Ein Leben im Offline: "Ich verschicke Fotos auf einem Stick per Post"

Kein Internet, kein WLAN – und plötzlich spürst du, was dir wirklich wichtig ist. Oder?
Von Annika Eliane Krause, Sinah Hoffmann und Jan Petter

Dieser Beitrag wurde am 12.01.2017 auf bento.de veröffentlicht.

Wenn wir etwas wissen wollen, googeln wir. Unseren Freunden schreiben wir bei WhatsApp. Wir verlaufen uns nicht, dank Google Maps. Musik läuft über Spotify, Serien bei Netflix. Und wenn wir Lust auf ein Date haben, wird die rote Flamme namens Tinder geöffnet.

Wir sind online, immer. Für jedes Bedürfnis gibt es eine App. Unser Handy liegt auf dem Tisch, direkt vor uns. Denn wir brauchen es: gegen Langeweile, als Informationsquelle, als Verbindung zur Umwelt.

Wir haben mit drei jungen Menschen gesprochen, für die das nicht selbstverständlich ist. Bei ihnen funktioniert das Internet nicht, die technischen Verbindungen fehlen. In manchen Orten in Deutschland sind ganze Nachbarschaften einfach offline.

Wie fühlt es sich an, mit schlechtem Netz zu leben?
Julia, 18, Abiturientin

"Ich lebe in Eisenschmitt, einem winzigen Ort, 50 Kilometer von der luxemburgischen Grenze entfernt – viel Wald, etliche Felder, 300 Einwohner. Seit Jahren gibt es Probleme mit den Sendemasten. Das ganze Dorf liegt in einem Funkloch. Für normalen Empfang müssen wir etwa fünf Kilometer mit dem Auto fahren. Manchmal, mit viel Glück, habe ich auf dem Balkon einen Balken, der aber sofort wieder verschwindet, wenn ich mich auch nur einen Millimeter bewege.

Zuhause ist mein Handy jedenfalls ziemlich nutzlos. Ich kann nicht telefonieren, von mobilen Daten will ich gar nicht sprechen. Auch das WLAN im Haus meiner Eltern ist eine Katastrophe. Die Übertragungsrate ist so gering, dass es manchmal eine halbe Stunde dauert, um Bilder bei WhatsApp zu öffnen. Um mich mit meinen Freunden zu verabreden, kann ich natürlich auch zum Haustelefon greifen, das bin ich schließlich seit meiner Kindheit gewöhnt.

Trotzdem fühle ich mich oft ziemlich abgeschnitten von der Welt. Besonders jetzt in der Oberstufe macht sich das bemerkbar. Wenn ich zum Beispiel bestimmte Fachvideos schauen oder im Internet recherchieren muss. An meiner Schule ist es üblich, Hausaufgaben per E-Mail einzureichen. Abgabeschluss ist um 22 Uhr Abends. Ich plane vorsichtshalber eine halbe Stunde für das Verschicken meiner Hausaufgaben ein.

Und du? Zufrieden mit dem Internet?

Oft muss ich den Router mehrmals aus- und anstellen und auch mal den Rechner runterfahren, bevor die Mail mit einer PDF-Datei im Anhang endlich rausgeht. Einmal hätte ich fast eine Sechs kassiert, weil die Verbindung komplett abbrach. Meine Lehrer kennen das Problem, aber niemand kann sich wirklich vorstellen, wie viel Nerven ein schlecht funktionierendes Internet kostet.

Ganz oft höre ich von Menschen: 'Ist doch schön, mal nicht erreichbar zu sein.' Das mag vielleicht im Urlaub entspannend sein. Aber ganz sicher nicht, wenn man im Alltag von einer schnellen Verbindung abhängig ist."

Jana, 24, Studentin

"Ich komme aus Nettetal. Das liegt in Nordrheinwestfalen an der Grenze zu Holland. Nettetal an sich ist gar nicht so klein. Es hat 42.000 Einwohner und ist in sechs Stadtteile unterteilt. Ich wohne in dem kleinen Stadtteil Schaag mit knapp 4000 Einwohnern.

