Dritter Geschlechtseintrag: Lasst uns selbst entscheiden!
Dieser Beitrag wurde am 17.06.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Dass Deutschland sich vor eineinhalb Jahren endlich zum dritten Geschlechtseintrag durchgerungen hat, macht uns noch lange nicht zu einem progressiven Land, in dem die Freiheit und Selbstbestimmung aller Geschlechter geachtet werden. Eine Änderung des Geschlechtseintrages ist zur Zeit nur mit einer ärztlichen Bescheinigung über bestimmte körperliche Geschlechtsmerkmale möglich. Eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht am Dienstag hat wieder einmal deutlich gemacht: Menschen müssen endlich als Expert*innen für ihr eigenes Geschlecht anerkannt werden – auch Trans*personen und nichtbinäre Menschen.
Die Verfassungsbeschwerde hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte gemeinsam mit Lann Hornscheidt eingelegt und wendet sich damit gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. April 2020. Hornscheidt identifiziert sich weder als männlich noch als weiblich und wollte ihren*seinen Geschlechtseintrag aus dem Geburtenregister streichen lassen. Das hatte der Bundesgerichtshof abgelehnt. Hornscheidt fehlte nämlich das notwendige ärztliche Attest. Dieses muss bescheinigen, dass jemand eine "Variante der Geschlechtsentwicklung" aufweist. Damit sind in der Regel intersexuelle Menschen gemeint, die mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, die von den gängigen Vorstellungen von "männlich" und "weiblich" abweichen. (Freiheitsrechte.org )
Die dritte Option ist nicht für alle offen
Mit der Verfassungsbeschwerde wollen Hornscheidt und die Gesellschaft für Freiheitsrechte nun erreichen, dass alle Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können, wenn er nicht mit ihrer Identität übereinstimmt, auch ohne ärztliche Bestätigung.
Es ist gut, dass es endlich eine dritte Option als Geschlechtseintrag im Personenstandsregister gibt. Das ist dem langwierigen juristischen Kampf von Aktivist*innen und Betroffenen zu verdanken, die vor dem Bundesverfassungsgericht klagten und so im Oktober 2017 bewirkten, dass der Gesetzgeber eine Regelung für Menschen finden musste, die nicht in die zwei Kategorien "männlich" oder "weiblich" passten. Das Gesetz, das daraufhin beschlossen wurde, schließt aber nach wie vor viele Menschen aus. Nicht umsonst gab es schon eine Petition mit mehr als 42.000 Unterschriften gegen das Gesetzt in seiner jetzigen Form und für einen selbstbestimmen Geschlechtseintrag. Hier sind nur einige der Probleme, die es mit der aktuellen Gesetzeslage gibt:
- Nichtbinäre Menschen – also Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren – werden im deutschen Recht nicht mitgedacht. Die Option "divers" im Personenstandsregister ist auf intersexuelle Menschen ausgerichtet. Wer sich – wie Lann Hornscheidt – nicht als Mann oder Frau identifiziert, unabhängig von bestimmten körperlichen Merkmalen, bekommt meistens nicht den nötigen ärztlichen Attest.
- In Fällen wie dem von Lann Hornscheidt verweisen die Gerichte meistens auf das Transsexuellengesetz (TSG), das in Teilen schon mehrfach als verfassungswidrig erklärt wurde und Trans*personen einer langwierigen und kostspieligen Prozedur unterzieht, in der sie mithilfe von zwei psychologischen Gutachten vor Gericht "beweisen" müssen, dass sie tatsächlich trans* sind.
- Dass für die Änderung des Geschlechtseintrags allein körperliche Merkmale entscheidend sind, stimmt weder mit dem Stand der Wissenschaft noch mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts überein. Ein Rechtsgutachten vom Dezember 2019, das das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben hatte, kommt zu dem Schluss, dass bei der Änderung des Geschlechtseintrages verschiedene Aspekte eine Rolle spielen und der "selbstempfundenen Geschlechtsidentität" Rechnung getragen werden muss – alles andere sei gegen die Verfassung. Mehrere Gerichte haben in Einzelfällen schon genauso geurteilt.
Kein Arzt weiß besser über die Geschlechtsidentität einer Person bescheid, als sie selbst
Vor allem die rechtlichen Regeln zur Änderung des
Geschlechtseintrags sind bevormundend. Wenn eine Cis-Frau (eine Frau, die schon
bei der Geburt das Geschlecht "weiblich" zugewiesen bekommen hat) von sich
behauptet, eine Frau zu sein, hinterfragt das niemand. Bei Trans*- und nichtbinären
Menschen hingegen geht das Gesetz davon aus, dass irgendein Arzt oder eine
Psychiaterin besser über ihre Geschlechtsidentität Bescheid weiß als sie
selbst. Außerdem: Warum ist es dem Staat überhaupt so wichtig, die Kontrolle zu behalten, sobald die Geschlechtsidentität seiner Bürger*innen von den
bei der Geburt festgelegten Kategorien "männlich" und "weiblich" abweicht?
Ob sich eine Person als Mann, als Frau, als keins von beiden oder als etwas ganz anderes fühlt, weiß niemand besser, als diese Person selbst. Deshalb sollte sie auch selbst entscheiden dürfen, welches Geschlecht in ihren Papieren steht – ohne medizinische und psychiatrische Gutachten und aufwändige, teure Verfahren. Das wäre echte Selbstbestimmung und Gleichbehandlung – und nebenbei vermutlich auch verfassungskonformer als die derzeitige Regelung.