Coronaleugner vor Gericht Zur Abwechslung mal kleinlaut

Angeklagter im Hamburger Amtsgericht: »Sehr spannende Zeit, in der wir gerade leben«
Foto:Martin Brinckmann
Es gibt drei Arten von Angeklagten. Die, die sich dafür schämen, sich vor Gericht verantworten zu müssen. Die, die einer möglichen Strafe mit Gleichgültigkeit begegnen. Und die, die sich im Recht fühlen, die sich nichts gefallen lassen wollen, die die Anklagebank als Bühne nutzen. Frederik M. dürfte eigentlich zur dritten Kategorie gehören.
Doch bis der Hamburger YouTuber in seine gewohnt selbstsichere, fast kühne Rolle findet, genehmigt er sich ein paar Stunden Aufwärmzeit in Kategorie eins. Bereits eine Stunde vor dem anberaumten Termin betritt der 30-Jährige das Amtsgericht Altona, er trägt Jeans, Wollmütze, neonfarbene Turnschuhe.
Ort und Uhrzeit der Verhandlung hat M. über seine Kanäle angekündigt und seine Follower animiert, ihn zu begleiten. »Megaheftigdoll« würde er sich freuen, »wenn viele Leute am Start« wären, sagte er. Tatsächlich hat zu diesem Zeitpunkt noch keiner seiner Fans den Weg in das alte Gemäuer gefunden.
Masken-Eklat im Kino
Frederik M. wird Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz in zwei Fällen vorgeworfen. Übersetzt heißt das: Gemeinsam mit seiner Ehefrau soll M. im vergangenen Oktober ohne Mund-Nasen-Bedeckung ein Kino betreten und sich nach Aufforderung geweigert haben, eine Maske aufzusetzen. Laut Anklageschrift zeigte sich M. uneinsichtig, lehnte das ihm angebotene Visier ab und weigerte sich, das Kino zu verlassen. Stattdessen habe M. den Mitarbeiter gefilmt und das Video auf Instagram veröffentlicht, wo es insgesamt mehr als 400.000-mal aufgerufen wurde, so Staatsanwalt Johannes Brockmann.
Zwei Tage später soll M. einen ähnlichen Auftritt in einem Supermarkt hingelegt haben: Wieder filmte er den Konflikt und stellte das Video ins Internet.
Wer M. aus sozialen Medien kennt, erlebt im Gericht einen ungewohnt kleinlauten Mann. Zweimal schüttelt er lächelnd den Kopf, als der Staatsanwalt die Vorwürfe verliest. Er werde sich »nicht dazu äußern«, sagt M. mit verhaltener Stimme.
»Fucking Grippe«
Seiner Community, seinen Fans, seiner Zielgruppe dürfte diese Seite des YouTubers fremd sein. Seit knapp vier Jahren lässt M. sie an seinem Leben teilhaben, er filmt sich, wie er an die Ostsee radelt, seine neue Wohnung bezieht und wie er einen Bußgeldbescheid über 328,50 Euro bekommt, weil er ohne Maske unterwegs war. Corona sei »eine fucking Grippe«, lässt M. seine Zuschauer wissen.
M. versteht sich als Freigeist. Im Juli 2017 eröffnete er seinen YouTube-Channel mit dem Anspruch, denen Hilfestellungen oder Anregungen zu bieten, die »noch mehr« aus ihrem Leben machen wollen, wie er sagt. Seit Beginn der Pandemie arbeitet er sich am Thema Corona ab: M. macht Straßenumfragen und rief am 1. Oktober auf, sich von der Maskenpflicht zu befreien: »Mein Appell an dich: Wenn du keinen Bock hast, dieses Ding zu tragen, dann bitte trag dieses Ding nicht. Es gibt keinen Grund, dieses Ding zu tragen.«
Auch gab M. seinen Followern Tipps, wie sie sich von der Maskenpflicht befreien können, und schärfte ihnen ein, er selbst lasse sich »gar nicht auf Diskussionen ein«. Er spricht vor der Kamera von der Angst, aus der Securityleute und Filialleiter handelten, von einer Zweiklassengesellschaft und vom Mut, den es brauche, sich dem Druck entgegenzustellen.
