Charlie Sheens HIV-Infektion Der Kranke als Täter

Charlie Sheen ist HIV-positiv - und wird in den Medien auf perfide Art zum Täter gemacht. Das sagt weniger über den Schauspieler als über das Stigma, das Infizierten noch immer anhaftet.
Vor rund vier Jahren erhielt Charlie Sheen die Diagnose HIV-positiv. Erst jetzt trat er damit an die Öffentlichkeit.

Vor rund vier Jahren erhielt Charlie Sheen die Diagnose HIV-positiv. Erst jetzt trat er damit an die Öffentlichkeit.

Foto: Noel Vasquez/ Getty Images

Jetzt hat ihn sein liederliches Leben also eingeholt. Charlie Sheen ist HIV-positiv. Das ist nur logisch, lassen Medien wie "Radar Online" durchblicken. Alkohol, Drogen, Sex: Wohin sonst sollte so ein Leben im Exzess führen? Sogar Tattoos trägt der Hollywoodstar, betont das Klatschportal noch einmal , und macht das Bild komplett: Bei so einem Lebenswandel muss sich Sheen nicht wundern, dass er am Ende die Quittung bekommt.

Oder andersrum: Wer HIV-positiv ist, ist selbst schuld.

Man könnte es sich einfach machen und den Ton, in dem schon seit Wochen über Charlie Sheens HIV-Infektion spekuliert wird, den Regeln des Boulevard zuschreiben. Doch die Medien, die Sheen nun auf so perfide Art zwischen den Zeilen zum Täter machen, sind dieselben, die Angelina Jolie im Zuge ihrer Krebs-präventiven Brustamputation zur Heldin stilisierten . Es sind dieselben, die mit Jack Osbourne fühlten , als bei ihm 2012 Multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Es geht also auch anders.

Ja, Charlie Sheen ist ein spezieller Fall. Seine Abenteuer mit Pornostars und Prostituierten, seine Ausraster im Vollrausch, seine spektakulären Abstürze finden seit Jahren so öffentlich statt, dass sie zumindest den Gedankengang nahelegen, der Schauspieler sei schlicht nicht vorsichtig genug gewesen. Und trotzdem muss man sich über den Automatismus wundern, mit dem in der Berichterstattung "viel Sex" mit "ungeschütztem Sex" gleichgesetzt wird.

HIV-Infizierten haftet bis heute ein Stigma an. Die Bilder, die sich auch im Fall von Charlie Sheen in den Köpfen formen, sind keine von Missionarsstellung im Reihenhaus-Schlafzimmer, sondern solche von Sex in dreckigen Kaschemmen, von wilden Orgien im Rausch, vom Teilen verseuchter Nadeln in dunklen Kellern.

Natürlich lassen mehrere Medien es sich auch nicht nehmen, noch einmal zu erwähnen, dass der Schauspieler nicht nur Sex mit Frauen, sondern auch mit Männern gehabt habe. Drogen, Homosexualität, Sex, Aids: Die Assoziationskette ist vorgegeben.

Die Berichterstattung im Fall Charlie Sheen zeigt, dass Vorurteile noch immer die Diskussion bestimmen. Dass HIV nicht nur durch wilden Sex mit Fremden und verseuchte Spritzen übertragen wird, wird komplett ignoriert. Übrigens: Bisher ist kein Fall dokumentiert, in dem HIV durch Tätowiernadeln übertragen wurde.

In seinem Interview mit der "Today"-Show sprach Sheen von einer gefährlichen Berichterstattung, die die Gesundheit vieler anderer bedrohe. Sheen hat recht. Wer HIV-Infektionen an eine bestimmte Lebensweise knüpft, verkennt die reale Gefahr und erzeugt eine Kultur der Scham.

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