Iris Berben "An die Gurgel gesprungen vor Wut"

Iris Berben gilt als engagiert, angriffslustig - und gibt jetzt ein Buch über Frauen heraus, die bis ins Extrem für ihre Überzeugungen eintreten. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht die Schauspielerin über den Moment, in dem der Instinkt die Vernunft kaltstellt.

SPIEGEL ONLINE: Frau Berben, Sie haben ein Buch über zwei Dutzend Frauen geschrieben, die auf Kosten ihrer Gesundheit, Freiheit oder Karriere gegen Ungerechtigkeit kämpfen. Haben denn die Kerle keine Courage mehr?

Berben: Doch, die haben sie. Gerade diese Geschichten zeigen ja, wie viele Männer ihren Frauen den Rücken freihalten, damit die ihre Arbeit tun können. Ich glaube, dass Männer genauso wütend und empört sind über Krieg, Folter und Dummheit. Sie haben aber einen anderen Zugang zu solchen Problemen. Frauen versuchen, sehr viel direkter und privater, aus dem Alltag heraus, Missstände zu ändern.

SPIEGEL ONLINE: … und gehen dabei nicht selten über das erträgliche Maß hinaus. Sie berichten von einer tibetischen Nonne, die im Kampf um die Unabhängigkeit ihres Landes 15 Jahre unschuldig im Gefängnis saß und dabei schwerste körperliche und seelische Schäden erlitt. Ist das noch Zivilcourage oder schon Masochismus?

Berben: Phuntsok Nyidron geht einen ungeheuer weiten Weg für ihre Überzeugung. Ihre Entschlossenheit wurzelt ganz stark in ihrem Glauben, in einem Erziehungsmodell, das wir im Westen vielleicht nie ganz verstehen werden. Sie ist ein extremes Beispiel dafür, wie wichtig die Kraftquellen sind, die man hat.

SPIEGEL ONLINE: Die allerdings nützen wenig, wenn die Feinde zu mächtig sind. Die oppositionelle russische Journalistin Anna Politkowskaja wurde 2006 mit Schüssen in Kopf und Brust buchstäblich hingerichtet. Lohnt es sich, das eigene Leben für eine Idee zu riskieren?

Berben: Das kann ich unmöglich beantworten, weil das immer eine sehr persönliche Entscheidung ist. Ich habe viele Lesungen über Politkowskaja gehalten, ich habe mit ihrem Verleger gesprochen und kenne ihren Sohn. Es gibt Menschen, die machen ihre Überzeugung zu einem Teil ihres Lebens. Ich glaube, zu denen gehöre ich. Andere ordnen ihr Leben komplett der Idee unter - so war es vermutlich bei Anna.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet Zivilcourage für Sie?

Berben: Die Stimme dort zu erheben, wo Sprachlosigkeit herrscht. Für Schwächere einzustehen, weil man vielleicht im Moment den besseren Überblick über eine brenzlige Situation hat. Seinen Tunnelblick zu vergessen und zu erkennen, wann jemand allein nicht mehr weiterkommt.

SPIEGEL ONLINE: Stellen wir uns vor: Sie sitzen in der U-Bahn. Neben Ihnen wird eine Frau belästigt und tätlich angegriffen. Was tut Iris Berben?

Berben: Solche Situationen sind mir nicht fremd. Es gab Momente, wo ich reagiert habe, und ich würde das auch heute tun. Ich erinnere mich an einen Abend, als wir im niederösterreichischen Waldviertel in einer Gaststätte Theaterproben hatten. Da saß ein alter Mann allein am Tisch und wurde von anderen Gästen permanent bepöbelt. "Dich haben wir ja hier nur aufgenommen, weil sie vergessen haben, dich zu vergasen", sagte einer der Bauern. Ich bin dem buchstäblich an die Gurgel gesprungen vor Wut.

SPIEGEL ONLINE: Keine Angst vor männlicher Gegenwehr?

Berben: Nein, in so einem Moment folge ich nur dem Instinkt. Das ist zwar wider die Vernunft und jeden vernünftigen Rat der Polizei. Aber ich glaube, diese Chuzpe, die man da entwickelt, dieses kleine Quäntchen Wahnsinn schützt einen auch ein bisschen davor, selbst angegriffen zu werden. Zumindest hat man den Überraschungseffekt auf seiner Seite.

SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?

Berben: Ich bin sicher keine Feministin im Sinne von Alice Schwarzer. Meine Mutter hat mir die Emanzipation vorgelebt, weil sie in ihrem Leben immer sehr ungewöhnliche Entscheidungen getroffen hat. Ich musste mich nicht in diese Haltung hineinfinden, sondern habe das Selbstbewusstsein sozusagen von zu Hause mitbekommen.

SPIEGEL ONLINE: Wie steht es denn um die Gleichberechtigung in Ihrer Branche, zum Beispiel was die Gagen angeht?

Berben: Dieses Thema ist keineswegs erledigt und wird uns noch lange beschäftigen. Es wird immer genug Frauen geben, die zu Beginn ihrer Karriere Kompromisse machen, um erst einmal Fuß in dem Beruf zu fassen und vielleicht später von innen heraus etwas zu verändern. Ich glaube allerdings, dass es besser ist, wenn man das von Anfang an radikaler handhabt.

SPIEGEL ONLINE: Haben Ihre jüngeren Kolleginnen überhaupt ein Bewusstsein für das Thema oder ist das nur noch ein Lila-Latzhosen-Klischee, der Mief der Verbitterten und zu kurz Gekommenen?

Berben: Tja, da gibt es diese Girlie-Fraktion, die mit einer großen Selbstverständlichkeit an Dinge herangeht, die wir uns erst erkämpfen mussten. Manchmal glaube ich, wieder in den Fünfzigern gelandet zu sein. Das beweist, dass solche gesellschaftlichen Prozesse niemals abgeschlossen sind. Wir müssen behutsam mit dem Erreichten umgehen und wachsam sein.

SPIEGEL ONLINE: Die Globalisierung hat vielen Frauen in Entwicklungsländern Vorteile und ungeahnte Möglichkeiten gebracht. Sie haben übers Internet Zugang zu Informationen und Wissen, können sich besser vernetzen und sprengen ihre alten Rollen. Wird die Finanzkrise all das wieder vernichten?

Berben: Ich bin mir nicht sicher, was der eigentliche Gewinn der Informationsgesellschaft ist. Ich weiß nur, dass es mich persönlich sehr viel Kraft und Zeit kostet, täglich aus der Flut der Daten das Wichtige zu selektieren. Was die Finanzkrise betrifft, so glaube ich, dass die Schwächsten, all jene, die am wenigsten Widerstand leisten, davon betroffen sein werden - also auch die Frauen.

SPIEGEL ONLINE: Bei Umfragen zur schönsten, erotischsten, aber auch einflussreichsten Frau Deutschlands landen Sie regelmäßig unter den Top 100. Sollte es Bürgerpflicht für Prominente sein, weniger Privilegierten zu helfen?

Berben: Wir leben in einer Welt, in der man immer lauter, bunter und schriller sein muss, um überhaupt gehört zu werden. Wenn meine Bekanntheit helfen kann, wichtige Themen auf die Agenda zu bringe, finde ich das okay. Wichtig ist, dass ich es aus Überzeugung und nicht aus Pose mache.

SPIEGEL ONLINE: Eine Ihrer Protagonistinnen, die Verfasserin der "Vagina-Monologe", Eve Ensler, sagt über das herrschende Schönheitsideal: "Frauen sollten dünn sein, damit sie nicht zu viel Platz in der Welt einnehmen." Ist das so?

Berben: Das sollte nicht so sein! Ich bin bald wieder in Afrika und freue mich schon jetzt auf die großen, mächtigen und wunderschönen Frauen, die sich ihren Weg einfach bahnen. Es ist wunderbar, das zu sehen!

SPIEGEL ONLINE: Sie haben mal gesagt, Sie könnten sich gut vorstellen, in nächster Zukunft nicht mehr zu funktionieren und einfach auszusteigen. Würden Sie das auch ertragen?

Berben: Ich fürchte nicht. Aber ich glaube, dass die Zeit für mich arbeitet, weil ich weiß, dass ich davon nicht unbegrenzt viel zur Verfügung habe. Da heißt es loslassen, loslassen, loslassen.

Das Interview führte Annette Langer

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