
Fotoserie von Klaus Pichler: Wo die wilden Tiere wohnen
Verkleiden als Hobby Bitte lachen Sie jetzt nicht!
Schon immer haben Klaus Pichler die Menschen interessiert. Was sie tun und warum; vor allem, was sie mit ihrer Freizeit anfangen. Jetzt stellt der Wiener Fotograf mit der Serie "Just the two of us" ein ungewöhnliches Hobby vor: das Verkleiden. Dutzende Menschen hat er dafür zu Hause besucht. Sie haben für ihn ihre Kostüme angezogen, er hat sie fotografiert.
Allerdings ließ er die Menschen mit ihrem Alter Ego nicht in eine andere Welt entfliehen: Er inszenierte seine Motive in ihrer gewohnten Umgebung, im Alltag. Frauen in Bärchen-Kostümen auf der Wohnzimmercouch, Männer in Mittelalteruniformen bei der Hausarbeit. Die Fotografierten bleiben anonym - nur Kostüme und Einrichtung sollen Aufschluss über die Person geben.
SPIEGEL ONLINE: Herr Pichler, Sie fotografieren als Krümelmonster verkleidete Menschen in ihrem Zuhause am Küchentisch und schwarze Ritter beim Bügeln. Wie kriegt man das perfekte Monster-Stillleben hin?
Pichler: Die Leute sollten nicht aufräumen, aber das klappt natürlich nie. Wer zu Hause fotografiert wird, putzt vorher. Das ist schade, denn ich fotografiere die Leute anonym. Nur das Zuhause gibt Aufschluss über den Verkleideten - obwohl das natürlich auch geputzt immer noch etwas über den Fotografierten aussagt.
SPIEGEL ONLINE: Was sind das für Leute, die sich in einem Drachenkostüm an den heimischen Flügel setzen?
Pichler: Es sind Menschen verschiedenen Alters und aus verschiedenen sozialen Schichten. Die Mittelalterleute zum Beispiel, die sind oft etwas älter, gestandene Männer, Familienväter, Handwerker.
SPIEGEL ONLINE: Also nicht nur die Klischee-Fantasy-Fans?
Pichler: Es sind Leute wie du und ich. Es sind nicht die berühmten Nerds. Deren Anteil ist sehr klein. Der Großteil der Leute gehört eher der Mittelschicht an. Haus, Auto, Hund.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie Ihre Objekte gefunden?
Pichler: Die Recherche war am schwierigsten, ich habe fast drei Jahre gebraucht. Wenn mich jemand ansprechen würde, ob er mich verkleidet zu Hause fotografieren darf, würde ich denken, der ist verrückt. Viele Gruppen sind sehr internetaffin und treffen sich in Foren. Teilweise bin ich auch zu Stammtischen und Events gegangen und habe die Leute angesprochen. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Leute nicht gleich verstanden haben, was ich überhaupt will - ich musste alles ganz genau erklären.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Pichler: Die Szene kämpft um ihr Ansehen. Viele haben Angst, dass man sich über sie lustig macht.
SPIEGEL ONLINE: Aber ist es nicht tatsächlich ein bisschen lustig, wenn sich Erwachsene in Mittelalterkostümen zum Rollenspiel treffen?
Pichler: Es ist natürlich leicht, sich darüber lustig zu machen, dann muss man ja auch nicht weiter darüber nachdenken. Wer lacht, verweigert sich. Aber wer sich darauf einlässt und fragt: "Was steckt dahinter?", der lernt sehr viel über die Persönlichkeit eines Menschen.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?
Pichler: Man kann aus der Szene Trends ablesen. Zurzeit findet man Einflüsse amerikanischer Horrorfilme oder Orks-Masken aus "Herr der Ringe". Es ist eine Vermischung von Geschichte und Popkultur. Cosplayer orientieren sich bei ihren Kostümen an Manga-Figuren, Furries zeichnen wochenlang Entwürfe, und lassen sich die schließlich für viel Geld schneidern. Wieder andere lassen für viel Geld Masken bei traditionellen Maskenschnitzern anfertigen.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Serie ist ein Beweis, dass es immer mehr Leute gibt, die Geld und Zeit in aufwendige Kostüme stecken.
Pichler: Verkleidungen werden immer wichtiger. Überarbeitung, Leistungsanspruch - alles wird immer schneller. Die Leute wollen eine Gegenwelt.
SPIEGEL ONLINE: Eine Flucht?
Pichler: Ich würde eher von einem Wechsel sprechen. Man schlüpft in eine andere Identität. Beim Kostümschneidern kommt sehr viel Persönliches zum Vorschein.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie die Kostümierten dazu bekommen, Ihnen diese intime Seite zu zeigen?
Pichler: Ich habe die Motive mit den Leuten beim Vorstellungskaffee immer zusammen entwickelt. Und ich bin bei der Verwandlung dabei. Mit jedem Stück, das der Mensch anzieht, verschwindet er. Wenn er den Kopf des Kostüms aufsetzt, ist er vollkommen hinter der Maske verschwunden.
SPIEGEL ONLINE: Wie reagieren die Leute, wenn sie sich selbst als Dino verkleidet zwischen ihren Geranien sehen?
Pichler: Viele sind begeistert, meistens haben sie nicht viele Bilder von ihrem Alter Ego. Die Leute sind stolz, dass das Verkleiden auch wertgeschätzt wird. Viele, die zuvor nicht bei dem Projekt mitmachen wollten, melden sich nun bei mir. Bald fotografiere ich Batman, der im echten Leben Schlagzeuger ist.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn Batman dann am Schlagzeug sitzt, können Sie ernst bleiben?
Pichler: Ich nehme die Menschen sehr ernst. Mir ist es wichtig, dass niemand lächerlich gemacht wird, sondern die Leute und ihre Kostüme auf den Bildern mit Respekt gezeigt werden - trotz der oft absurden Bilder.
SPIEGEL ONLINE: Absurde Bilder?
Pichler: Wenn ich Regieanweisungen gegeben habe, musste ich immer brüllen, damit sie mich unter ihren Masken überhaupt verstehen. Geantwortet hat dann immer eine erstickte Stimme, tief aus der Figur heraus. Das war schon sehr skurril.
Klaus Pichler, Jahrgang 1977, lebt in Wien. Bevor er als Fotograf arbeitete , studierte er dort Landschaftsarchitektur. Er ist unter anderem für Magazine und Zeitungen tätig. Seine Werke sind mehrfach ausgezeichnet worden, zuletzt erhielt er in Hamburg den Lead Award. Ein Teil seiner Arbeiten ist als Buch erschienen .