Ariane Friedrichs Selbstjustiz Der Spießrutenlauf

Sportlerin Friedrich: "Anzeige folgt"
Foto: Boris Roessler/ dpaAriane Friedrich hat kurzen Prozess gemacht. Die deutsche Rekordhalterin im Hochsprung hat sich auf ihrer Facebook-Seite direkt an den Mann gewandt, von dem sie sich belästigt, beleidigt und beschmutzt fühlte: "Liebe Followers, eben erreichte mich folgende Facebookmail: Thorsten D., wohnhaft in A. schrieb: 'Willst du mal einen schönen Schw*** sehen. Gerade geduscht und frisch rasiert'. Zusätzlich hat er noch eine Datei mitgeschickt, die ich nicht öffnen werde. NEIN HERR D., ich möchte weder Ihr Geschlechtsteil, noch die Geschlechtsteile anderer Fans sehen. Anzeige folgt." Sie wolle mit der Veröffentlichung erreichen, sich nicht "doppelt zum Opfer" zu machen, sagt die Athletin.
Ariane Friedrichs Selbstjustiz wird derzeit kontrovers diskutiert. Die Sportlerin erntet Bewunderung, aber auch scharfe Kritik. Mehr als 2200 Menschen haben auf den "Gefällt mir"-Button unter ihrem Posting geklickt, mehr als 400 Kommentare sind verzeichnet.
Der Vorfall wird umgangssprachlich als Stalking bezeichnet - tatsächlich handelt es sich wohl eher um eine sogenannte "Web-Attack".
Wiederkehrende, unerwünschte Kontaktaufnahmen bezeichne man nicht als Stalking, wenn diese nicht mindestens vier bis sechs Wochen andauerten, sagt Rita Steffes-enn, stellvertretende Leiterin des Darmstädter Instituts Psychologie und Bedrohungsmanagement.
Stalker agieren meist, weil sie sich zurückgewiesen fühlen - der Auslöser muss nicht real sein, es reicht eine harmlose Aussage, die vom Stalker als Botschaft missdeutet wird. Im Fall Ariane Friedrichs kann es einer ihrer belanglosen Facebook-Einträge sein wie dieser: "Yeahhhh heute geht es los - das finale olympische Aufbautraining beginnt im Kraftraum. Ich hoffe der Muskelkater wird gnädig mit mir sein!"
Hinter dem Angriff steht laut Psychologin Steffes-enn der Wunsch des Täters, mit dem Opfer eine Beziehung einzugehen.
Cyberstalker, Exhibitionist oder Rufmord?
Einen Übergriff via Facebook oder andere soziale Medien bezeichnen Experten als "Web-Attack".
Die Anonymität des Internets ermöglicht es, Menschen nachzustellen, sie zu demütigen, ihnen Angst zu machen: Sogenannte Cyberstalker gelten als sozial inkompetent, anders als Stalker meiden sie meist den direkten Kontakt zu ihren Opfern.
Oft sind sie ihnen noch nie begegnet. "Aber sie idealisieren sie so lange, schwärmen für sie, bis sie manchmal gar echte Liebe empfinden", sagt Steffes-enn. Die Grenze zwischen Realität und Phantasie verschwimmt, aus Tätersicht entsteht eine Phantasiebeziehung mit dem Opfer. Hemmungen reduzieren sich stetig. Ohne ihre eigenen vier Wände verlassen zu müssen, verschaffen sie sich Zutritt zum virtuellen Leben ihrer Opfer.
Entsprechend nahe können daher verbale Entgleisungen und Obszönitäten einem Opfer gehen, wenn es solch eine Attacke - wie im Fall Ariane Friedrich - in vertrauter Umgebung erreicht. Auf dem Laptop daheim auf dem Sofa, am Küchentisch, im Bett.
In Friedrichs Fall könne es sich beim Absender auch um einen Exhibitionisten handeln, der nicht den Mut aufbringe, sich in der sozialen Wirklichkeit in einem Park oder einem Wald einer Person gegenüber zu entblößen, so Steffes-enn.
Doch vielleicht steckt hinter dem vermeintlichen Absender, den die Leistungssportlerin geoutet hat, tatsächlich eine andere Person. Vielleicht wurde der Account des Mannes gehackt, vielleicht geht es gar nicht um Ariane Friedrich - sondern um den Mann, dem nun diese ordinäre Internetbotschaft angelastet wird.
Emotional könne man Friedrichs Reaktion durchaus nachvollziehen, sagt Rita Steffes-enn. Dass man nach Dutzenden ordinären Mails von Fremden bei der nächsten obszönen Nachricht die Reißleine ziehe. "Opfer reagieren höchst unterschiedlich. Die einen erdulden Ewigkeiten lang alle möglichen Angriffe, die anderen gehen sofort in die Offensive."
Ebenso unterschiedlich ist die Reaktion der Täter auf einen Gegenangriff. "Es kann sein, dass man einen Täter mit solch einem Schritt vertreibt", sagt Rita Steffes-enn. Es könne aber auch sein, dass diese Reaktion einen regelrechten Spießrutenlauf auslöse. Nach dem Motto: "Du wolltest Krieg, den bekommst du jetzt auch."
Friedrichs Trainer und Manager, Günter Eisinger, sagt, man habe inzwischen Klage bei der Staatsanwaltschaft eingereicht.