Ich verschicke meine Fotos auf einem USB Stick per Post.

Jana

Da ich am äußeren Rand von Schaag wohne, ist die Internetverbindung dort recht schlecht. Das größte Problem habe ich, wenn ich Daten hochladen will. Ich habe Kommunikationsdesign studiert und fotografiere. Der Upload von Fotos in einer normalen, guten Auflösung funktioniert einfach nicht. Das versuche ich auch erst gar nicht, weil es so aussichtslos ist. Deswegen habe ich angefangen, meinen Kunden die Daten persönlich vorbeizubringen oder per USB-Stick zu verschicken.

Das Haustelefon funktioniert, das Handy-Netz bricht gelegentlich weg. Es kommt darauf an, wo ich im Haus stehe. Wenn ich Bilder per Whatsapp verschicken oder empfangen möchte, ist die Frage, ob das per WLAN funktioniert oder ob ich besser vor die Tür gehe und warte, bis mein Handy 3G empfängt. Aber selbst kleine Bilddateien brauchen meist um die drei Minuten.

In meinem Zimmer auf dem Dachboden empfange ich ganz schlecht Internet. Da gibt es zwei, drei komplett netzlose Stellen.

Meine Freunde, die direkt an der Grenze wohnen, haben immer Ärger damit, dass das Netz von Deutschland nach Holland wechselt. Die haben oft total hohe Telefonrechnungen, weil sie aus Versehen im niederländischen Netz surfen."

Marion, 30, Studentin

"Als ich zum Studium nach Görlitz gezogen bin, konnte ich es kaum glauben: Wohnungen, die so viel gekostet haben wie davor mein WG-Zimmer. Noch dazu in unglaublich schönen Altbauten. Als es dann hieß, dass es in der ganzen Straße kein Internet gibt, dachte ich mir noch, dass das eben mal was anderes ist und war optimistisch.

Nach der ersten Euphorie und dem Unistart wurde das dann bald anders. Wenn man im Winter allein in der östlichsten Stadt Deutschlands und dann noch ohne Internet ist, fühlt man sich weiter weg als in Indien oder Madagaskar. Die Tage erscheinen doppelt so lang und man beginnt sich zu fragen, ob man davor eigentlich wirklich so viel Zeit im Internet verbracht hat.

Damals wurden meine Freunde und ich richtig erfinderisch. Wir haben viel mehr Zeit in der Uni verbracht, als eigentlich notwendig war und dort das WLAN angezapft. Einige haben sich alle Serien oder Filme auf dem Laptop vorgestreamt, damit sie zu Hause was anschauen konnten. Ich habe Mails in Word vorgetippt und dann in der Uni abgeschickt.

Plötzlich freut man sich auf jeden Chat mit Freunden.

Marion

Mit der Zeit habe ich das Leben ohne Social Media dann richtig zu schätzen gelernt. Plötzlich freut man sich auf jeden Chat mit Freunden. Beim Kochen mit Freunden haben wir immer wieder auf dem Rechner gewühlt, was für unentdeckte Musikschätze noch auf der Festplatte schlummern. Und im Sommer sind wir mehr raus, in die Parks und ins Café.

Ich habe mehr gelesen, auch für die Uni. Richtige Bücher, anstatt PDFs. Und neben den wenigen Mails habe ich wieder viel mehr klassische Briefe geschrieben und dann auch zurückbekommen, das war sehr schön. Außerdem habe ich mich daran gewöhnt, manchmal auch alleine zu sein und mir selbst Dinge zu suchen, die mich beschäftigen.

Ich bin während des Studiums noch mehrfach umgezogen. Die Zeit ohne Internet prägt mich aber bis heute. Ich habe damals gelernt, wie viel mir Freunde und Familie bedeuten und wie wichtig der Austausch mit anderen ist, der oft so selbstverständlich scheint."

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