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Kapitän der "Costa Concordia" Das Totalversagen des Comandante Schettino

Kein Notruf, Verharmlosung der Situation, Flucht von Bord: Der inhaftierte Kapitän des havarierten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia", Francesco Schettino, gerät zunehmend in Bedrängnis. Erste Passagiere haben angekündigt, gegen die Reederei klagen zu wollen.

Er ging von Bord und überließ Verletzte, Verzweifelte und Desorientierte sich selbst: Francesco Schettino, Kommandant der verunglückten "Costa Concordia" steht im Kreuzfeuer der Kritik. Zwar sind die Daten der Blackbox noch nicht abschließend analysiert, aber schon jetzt steht fest: Der 52-Jährige hat nicht nur seinen Passagieren geschadet, sondern seinem ganzen Berufsstand.

Wie die Tageszeitung "Il Fatto quotidiano" berichtet, war es nicht der Kommandant, sondern eine Passagierin, die einen Notruf per Handy sandte. Demnach rief eine verzweifelte Frau in der Nacht zum Samstag ihre Tochter an und berichtete, sie sei in Seenot, trage eine Rettungsweste, während das Schiff sich immer mehr auf die Seite neige. Die Tochter informierte zunächst die Hafenkommandantur von Savona, die von nichts wusste. Dann rief sie die Carabinieri in Prato an, die die Kollegen in Livorno informierten. Diese kontaktierten endlich die Hafenkommandantur von Livorno, die sich schließlich auf die Suche nach dem sinkenden Schiff begab.

Der Kapitän soll auf einen Funkspruch der Küstenwache geantwortet haben, an Bord sei alles in Ordnung, man habe lediglich eine technische Panne, berichtet "Il Fatto quotidiano" unter Berufung auf Augenzeugen. Das Gespräch soll gegen 22 Uhr stattgefunden haben - eine Viertelstunde vorher hatte der Koloss die Klippe gerammt, Le Scole genannt, Granitfelsen, die tiefe Risse auch in das festeste Material reißen. Das Unglück ereignete sich nur 150 Meter von der Hafeneinfahrt der Isola del Giglio entfernt - in flachem Wasser, das für ein fast 300 Meter langes Schiff mit einem Tiefgang von über acht Metern nicht geeignet ist. Mit einer Geschwindigkeit von 15 Knoten soll der Kommandant die "Costa Concordia" auf die Insel zugesteuert haben - laut Experten viel zu schnell.

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Unglück der "Costa Concordia": Kapitän in der Bredouille

Foto: Peter Mayer/ dpa

"Zu Beginn hat die Brücke von einem technischen Defekt gesprochen ohne zu definieren, worum es sich handelt", sagte Oberstleutnant Italo Spalvieri von der Finanzpolizei der Zeitung. Dann habe man das Patrouillenboot gebeten, das Schiff abzuschleppen, "das war als ob man eine Ameise fragt, ob sie einen Elefanten verrücken kann". Nach etwa 20 Minuten sei dann das Signal zur Evakuierung gegeben worden.

Der Kapitän selbst soll einer der ersten an Land gewesen sein - ein Skandal, der nicht nur ehrenrührig ist, sondern ein Verstoß gegen das internationale Seerecht, das vorschreibt, dass der Kommandant eines Schiffes als Letzter von Bord geht. Man habe den Kommandanten gegen 0.30 Uhr am Samstag am Ufer entdeckt und mehrfach aufgefordert, auf sein Schiff zurückzukehren. Inständig habe das Küstenwachenpersonal an sein Verantwortungsgefühl und die Konsequenzen seines Verhaltens appelliert. Zwar habe der Kapitän daraufhin versprochen, an Bord zurückzukehren. Dies geschah jedoch nie.

Kreuzfahrtgesellschaft bestätigt menschliches Versagen

Der Vorstandsvorsitzende der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere, Pier Luigi Foschi, bestätigte derweil Vermutungen, die Inkompetenz des Kapitäns habe zu dem Unglück vor der toskanischen Küste geführt. "Wir werden unserem Kapitän vor Gericht beistehen, aber wir können nicht bestreiten, dass es menschliches Versagen war", sagte Foschi am Montagmittag auf einer Pressekonferenz in Genua. Er distanziere sich vom Handeln seines Kapitäns, so Foschi. Schettino habe seinen Kurs aus eigenem Willen und entgegen den schriftlich fixierten Regeln der Kreuzfahrtgesellschaft gewählt. Das Manöver sei von Costa Crociere weder gebilligt worden noch vorgesehen.

"Wir haben es mit einer Tragödie erheblichen Ausmaßes zu tun." Bei der letzten Überprüfung des Schiffs im vergangenen Jahr habe es keine technischen Beanstandungen gegeben, sagte Foschi.

Am Montagmittag musste die Suche nach Überlebenden wegen stärkeren Seegangs unterbrochen worden. Die Taucher hätten das Wrack verlassen, das sich zentimeterweise bewege, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa. Schlechteres Wetter könnte auch die Sicherung des Dieselöls in den Schiffstanks erschweren.

Der wahre Held: Manrico Giampedroni

Auch zahlreiche Besatzungsmitglieder suchten ersten Ermittlungen zufolge schnell das Weite. Als einer der wenigen Verantwortlichen blieb der 57-jährige Bordkommissar Manrico Giampedroni, der inzwischen zum Helden der Tragödie avanciert ist - weil er tat, was zu tun ist im Falle eines Unglücks: Der Mann aus Amelia bei La Spezia half den Passagieren in die Rettungsboote und kontrollierte, ob noch Verletzte in den Kabinen waren. Dabei rutschte er aus, brach sich ein Bein und harrte 36 Stunden verletzt aus, bis er gerettet werden konnte.

