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Sommertiere: Normalerweise unnormal

Foto: Stephan_Jansen/ picture-alliance / dpa/dpaweb

Gesichtet Godzilla, der Sommerlochkaimankrötenbär

Spät, aber gerade noch rechtzeitig hat ein unfassbar unverantwortlicher Unbekannter eine enorm gefährliche Alligatorschildkröte in einem bayerischen Badesee ausgesetzt. Befürchtungen, wir müssten in diesem Jahr ohne ein spektakuläres Sommerlochtier auskommen, erweisen sich damit als unbegründet.

Am Samstag, 10. August 2013, um 12 Uhr und sechs Minuten seufzten geschätzt 160 Nachrichtenredakteure, die im Tickerdienst den an diesem Wochenende viel zu unsteten Nachrichtenfluss der Agenturen im Auge behielten, tief erleichtert auf. "Bade-Alarm in Bayern", meldete die dpa, "Suche nach gefährlicher Schildkröte".

War es endlich so weit?

Augenscheinlich ja: "Monster-Alarm in Bayern", leitete die Nachrichtenagentur ihre Meldung ein, gefolgt von einem verheißungsvollen Doppelpunkt. Dahinter alles, was des Redakteurs Herz erfreut:
Ein gefährliches Tier!
Ein nicht zu schwer verletztes Kind!
Eine heroische Suche!

Nur um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Nach Sachlage stimmt die Geschichte von der Geierschildkröte im Badesee, die auch wir am Samstagnachmittag brachten. Es stimmt aber auch, dass sie überfällig war. Journalisten lieben Tiere, besonders im Sommer. So wie Sie, liebe Leser. Wir sind da sozusagen Komplizen.

Ist ja auch kein Wunder. Rund ums Jahr befassen wir uns mit Nachrichten, und die meisten davon sind, Hand aufs Herz, reichlich deprimierend. Nachrichten haben das so an sich: Wenn irgendwo etwas Schlimmes passiert, erfährt man das ruck, zuck. Von den meisten guten Dingen erfahren auch wir Journalisten nie.

Im Sommerloch, wenn die Meldungslage dünn oder monoton wird, weil die Politik pausiert oder wegen Wahlkampf auf echte Themen verzichtet, fangen wir dann regelrecht an, danach zu suchen: Positives, Erbauliches, Lustiges, Buntes. Nichts ist da besser als Tiere.

Tiere können sympathisch sein oder niedlich, aber auch gruselig oder geheimnisvoll. Vor allem aber haben sie den Vorteil, dass man Geschichten um sie herum spinnen kann: Zeugen, die von mysteriösen Sichtungen berichten. Experten, die Verhalten deuten oder Wahrscheinlichkeiten einschätzen. Lobbyisten, die je nach Tier und Situation entweder seine sofortige Erschießung oder umgehende Rettung fordern!

Da wird der Journalist endlich zum Tagesschriftsteller, wie Emil Dovifat, der Begründer der deutschen Zeitungswissenschaft, das Wort einst übersetzte. Es ist ein Journalistentraum, der jedes Jahr Zeitungsseiten und ganze Sendestunden füllt. Themen ohne Schwere und juristische Relevanz! Es ist die Stunde, in der keine Faktenlage mehr den kreativen Prozess behindert und man ungestraft auch in die Stilkiste greifen darf, um auf der emotionalen Klaviatur zu spielen.

Dabei ist die Rezeptur dieses leckeren Nachrichtenmahls im Grunde ganz einfach:

Die Zutaten

Tiere. Entweder gefährliche oder exotische, die sich irgendwo, wo sie nicht hingehören, entweder weithin sichtbar herumtreiben oder aber geheimnisvoll verstecken. Letzteres hat übrigens den Vorteil, dass man noch nicht mal eines zeigen muss - was zum Beispiel mit den Krokodilen, die alljährlich im Rhein vermutet werden, immer gelingt. Also eigentlich nicht, wenn Sie wissen, was ich meine.

Aber was soll's? Je unsichtbarer, desto geheimnisvoller und bedrohlicher!

Noch besser ist es aber, wenn Tiere sich irgendwie abnorm verhalten und dabei auch nicht stören lassen. So wie die entlaufende Kuh Yvonne, die eine Karriere als Aushilfswildrind einer erheblich kürzeren als Schlachtvieh vorzog - da identifiziert und solidarisiert man sich doch!

Absolut ideal ist es natürlich, wenn so ein Tier, das gleich mehrere solcher Kriterien erfüllt, sogar hier heimisch ist. Also quasi nach Bedarf besucht werden kann, um damit ein Sommerloch zu füllen. So wie die in Mecklenburg-Vorpommern heimischen Nandus, die ziemlich verlässlich jedes Jahr zur Brutzeit Jogger oder Radfahrer attackieren. Der ideale Mix aus Exotik, Witz und Bedrohung!

Ist das alles nicht zu haben, können nur noch Freaks den Sommer retten. Schielende Opossums, Nacktmulle oder ganz besonders hässliche Hunde. Was für ein Glück, das wir so etwas in diesem Jahr weder finden noch erfinden müssen.

Die bayerische Geierschildkröte, berichtete die dpa am Sonntag, 13 Uhr, soll jetzt übrigens auch endlich einen Namen bekommen: Lotti.

Meiner Meinung nach ist das verschwendetes Schlagzeilenpotential.
Ich persönlich hatte auf "Godzilla" gehofft.
Na, vielleicht setzen wir das ja durch, wir Komplizen.

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