»Ich zeig dich an«
Nun sitzt M. in Saal 245 und muss sich die Videos, um die es geht, noch einmal ansehen. Man hört M. wie er den Securitymitarbeiter des Supermarktes anbrüllt: »Willst du mich verarschen, Digger? Ruf die Polizei! Ich zeig dich an wegen Körperverletzung!« Und man hört den Dialog zwischen ihm und dem Kinomitarbeiter, nachdem ihm und seiner Frau am Counter Einlass und Snacks verweigert worden waren: »Richtig, dass Sie einer schwangeren Frau kein Popcorn verkaufen?« Der Angestellte sagt, er wolle nicht gefilmt werden. M. ruft: »Was sind Sie für ein abscheulicher Mensch!« Der Angestellte bietet ein Visier an, verweist auf das Hausrecht. M. schreit zurück: »Dein Hausrecht zwingt dich, einer schwangeren Frau kein Popcorn zu geben? Ihr seid alle erbärmliche Leute.«
Kurz darauf setzt sich jener Kinomitarbeiter auf einen Stuhl im Gerichtssaal, keine zwei Meter von M. entfernt. Er ist als Zeuge geladen. Er sagt, den Dialog habe er mit M. bereits geführt, bevor dieser die Kamera eingeschaltet habe. Es klingt, als habe M. die Debatte extra inszeniert, um sie aufzeichnen zu können. »Er wurde immer lauter, hat immer mehr gepöbelt«, sagt der Mitarbeiter. M. und seine Begleiterin hätten schließlich das Kino verlassen, bevor die Polizei eingetroffen sei.
Am nächsten Morgen sei er davon überrascht worden, dass er es ungewollt zu einer kurzlebigen Internetberühmtheit gebracht habe, erinnert sich der Kinomitarbeiter. Das Video sei viral gegangen, mit ihm in der Hauptrolle, unverpixelt, das Namensschild am Revers. Was das mit ihm gemacht habe, will Staatsanwalt Brockmann wissen. Der 28-Jährige beschreibt unbequeme Tage, in denen er nicht schlafen konnte, sich mit Arbeiten ablenkte und verzweifelt versuchte, dieses Video aus dem Netz zu bekommen, bis er schließlich eine einstweilige Verfügung erwirkte. Schadensersatz sei ihm egal, sagt er. »Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden.«
»Wie haben Sie sich gefühlt?« – »Schlecht.«
So erging es auch der Leiterin des Supermarktes, die sich von M. provoziert fühlte, als er sie filmte, bis sie die Polizei rief. Keine zwei Stunden später habe sie Nachrichten von Bekannten erhalten, dass man sie auf einem Video bei TikTok sehen könne. »Wie haben Sie sich gefühlt?«, fragt Richter Birger Bischof. »Schlecht.«
Die Vorwürfe klingen nach Bagatelle, sagt Staatsanwalt Brockmann am Ende der Verhandlung. Doch in Wahrheit sei besonders die Situation im Kino »überdramatisiert« worden: Die Lage sei geklärt gewesen und erst dann habe M. »mit voller Absicht« noch einmal das Handy gezückt, um andere »vorzuführen« und »zur Schau zu stellen«. »Sie können über dieses Thema berichten, aber Sie können nicht Unbeteiligte mit reinziehen«, sagt Brockmann. Bedauerlich fände er zudem, dass sich M. vor Gericht zu den Vorwürfen nicht habe äußern wollen – anders, als er es im Vorfeld in den sozialen Medien getan habe.
M.s Verteidiger spricht in seinem Plädoyer von »Diskriminierung«, wenn Menschen wie M. öffentlich aufgefordert würden, ein Attest vorzulegen, das sie von der Maskenpflicht befreie. In seinem letzten Wort räumt M. ein, bei der Konfrontation im Kino in einem »emotionalen Ausnahmezustand« gewesen zu sein. Die Einsicht, von der sein Anwalt spricht, überzeugt nicht. Aber die Botschaft, die M. noch loswerden will, die bleibt im Gedächtnis: Er finde es eine »sehr spannende Zeit, in der wir gerade leben« und jeder solle wissen, »dass das Robert Koch-Institut uns alle verarscht«.
»An den digitalen Pranger gestellt«
Richter Bischof verurteilt M. am Ende zu 80 Tagessätzen à 40 Euro. M. habe in beiden Fällen das Hausrecht nicht akzeptiert, den Konflikt gefilmt und die Videos verbreitet. M. habe damit »Personen mit Gefühlen an den digitalen Pranger gestellt«.
Bischof verweist auf die Besonderheit der aktuellen Lage, auf die aufgeheizte Stimmung im Land durch die Pandemie. »Es zermürbt uns alle«, sagt er. »Die Allerwenigsten unter uns finden es schön, Maske zu tragen oder anderen sagen zu müssen, dass sie es tun sollen.« Es sei wichtig in einer Demokratie, seine Meinung zu äußern und sich zu engagieren, aber bei allem Engagement seien die Grenzen dann erreicht, wenn die Rechte anderer verletzt werden.
Frederik M. nickt, als teile er die Meinung des Richters. Auf der Treppe vor dem Gericht verharren die letzten der wenigen Anhänger, die gekommen sind. M. verlässt den Saal mit einer schwarzen Maske über Mund und Nase. Als er am Morgen gekommen war, hatte er sie noch unter einem Schal versteckt.