Kapitän Schettino soll sich derweil ein Taxi genommen haben. "Bringen Sie mich weit weg von hier", sagte er dem Fahrer laut "Il fatto quotidiano". "Kommandant, ich kann Sie zu mir bringen", antwortete der Mann und fuhr mit dem Kapitän nach Hause, wo er ihm einen Kaffee bereitete.

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"Costa Condordia": Unterwasserfotos zeigen Zerstörung

Foto: DPA/ Guardia di Finanza

Mehrfach habe die Hafenkommandantur danach Schettino angerufen und gefragt, warum er nicht an Bord der "Costa Concordia" sei. "Ich bin da nicht und werde auch nicht dahin zurückkehren", so die Antwort. Schettino wurde am Samstag festgenommen und sitzt nun im Gefängnis von Grosseto in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fahrlässige Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und das Verlassen des Schiffs vor. Die "Costa Concordia" habe sich sehr ungeschickt der Insel genähert, so die Ermittler.

Autopilot deaktiviert?

Staatsanwalt Francesco Verusio ist davon überzeugt, dass der Kapitän eine Parade gefahren ist, das sogenannte "Verneigen" praktiziert hat, bei dem ein Kreuzfahrtschiff nah an die Küste heranfährt um seine Nebelhörner ertönen zu lassen und damit Passagiere wie Landbewohner zu erfreuen. Bei einem solchen Manöver wird in der Regel der Autopilot deaktiviert und auf Sicht gefahren.

Wie der "Corriere della sera" berichtet, soll er einen der Mitarbeiter extra auf die Brücke geholt haben, um ihm die Insel aus der Nähe zu zeigen: "Antonello, guck mal, wir liegen direkt vor deiner Insel", soll jemand zu dem Angestellten gesagt haben, der auf Giglio geboren ist. "Achtung, wir sind ja total nah an der Küste", soll dieser geantwortet haben. Doch da war es schon zu spät. "Jetzt wird die Blackbox sprechen", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Grosseto und versprach baldige Aufklärung.

Laut einem Bericht der Website Giglio News soll der Bürgermeister der Insel Giglio, Sergio Ortelli, sich noch im vergangenen August per Mail bei einem Kapitän der "Costa Concordia", Massimo Callisto Garbarino, für eine solche Ehrenrunde entlang der Küste bedankt haben. Touristen wie Einheimische seien begeistert von dem Spektakel gewesen, "das zu einer unverzichtbaren Tradition" geworden sei. Die Reederei Costa Crociere zeichne auf diese Weise eine Insel aus, die zu den schönsten im Land gehöre, freute sich der Bürgermeister.

Mindestens zwölf Deutsche vermisst

Derzeit gelten noch mindestens 16 Personen als vermisst. Die Zahl der gesuchten Kreuzfahrtpassagiere aus Deutschland hat sich auf zwölf erhöht. Eine Sprecherin des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) bestätigte einen Vermisstenfall in Bayern. Das bedeute aber nicht unbedingt, dass die Person im Schiffsrumpf eingeschlossen sei. Viele Passagiere hätten, ohne sich amtlich registrieren zu lassen, die Heimreise auf eigene Faust angetreten.

Zuvor hatten deutsche Polizeidienststellen elf Vermisste aus anderen Bundesländern gemeldet, darunter ein Paar aus dem Raum Aschaffenburg, zwei Schwestern aus Offenbach und ein Mann aus Maintal. Auch von zwei Frauen aus Baden-Württemberg fehlt noch jede Spur.

Das zuständige Hafenamt in Livorno hat die Kreuzfahrtgesellschaft in einem Mahnschreiben aufgefordert, unter Berücksichtigung der noch laufenden Suchaktionen "das Schiff zu sichern und abzuschleppen". Offen ist, ob es etwa bei stürmischer See weiter abrutschen könnte.

Nach einem Abschluss der Such- und Bergungsaktion wird vor allem die Frage nach möglichen Umweltbelastungen für die knapp 2400 Tonnen Dieselöl in den Tanks der "Costa Concordia" in den Vordergrund treten. Spezialisten sind bereits auf der Insel, und der italienische Umweltminister Corrado Clini hat für diesen Montag eine Gruppe von Fachleuten nach Livorno eingeladen, um das Problem zu erörtern.

Zwei französische Passagiere, Olivier Carrasco und Jessica Quintale haben laut Informationen von "Sud Ouest online" beschlossen, "Costa Crociere" zu verklagen. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Einzigen bleiben. "Wir waren völlig auf uns selbst gestellt, es gab keine Organisation", sagte Carrasco. Es habe eineinhalb Stunden gedauert, bis Alarm ausgelöst worden sei. "Niemand hat uns gesagt, dass wir in die Rettungsboote steigen sollen. Die Leuchte an meiner Rettungsweste funktionierte nicht." Eine Rettungsübung habe es nie gegeben.

Am Montag gab es auch erste Schätzungen über die Schäden, die das Unglück verursachte: Demnach soll die Havarie des Kreuzfahrtschiffs den weltweit drittgrößten Rückversicherer Hannover Rück mindestens zehn Millionen Euro kosten. Eine Sprecherin sagte am Montag, das Schiffsunglück bedeute einen Großschaden für die Hannover Rück. Als Großschaden definiert der Konzern Forderungen von mindestens zehn Millionen Euro.

Der Schiffseigner Carnival bleibt laut eigenen Angaben auf einem Schaden von 85 bis 95 Millionen Dollar sitzen, weil die "Costa Concordia" nicht einsetzbar ist. Das Schiff ist laut Angaben des Eigentümers mit einem Selbstbehalt von 30 Millionen Dollar versichert.

Mit Material der Agenturen
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