Kindesmissbrauch durch Pater Katholische Kirche bittet um Vergebung

Priester beim Gebet: "Es gilt, sich zutiefst bei den Opfern zu entschuldigen"
Foto: ? Kai Pfaffenbach / Reuters/ REUTERSHannover - Mit einem beispiellosen Schuldeingeständnis hat die katholische Kirche in Hannover auf den Missbrauchsskandal durch Geistliche reagiert. "Die ganze Institution hat Schuld, weil sie für eine Mentalität gesorgt hat 'Bitte nicht darüber reden'", sagte Regionaldechant Propst Martin Tenge im Sonntagsgottesdienst in der Basilika in Hannover. Wenn ein katholischer Priester, der eine Institution mit so hohen Moralvorstellungen vertrete, sexuellen Missbrauch begehe, führe dies zu einem nicht mehr heilbaren Bruch. "Es gilt, sich zutiefst bei den Opfern zu entschuldigen."
Nach Bekanntwerden von Missbrauchsfällen durch Jesuiten-Pater unter anderem in Niedersachsen wurde am Sonntag in allen Kirchen des Bistums Hildesheim eine Erklärung von Bischof Norbert Trelle verlesen. Das Bistum werde alles daran setzen, für Aufklärung zu sorgen, heißt es darin. Die Fälle erfüllten ihn "mit Scham und Empörung" und bedrückten ihn zutiefst. Das Bistum rief mögliche weitere Opfer auf, sich zu melden.
In Niedersachsen geht es um zwei Pater, denen Missbrauchsfälle in Göttingen, Hannover und Hildesheim angelastet werden. Der in Hannover von 1971 bis 1974 eingesetzte Pater wurde von Tenge vor der Gemeinde beim Namen genannt.
Priester als Täter und Opfer
Von etlichen Amtskollegen zeichnete er ein erschütterndes Bild. Er kenne nicht wenige Priester, die Täter seien, sagte Tenge zu Anfang seiner Predigt in der vollbesetzten Basilika. "Ich kenne persönlich auch Opfer. Teilweise kenne ich die Kombination des Priesters als Täter und Opfer", sagte der Propst, der selber 15 Jahre als Jugendseelsorger gearbeitet hat. "Ich finde es richtig, wenn die Opfer wütend werden und ihren Zorn auf die Kirche rauslassen, sie haben Recht."
Auch der Hamburger Erzbischof Werner Thissen sprach sich für eine konsequente Aufklärung des Missbrauchsskandals an deutschen Jesuiten-Schulen aus. "Ich bin der Leitung der Jesuiten dankbar, dass sie jetzt so schnell und konsequent reagiert hat, damit Licht in dieses Dunkel kommt", sagte Thissen am Sonntag in seiner Predigt. "Es gibt ja bedrückende und irritierende Dunkelheit."
Derweil fordern kritische Katholikengruppen eine Korrektur der bischöflichen Leitlinien, die den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche regeln. So regt Bernd Göhrig, Geschäftsführer der "Kirche von unten", die Einführung unabhängiger Ombudsstellen an.
Auf der am 22. Februar beginnenden Tagung der Deutschen Bischofskonferenz wollen sich die Oberhäupter der katholischen Bistümer mit dem kirchenweiten Missbrauchsskandal auseinandersetzen.
Andachtsgottesdienst in Berlin
Die katholische Kirche in Berlin gedachte am Sonntag in einem Gottesdienst der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg. In der St. Hedwigs-Kathedrale - dem Bischofssitz im Erzbistum Berlin - sagte Dom-Kapitular Ulrich Bonin, es falle ihm schwer, "zu Beginn des Gottesdienstes nicht an die Opfer der Missbrauchsfälle zu denken". Es sei wichtig, auch an die zu erinnern, "die Schaden genommen haben".
In Anspielung auf die schwindende Dunkelheit des Winters sagte der Dom-Kapitular: "Wir sollten zu Beginn unseres Gottesdienstes an unsere Dunkelheit denken und sie heller werden lassen." Es müsse Licht auf die Fälle von Missbrauch fallen. "Aber es darf kein künstliches Licht sein, sondern ein Licht des Glaubens. Kein Blitzlichtgewitter des Medien-Hypes, sondern Gottes Licht." Man dürfe die Fälle nicht verdrängen. Aber das Thema werde durch die Medien künstlich beleuchtet.
Viele Gemeindemitglieder und Besucher des Gottesdienstes stimmen dieser Ansicht zu. Auch sie sei enttäuscht über die Medien, sagte eine etwa 50-jährige Frau. "Es tut mir weh, das zu lesen". Vielleicht müsse jetzt das Eheverbot für Priester, das Zölibat, abgeschafft werden. "Vermutlich werde es dazu aber nicht kommen", sagte sie.
"Der Elite-Anspruch ist weg"
Ein anderer Katholik sagte, er habe nicht erwartet, dass der Skandal in der Predigt erwähnt werde. Das sei doch kein Thema für den Gottesdienst. Ulrich Real wiederum fürchtet vor allem um den Ruf der Jesuiten-Schule in Berlin, an der die ersten Fälle bekannt wurden. "Der Elite-Anspruch ist wohl erst mal weg", sagte der Mann aus Berlin-Spandau, der extra für den Gottesdienst in den Stadtteil Mitte gekommen war. Er denke, dass die Sache nicht in jeder Predigt angesprochen werden müsse. Die Fälle hätten ja bereits ein breites Forum durch die vielen Berichte.
In dem Missbrauchsskandal des Jesuiten-Ordens steht das katholische Elite-Gymnasium Canisius-Kolleg in Berlin-Tiergarten im Mittelpunkt. Dort gibt es mit bisher 30 bekanntgewordenen Fällen die meisten Opfer. Drei Pater werden beschuldigt, in den siebziger und achtziger Jahren Schüler sexuell missbraucht zu haben. Auf SPIEGEL ONLINE beschrieb ein ehemaliger Jesuiten-Zögling, wie die Pater ihre Neigungen jahrzehntelang geheim halten konnten.
Einer Umfrage des SPIEGEL zufolge sind in allen 27 deutschen Bistümern seit 1995 mindestens 94 Kleriker und Laien unter Missbrauchsverdacht geraten.
"Es ist schrecklich, was passiert ist, keine Frage", räumte eine Besucherin kurz vor Beginn des Gottesdienstes in Berlin ein. Aber Kindesmissbrauch sei doch ein gesellschaftliches Problem und kein kirchliches. "Das erschüttert meinen Glauben jedenfalls nicht", fügte sie fast ein bisschen trotzig hinzu und verschwand im Gotteshaus.