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Homosexuelle Lebensbund besiegelt

Kommt die amtlich registrierte Schwulen-Ehe? Länder wie Dänemark und die Niederlande gehen voran.
aus DER SPIEGEL 6/1991

Wo die dralle Tollität auftritt, purzeln die Tabus. »Ich bin dick, ich ficke gern«, schwärmt Hella von Sinnen, die Tortenwerferin von RTL plus (SPIEGEL 5/1991). Dann geht sie unaufgefordert ins Detail: »Ich bin stocklesbisch.«

Seit Mitte letzten Monats weiß der deutsche Boulevardleser endlich auch, wer die Zärtlichkeiten der Dame ertragen muß: Sinnen-Freundin ist Cornelia Scheel, 27, Tochter des Ex-Bundespräsidenten Walter Scheel, die als Mitglied der Deutschen Krebshilfe das Lebenswerk ihrer Mutter Mildred fortführt.

Was in den USA unter dem Schlagwort Coming out Furore macht und zahlreiche Prominente (Madonna, Kim Basinger, Whitney Houston) in öffentlichen Bekenntnistaumel versetzte, weckt in Deutschland immer noch Befremden. Kaum war Cornelia Scheels lesbische Neigung publik, wurde die Krebshilfe mit Protestbriefen zugeschüttet. Vorletzte Woche setzte Geschäftsführer Achim Ebert seine Repräsentantin vor die Tür. Begründung: »Schrilles Privatleben.«

Was weibliche und männliche Homosexuelle in der Bundesrepublik immer noch beinahe zu Vogelfreien macht, ist in Dänemark mittlerweile zum Bürgerrecht erhoben. Dort trat bereits am 1. Oktober 1989 ein »Gesetz über registrierte Partnerschaft« in Kraft. Das Paragraphenwerk regelt die Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen. Fünf Minuten dauert die Amtshandlung, an der zwei Trauzeugen teilnehmen müssen - dann ist der Bund fürs Leben besiegelt.

Mit Zweidrittelmehrheit hatte das dänische Parlament das revolutionäre Gesetz verabschiedet. Sozialdemokraten und Sozialistische Volkspartei waren dafür, die regierende Koalition aus Konservativen und Liberalen blieb geteilter Meinung, lediglich die Christliche Volkspartei stimmte geschlossen dagegen.

Ivan Larsen, 43, Pfarrer der Sankt-Stefan-Gemeinde in Kopenhagen, gehörte mit seinem Partner Ove Carlsen, 43 und Kinderpsychologe, zu den ersten, die sich an jenem historischen Sonntag im Hochzeitssaal des Kopenhagener Rathauses trauen ließen, zusammen mit den schon gemeinsam ergrauten _(* Bei der Trauungszeremonie in ) _(Kopenhagen. ) Axel und Eigil Axgil und fünf weiteren Schwulenpaaren. »Wir hatten die gleichen Gründe wie jedes heterosexuelle Paar«, erinnert sich Pfarrer Larsen an den gewichtigen Schritt, »wir wollten Sicherheit.« Registrierte Paare sind, so sieht es das Gesetz in Dänemark vor, im Erb- und Steuerrecht sowie im Falle einer Trennung vermögensrechtlich traditionellen Ehepaaren gleichgestellt.

Von Kritikern wird Dänemarks Homo-Ehe noch als »Ehe zweiter Klasse« eingestuft, denn nicht erlaubt ist die kirchliche Trauung, verwehrt bleibt es dem Paar auch, Kinder zu adoptieren und gemeinsam das Sorgerecht auszuüben. Aber Ivan Larsen ist optimistisch: »Wir werden diese Rechte auch noch bekommen, da bin ich absolut sicher.« Er wird weiterhin dafür eintreten: Sein Freund hat zwei Kinder aus erster Ehe, und im Falle des Todes der Mutter wollen sie die beiden zu sich nehmen.

Eine erste Bilanz der dänischen Pioniere: Rund 700 gleichgeschlechtliche Paare - die meisten von ihnen Männer - haben sich im ersten Jahr registrieren lassen, erst zwei Paare ließen sich wieder scheiden.

»Dieses Gesetz wird Konsequenzen auch für andere Länder haben«, hofft Else Slange, Vorsitzende des dänischen »Landesverbandes der Schwulen und Lesben«. In den Parlamenten Schwedens und Norwegens werden entsprechende Vorlagen schon diskutiert. Auch der niederländische Justizminister Ernst Hirsch Ballin versicherte unlängst im Parlament in Den Haag, daß seine Regierung die Möglichkeiten für eine »registrierte Partnerschaft« prüfen werde.

