Klimademonstration Gewalt- und Foltervorwürfe gegen Wiener Polizei

Videos aus Österreich zeigen Fälle von fragwürdiger Polizeigewalt gegen Demonstranten. Ein Mann wird beinahe von einem Einsatzwagen überrollt.
Abzeichen am Arm eines österreichischen Polizisten: Ein Video von Beamten, die offenbar brutal bei einem Einsatz vorgehen, sorgt in Österreich für Entsetzen.

Abzeichen am Arm eines österreichischen Polizisten: Ein Video von Beamten, die offenbar brutal bei einem Einsatz vorgehen, sorgt in Österreich für Entsetzen.

Foto: Beata Zawrzel/ NurPhoto/ Getty Images

Am vergangenen Freitag war Wien der Mittelpunkt der weltweiten Klimademonstrationen. Greta Thunberg war angereist, sie hielt eine Rede vor Tausenden Menschen. Sie traf Arnold Schwarzenegger, und auch Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm sich Zeit für sie, trotz Regierungskrise. Die jetzigen Proteste, sagte die 16-jährige Aktivistin, seien "erst der Anfang vom Anfang".

Die Polizei Wien scheint schon von diesem Anfang überfordert zu sein. Im Netz tauchen Videos auf, die Teilnehmer der Kundgebung gefilmt haben. Sie zeigen, wie Polizisten Gewalt gegen Demonstranten ausüben. Seit dem Wochenende kursiert ein Video, das einen Mann zeigt, der am Boden liegt. Er wird von drei, später von fünf Beamten niedergedrückt und fixiert. Ein Polizist versetzt ihm mehrere Faustschläge. Im Hintergrund ruft eine Stimme immer wieder: "In die Nieren!" Die anderen Beamten schauen weg. Manche drehen ihrem Kollegen den Rücken zu , andere verscheuchen Passanten.

Das Video sorgt in Österreich für Entsetzen, nahezu alle Medien berichten darüber. Der öffentliche Druck zeigt Wirkung: Das Video sei an das Referat für besondere Ermittlungen weitergeleitet worden, teilt die Wiener Polizei mit. Das Referat allerdings ist Teil der Wiener Polizei - problematisch, wenn sie selbst Partei in einem Konflikt ist. Man habe außerdem einen Bericht an die Staatsanwaltschaft geschickt, heißt es weiter. "Die Wiener Polizei ist an einer vollständigen, lückenlosen Aufklärung des Vorfalls interessiert", sagt Polizeipräsident Gerhard Pürstl. "Bis zu diesem Zeitpunkt wird der betroffene Beamte ausschließlich im polizeilichen Innendienst tätig sein."

Video zeigt mutmaßliche Polizeigewalt

SPIEGEL ONLINE

Noch würden das Opfer, die beteiligten Polizisten und Augenzeugen vernommen, dies sei noch nicht abgeschlossen, heißt es. Der Vorfall soll sich ereignet haben, als Polizisten eine Straßenblockade in der Innenstadt räumten. Bei dem Opfer handele es sich um einen Passanten, der selbst nicht an der Sitzblockade teilgenommen habe, teilte eine Sprecherin der Aktivisten "Ende Geländewagen" mit. Der Mann sei zufällig vorbeigekommen und habe sich mit den Aktivisten solidarisiert. Er sei nach den Schlägen festgenommen und bis Samstagmorgen um drei Uhr festgehalten worden. Danach sei er ins Krankenhaus gegangen, weil er Schmerzen hatte. Die Polizei Wien teilt mit, er sei wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter schwerer Körperverletzung angezeigt worden.

Die Menge schreit auf

Seit Montag macht ein zweites Video  die Runde: Wieder liegt ein Mann am Boden und wird von zwei Polizisten fixiert. Er wird zu einem Polizeibus gezerrt, wo die Beamten ihn mit dem Kopf unter dem Fahrzeug platzieren. Der Fahrer schaut aus dem Fenster nach hinten. Dann sieht es aus, als gebe einer der Beamten dem Fahrer ein Zeichen, das Auto fährt los. Erst im letzten Moment reißen die zwei Polizisten den Mann weg und verhindern, dass sein Kopf überrollt wird. Auf dem Video ist zu hören, wie die umstehende Menge aufschreit. Der Mann, heißt es später, habe bei der Sitzblockade den Einsatz der Polizisten gefilmt. Internetnutzer werfen der Polizei wegen des Vorfalls Folter vor.

Zu diesem Video hat die Polizei sich bislang nicht geäußert. Auf Nachfrage des SPIEGEL teilt eine Sprecherin mit: "Wir konferieren derzeit noch und sprechen darüber. Wir werden uns zu gegebener Zeit dazu äußern." Wann genau das sei, wollte sie nicht sagen.

Eine Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences vom November 2018 ergab, dass Fälle von Misshandlungen durch Polizisten in Österreich kaum vor Gericht landen, sondern in den meisten Fällen von den Staatsanwaltschaften eingestellt werden. Dass nicht wenige die jetzt bekannt gewordenen Fälle von Gewalt nicht als problematisch ansehen, wird an den hitzigen Debatten deutlich, die derzeit im Internet geführt werden: Nutzer, die die Videos in den sozialen Medien verbreiten, werden von Leuten, die die Polizei zu verteidigen versuchen, als "Landesverräter" beschimpft.

kaz
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