche Problem gelöst. Das führt zu einer wichtigen Frage: Wie weit ist die kollektive Abstumpfung bereits fortgeschritten?

Offenbar ziemlich weit, wenn man bedenkt, dass dieser Fall an frühere Anschläge erinnert: Auch die NSU-Rechtsterroristen suchten ihre meisten Opfer nach heutigem Wissensstand willkürlich aus - Hauptsache, sie waren Migranten. Und auch im Fall Walter Lübcke ereignete sich die Gewalttat eines Neonazis in der hessischen Provinz, auch in diesem Fall stand wohl kein Terrornetzwerk dahinter.

Dass es sich keinesfalls um furchtbare Einzelfälle handelt, die in ein paar Tagen wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden sollten, zeigt möglicherweise auch das Datum des Anschlags von Wächtersbach: Genau acht Jahre zuvor hatte ein Rechtsextremist in Norwegen Dutzende Menschen ermordet, exakt drei Jahre zuvor erschoss ein junger Mann in München neun Menschen - auch in diesem Fall gehen manche Experten von Rechtsterrorismus aus.

Die Hemmschwelle ist weiter gesunken

Ob dieses Datum für den Täter von Wächtersbach irgendeine Rolle spielte, ist unklar. Klar ist aber: Es gibt eine düstere Tradition rechtextremer Gewalt, und augenscheinlich ist für Rassisten und Rechtsextremisten die Hemmschwelle weiter gesunken, zur Tat zu schreiten. Zuletzt gab es etwa eine bundesweite Serie rechter Gewaltandrohungen gegen Gerichte und Bahnhöfe, Politiker und Anwälte, allesamt unterzeichnet mit "Nationalsozialistische Offensive", "NSU 2.0" oder "Wehrmacht".

Der Fall Wächtersbach zeigt, dass auch von der Normalisierung rechter Gewalt und einem allzu geübten Umgang damit Gefahr ausgeht. Der Täter soll laut Medienberichten seinen Anschlag zuvor in einer Kneipe angekündigt haben, offenbar wandte sich daraufhin niemand an die Polizei.

"Jeder sollte hellwach sein", sagte nun Bürgermeister Andreas Weiher und rief dazu auf, Verdachtsfälle den Behörden zu melden. "Das sollte nicht überhört werden mit dem Gedanken: Das macht der eh nicht. Solche Signale sollten ernst genommen werden."

Weihers Aufruf ist wichtig, weil er lebensnah ist: Im Umgang mit rechter Gewalt reichen ritualisierte Polit-Reaktionen eben nicht aus, es braucht konkrete Maßnahmen und einen deutlich hörbaren Aufschrei. Denn das Problem ist groß - sehr groß, wie ein paar Beispiele allein aus diesem Monat zeigen:

  • In Dresden hat die Polizei bei einem vorbestraften Rechtsextremisten mehrere Waffen und Munitionsteile beschlagnahmt.
  • In NRW haben Reporter, die im rechten Milieu recherchieren, Briefe mit weißem Pulver erhalten, ein weiterer Journalist erhielt eine Morddrohung mit Bezug auf den Mord an Walter Lübcke.
  • In Baden-Württemberg soll ein selbsternannter Druide dazu aufgerufen haben, "Täter und Helfer, Beschützer und Nutznießer" einer angeblichen "Invasion" krimineller Einwanderer zu töten.
  • Verfassungsschützer sehen bei insgesamt 19 Personen ein "erhöhtes Gefahrenpotenzial"  für rechtsterroristische Aktivitäten - und das sind nur die jüngsten Zahlen aus Nordrhein-Westfalen.

Nach dem Mord an Walter Lübcke warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eindringlich davor, dass die Demokratie gefährdet sei. "Wir dürfen die Gefahr eines Terrorismus von rechts niemals wieder unterschätzen, ganz gleich, wen er trifft", sagte er damals, als hätte er geahnt, dass die nächste Gewalttat eines Rassisten schon bald folgen würde.

Steinmeier benannte damals den Kern des Problems, das weit über jeden Einzelfall hinausweist: Rechtsextreme Gewalttäter wollen die Idee der freiheitlichen Demokratie abschaffen, es geht also um Pluralität, Meinungsfreiheit, Menschenwürde. Das alles muss mitschwingen, wenn es nun um die Aufarbeitung der Gewalttat von Wächtersbach geht.


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