Eine Umfrage ergab, daß über 52 Prozent der Niederländer gegen homosexuelle Ehen nichts einzuwenden haben. Auch Frankreich zeigt Interesse: Anläßlich eines Hearings zum Thema »Partnerschaftsverträge« fand die Schriftstellerin Elisabeth Badinter vor dem französischen Parlament entschiedene Worte: »Es gibt keinen Grund, zwischen einem heterosexuellen und einem homosexuellen Paar einen Unterschied zu machen, also dem einen zu verweigern, was man dem anderen gewährt.«

Soviel internationale Bewegung spornt auch die deutsche Gemeinde der Gleichgeschlechtlichen an. Das Thema »Homo-Ehe« entwickelt sich zum Dauerbrenner bei politischen Podiumsdiskussionen, ideologischen Grabenkämpfen und den kleinen Partys zwischendurch.

Ganz schlicht von »Menschenrecht« sprechen die Ehe-Befürworter, die Erste Feministin, Alice Schwarzer, deklariert den Willen zum Lebensbund gar als revolutionären Akt. Die rechtliche Seite des Problems faßten der ehemalige Schwulenreferent der Grünen im Bundestag, Volker Beck, und sein Mitstreiter, der Karlsruher Bundesanwalt Manfred Bruns, ins Auge.

Mit ihrem Vorstoß, unter dem Schlagwort »Lebensformenpolitik« bei den Grünen in die Diskussion geworfen, wollen Beck und Bruns erreichen, daß Lesben- und Schwulenpaare dem gemischten Doppel gleichgestellt werden, unter anderem beim Zeugnisverweigerungsrecht, beim Besuchsrecht, beim gemeinschaftlichen Testament, bei der ermäßigten Erbschaftssteuer und - auf Wunsch - dem gemeinsamen Sorgerecht für die Kinder und bei der gemeinsamen Adoption von Kindern.

Unerwartete Schützenhilfe bekamen die Ehe-Streiter der westdeutschen Grünen vom anderen Ufer in der ehemaligen DDR. Für Karsten Friedel, Sprecher vom »Schwulenverband in Deutschland«, dem organisatorischen Dach der Schwulenbewegung in der Ex-DDR, ist die Ehe-Forderung eine Selbstverständlichkeit. Mit der Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Menschen hatte die DDR schon vor Toresschluß weitgehend ernst gemacht: Das Gesetzes-Pendant zum westlichen 175er wurde 1988 ersatzlos gestrichen; seit 1986 regelte eine interne Anweisung bei den Wohnungsämtern die korrekte Zweiraum-Wohnvergabe für homosexuelle Paare.

Der rosa Hauch im sozialistischen Grau wirkte fort in die Zeit nach der Wende: Noch im September 1990 diskutierte die Volkskammer einen Gesetzentwurf der PDS zur Rechtsstellung schwuler Mitbürger. Auch eine Quasi-Ehe wurde ins Auge gefaßt: »Den Partnern dauerhaft angelegter gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften ist auf Antrag vom Standesamt ihre Lebensgemeinschaft amtlich zu bestätigen.«

Die West-Grünen nahmen die ostdeutsche Vorarbeit zum Anlaß, von der Bundesregierung eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes einzufordern. Doch einhellig sind die Grünen auch in dieser Frage nicht. Jutta Oesterle-Schwerin, einst für die Grünen im Bundestag und die einzige, die als bekennende Lesbe dem hohen Haus entgegentrat, sagt kategorisch nein zu jedweder Ehe: Das sei »eine Institution, die Frauen daran hindert, selbständig und autonom zu leben«; so was gehöre abgeschafft und für Homosexuelle gar nicht erst eingeführt.

Doch das kann Volker Beck in seinem Ehe-Kreuzzug nicht beirren. Er kennt die Stimmung an der schwulen Basis: »Vor allem viele Schwule aus der Emanzipationsbewegung«, meint er, seien gegen die Ehe - »aber noch mehr von denen, die man sonst nur in den Schwulen-Kneipen trifft, sind dafür«. Beck setzt nun auf eine günstige Entwicklung in Europa.

Die Aussichten in Deutschland bleiben derweil mager. Zwar hat sich die Bonner Koalition in einem Punkt mal von der früheren DDR-Gesetzgebung inspirieren lassen und noch vor der Weihnachtspause beschlossen, den leidigen Paragraphen 175 zu streichen. Doch sonstige schwulenpolitische Vorstöße der Grünen in der abgelaufenen Legislaturperiode hatte die Bundesregierung mit Arroganz gekontert.

Da man »eine Akzeptanz auf diesem Gebiet verneint«, so die Abfuhr, habe man »gar keine Veranlassung, hier im Deutschen Bundestag Anträge auf diesem Gebiet einzubringen«.

* Bei der Trauungszeremonie in Kopenhagen.

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