Gleichberechtigung in der Mongolei "Einmal zuzuschlagen, ist doch kein Verbrechen"

Wo Männer nicht weinen dürfen: In der Mongolei gehört Gewalt für viele Frauen zum Alltag - auch, weil sich patriarchale Stereotype durch die ganze Gesellschaft ziehen.
Von Eva Gemmer
Das Frauenhaus in Ulan-Bator, wo viele Frauen mit ihren Kindern Zuflucht suchen. Zaya ist nicht auf dem Foto.

Das Frauenhaus in Ulan-Bator, wo viele Frauen mit ihren Kindern Zuflucht suchen. Zaya ist nicht auf dem Foto.

Foto: Mareike Günsche/ Aspectus

Als Bayarmaa Zaya* das Feuerzeug nicht finden kann, schlägt ihr Freund zu. Wie von Sinnen prügelt er auf sie ein, stößt sie an die Wand und tritt ihr, als sie schon am Boden ist, gegen den Kopf, bis sie bewusstlos wird. Zaya ist damals im dritten Monat schwanger.

Alles fing an mit einem Gerücht: Eine Arbeitskollegin hatte Zaya erzählt, ihr Freund würde sie betrügen. Als Zaya ihn zu Hause darauf ansprach, stritt er alles ab, wurde wütend. "Aber sein Bruder war an dem Abend zu Besuch, deswegen ist nichts passiert", sagt Zaya. Doch die Wut schwelte weiter und drei Tage später reichte ein verschwundenes Feuerzeug als Auslöser.

Danach wurde Zayas Freund häufiger übergriffig, erst Jahre später konnte sie sich von ihm lösen. Im Frühjahr 2018 sitzt sie im Konferenzraum des National Center Against Violence (NCAV) in Ulan-Bator, Hauptstadt der Mongolei. Der Raum hat keine Fenster und ist mit Neonröhren beleuchtet. Vor Zaya steht eine Tasse Milchtee, die sie bisher nicht angerührt hat. Sie knetet ihre Finger. Lippenstift und Pullover haben denselben Farbton, Burgunder. Auf der Stirn ein grün-blauer Fleck, von der rechten Schläfe bis unter den Scheitel. Spuren eines Zusammentreffens mit ihrem Ex.

Gesetz wird nur halbherzig durchgesetzt

Seit Anfang des Jahres wohnt Zaya in einer Notunterkunft des NCAV. Dort finden Frauen Zuflucht, die vor Gewalt fliehen. Zwanzig Betten, drei Angestellte, psychologische Betreuung und rechtlicher Beistand.

Die meisten dieser Frauen fliehen vor Gewalt in den eigenen vier Wänden, viele vor ihrem eigenen Partner. Mehr als jede zweite Frau in einer Beziehung hat bereits eine oder mehrere Formen von Gewalt am eigenen Körper erlebt, physisch, sexuell oder psychisch. Das zeigt eine Studie des United Nations Population Fund, für die im vergangenen Jahr erstmals über 7000 Frauen in allen 21 Regionen der Mongolei zu ihren Erfahrungen mit häuslicher Gewalt befragt wurden. Die Dunkelziffer ist weit höher.

Erst seit Anfang 2017 gilt häusliche Gewalt in der Mongolei als Straftat. Doch das Gesetz wird nach wie vor nur halbherzig durchgesetzt, die Strafen sind lasch: Vergreift sich ein Mann an seiner Frau, kann er in der Regel mit einer Haftstrafe zwischen einer Woche und einem Monat rechnen. Wiederholungstäter bekommen einen Monat bis drei Monate. Allein an das NCAV wenden sich jedes Jahr mehr als 2000 Frauen - bei einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen.

"Das Problem ist, dass die Männer hier so erzogen wurden"

Seit jenem ersten Mal schlug Zayas Freund immer wieder zu. Zweimal würgte er sie. "Das war Teil unseres Zusammenlebens", sagt sie heute. Sie hatten sich in der Kirche kennengelernt und Zaya hatte ihren ersten Mann für ihn verlassen. Mittlerweile haben sie drei Kinder, alles Jungs. Schon nach dem zweiten Kind habe sie nicht mehr gewollt, erzählt Zaya, aber ihr Freund habe sie gezwungen.

Sie spricht leise und eindringlich, unterstreicht ihre Erzählungen mit schmerzhaft deutlichen Gesten: Mit der Rechten ahmt sie einen Schlag in den Bauch nach, krümmt sich, schließt die Hände um ihren Hals und zuckt mit den Füßen, als sie die Tritte in den Bauch beschreibt.

"Was zu Hause passiert, ist Privatsache" oder "Einmal zuzuschlagen, ist doch noch kein Verbrechen" - mit solchen und ähnlichen Argumenten sieht sich das NCAV regelmäßig konfrontiert. "Die Regierung sieht den Ursprung von häuslicher Gewalt in Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Armut. Sie wollen nicht sehen, dass der Hauptgrund die Ungleichheit der Geschlechter ist", sagt Arvintaria Nordogjav, eine Anwältin der Organisation.

Die Mongolei sei ein stark patriarchalisch geprägtes Land. "Männer müssen die Familie versorgen, Männer weinen nicht", sagt Saranzaya Gereltod von der NGO Beautiful Hearts Against Sexual Violence: "Das Problem ist, dass die Männer hier so erzogen wurden, auch sie sind Opfer." Der Druck auf sie münde oft in Gewalt, so Gereltod.

"Alles, was ich will, ist, meine Kinder zurückzubekommen"

Patriarchalische Haltung fände sich nicht zuletzt bei politischen Entscheidungsträgern. Die Regierung mühe sich deshalb nicht sonderlich, das neue Gesetz gegen häusliche Gewalt durchzusetzen. Hauptsächlich seien es nationale und internationale NGOs, die dafür kämpften - und die wiederum zögen nicht alle am selben Strang. "Im Moment reagieren wir die meiste Zeit", sagt Nordogjav. "Langfristig soll es aber um eine Prävention von Gewalt gehen."

"Victim Blaming ist hier noch immer ein großes Problem", sagt Nordogjav. Frauen, die sich öffentlich als Opfer thematisieren, würden häufig stigmatisiert: "Sie war keine gute Ehefrau, sie war nicht gut genug für ihn, es ist ihr Fehler". Selbst jede vierte Frau beantwortet die Frage, ob ein Mann seine Frau schlagen darf, wenn sie ihm untreu war, mit Ja.

Auch Bayarmaa Zaya fühlt sich verurteilt, ihre Familie hat ihr den Rücken gekehrt. Sie können nicht verstehen, dass Zaya sich die Söhne hat wegnehmen lassen. Anfangs hatte sie die Jungen mit in die Notunterkunft genommen. Im Februar entschied das Gericht jedoch, dass sie bei ihrem Vater wohnen sollen. Die Begründung: Weil Zaya weder einen Job noch ein eigenes Zuhause habe, sei sie nicht in der Lage, angemessen für ihre Söhne zu sorgen. Sie sieht sie alle paar Wochen.

Im Moment hat sie einen IT-Kurs belegt. Danach will sie sich auf Jobsuche machen: "Alles, was ich will, ist, meine Kinder zurückzubekommen".

* Name von der Redaktion geändert.

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