Karnevals-Peinlichkeit Wie Friedrich Merz die Rede mopste
Aachen - Merz war am Samstag anlässlich seiner Auszeichnung als "Ritter wider den tierischen Ernst" aufs Podium des Aachener Karnevalsvereins gestiegen. Motto der Sitzung: "Prinzen, Gaukler, Bänkelsänger - Ritter Merz, der Narrenfänger". Vor mehr als 1300 Zuschauern zog der frisch ernannte Ordensträger in seinem "Elf-Punkte-Programm für Deutschland" ordentlich vom Leder.
Die Bundeswehr solle abgeschafft werden, forderte der in weißer Ritterrüstung gekleidete Merz. Für Anlässe wie Beerdigungen oder Entlassungen könne sie durch eine Trachtengruppe unter Führung von Karl Moik ersetzt werden. Zudem würden künftig Gebühren für die Anwesenheit von Politikern bei Vereinsfesten erhoben: "Roberto Blanco singt bei der Einweihung eines Baumarktes ja auch nicht kostenlos." Die Zuschauer waren begeistert: Mit stehenden Ovationen feierten sie ihren neuen scharfzüngigen Karnevalsritter.
Doch die gefeierte Ansprache stammt größtenteils nicht von Merz, sondern ist aus dem Internet-Satiremagazin "zyn.de" kopiert. Dort hatte "zyn.de"-Mitarbeiterin Monika Rieboldt im Mai 2003 ein fiktives Interview mit dem ehemaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer aufgeschrieben, der im Jahre 2010 als Bundeskanzler seine Sanierungserfolge für Deutschland resümiert.
In dem Beitrag erklärt von Pierer, man habe Mecklenburg-Vorpommern wegen seiner Landesschulden für einen Euro an die USA als Atomtestgelände verkaufen müssen. Man habe noch weitere Einsparpotentiale entdeckt und die Bundeswehr abgeschafft. Auch Minister könnten zum Abbau der Schulden dienen und für ihre Wahlkreisbesuche Geld verlangen: "Roberto Blanco singt bei der Einweihung eines Baumarktes ja auch nicht kostenlos", lässt die Autorin ihren Gesprächspartner sagen.
Rieboldt reagierte empört: Das sei "grober Ideenklau" und "eine Gemeinheit", zitierte die "Aachener Zeitung" die Autorin. Rechtliche Schritte wolle sie aber trotz des "beschämenden" Vorgehens von Merz nicht einleiten.
Der Aachener Karnevalsverein konnte die Vorwürfe nicht bestätigen. "Wir wissen nicht, woher Herr Merz seine Rede hat. Sie war auf jeden Fall gut, daran gibt es nichts zu rütteln," sagte Presesprecherin Petra Finke SPIEGEL ONLINE.
In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber SPIEGEL ONLINE verteidigte sich Merz: "Die Vorwürfe, die mir gemacht werden, sind wirklich nicht berechtigt. Ich habe meine Rede selbst geschrieben und bekomme bis heute sehr viel Zustimmung dafür." Merz wörtlich: "Ich habe allerdings einige Gedanken übernommen aus einem Text, den ich vor längerer Zeit zugeschickt bekommen habe, und von dem ich nicht wusste, dass er auch schon veröffentlicht worden war. Aber selbst wenn ich es gewusst hätte: Es gibt keine Rede dieser Welt, in der alles neu ist." Außerdem könne es im Karneval vorkommen, dass ein Witz zweimal erzählt werde. "Wenn sich trotzdem jemand durch meine Rede beschwert fühlt, bedaure ich dies", schreibt Merz. Aber schließlich sei Karneval und "vielleicht bringen wir alle zusammen den Humor dazu auf und lassen uns die Freude an der gut gelungenen Festsitzung in Aachen nicht nehmen", schrieb Merz in seiner Stellungahme. Er jedenfalls lasse sich die Freude nicht nehmen.
Gegenüber der "Aachener Zeitung" hatte Merz gestern Abend eingeräumt, dass er den Satiretext im vergangenen Jahr als E-Mail-Anhang geschickt bekommen habe. Er sei davon ausgegangen, dass der Absender auch der Verfasser des Textes gewesen sei, zumal in der verschickten Version nicht von Pierer, sondern er selbst der Gesprächspartner gewesen sei. Er habe sich gedacht, "das ist doch was für Aachen". Dass der Elf-Punkte-Plan schon andernorts erschienen sei, "konnte ich nicht ahnen". An den Verfasser der Mail könne er sich nicht erinnern.
Laut "Aachener Zeitung" hatte Merz noch eine Woche zuvor erklärt, dass "ich meine Rede natürlich selber schreibe".
Roman Heflik