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Doglegs in Tokio: Fightclub für Behinderte

Foto: Alexander Dluzak

Kampfarena für Behinderte in Tokio Fightclub der Selbstbewussten

In Tokio treten Menschen mit Behinderung im Ring gegeneinander an. Einarmige, Beinamputierte, Blinde, halbseitig Gelähmte. Gekämpft wird im Vollkontakt - gegen den Kontrahenten im Ring und das Klischee in der Gesellschaft.

Es lief lange Zeit nicht gut für Miyuki, den sie hier Chopper nennen, wegen seiner Leidenschaft für amerikanische Motorräder. Gerade erst hatten ihn die Betreuer aus dem Rollstuhl gehoben und auf die Matte gesetzt, als die ersten Schläge auf ihn einprasselten. Fast drei Runden hatte er kniend und mit verdrehtem Körper ausgeharrt, die dünnen Arme schützend vor den Kopf gehalten und dabei wie der sichere Verlierer ausgesehen. Doch mit einem Mal gewinnt Chopper plötzlich die Kontrolle über seinen ungelenken Körper. Er ballt die verkrampften Finger zu Fäusten und schlägt zu.

Choppers Gegenüber, eine Frau mit verdrehter Hüfte und bandagierten Handgelenken, bekommt mehrere Treffer ab und weicht taumelnd zurück. Ein Raunen geht durch die etwa 150 Zuschauer, die in einem Veranstaltungsraum im Tokioter Bezirk Shibuya um den improvisierten Ring sitzen. Einige Runden später ist der Kampf vorbei. Unentschieden - beide Kämpfer liegen auf der Matte und atmen schwer.

Der Kampf Frau gegen Mann ist bei Doglegs nicht ungewöhnlich. Das Geschlecht spielt bei diesem Fightclub für Behinderte keine Rolle, ebenso wenig das Alter oder Gewicht. Einzig der Grad der Behinderung ist ausschlaggebend für die Kampfpaarungen.

Chopper und seine Kontrahentin leiden an spastischen Lähmungen. Sie können nicht aus eigener Kraft stehen und ihre Arme nur mit Mühe bewegen. Die beiden treten in der "Miracle Heavy Class" an, der Klasse für die Kämpfer mit den stärksten Behinderungen. Einarmige steigen bei Doglegs gegen Beinamputierte in den Ring, halbseitig Gelähmte gegen Blinde.

"Behinderte brauchen länger, um sich zu erholen"

Gegründet hat Doglegs Yukiji Kitajima. Ein drahtiger Mann im Trainingsanzug, der gerade neben dem mit Matten ausgelegtem Kampfbereich steht und hilft, den angeschlagenen Chopper wieder in den Rollstuhl zu hieven. "Behinderte brauchen länger, um sich von den Kämpfen zu erholen", sagt Kitajima, der selbst nicht behindert ist. "Öfter als zweimal im Jahr können sie nicht in den Ring."

Die Idee zu Doglegs hatte Kitajima Anfang der neunziger Jahre, als er Zeuge eines Streits zwischen zwei Menschen mit Behinderung wurde, der in einer Schlägerei endete. Für die Kontrahenten sei dies eine positive körperliche Erfahrung gewesen, sagt er. Die beiden waren die ersten Doglegs-Mitglieder, mittlerweile sind etwa 20 Kämpfer dabei. Gekämpft wird im Vollkontakt, tabu ist es Augen und Geschlechtsteile zu attackieren.

"Die Gesellschaft hat bestimmte Vorstellungen davon, wie Behinderte zu sein haben", sagt Kitajima und nickt Akira zu, einem Kämpfer, der in diesem Moment von Heavy-Metal-Musik begleitet mit ungelenken Schritten in den Ring steigt. "Sie gelten als schwach und wehrlos, Doglegs bricht mit dieser Vorstellung."

Akira leidet unter sogenannter cerebraler Bewegungsstörung, ausgelöst durch eine frühkindliche Hirnschädigung. Er kann nur wenige Schritte laufen und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. "Ich will nicht, dass mich die Leute in Watte packen, nur weil ich nicht laufen kann", sagt er. Im Alltag würden die meisten Japaner einfach wegschauen, dies geschehe nicht aus Ignoranz, sondern viel eher, um niemanden mit seiner Behinderung zu konfrontieren. Doch für die Behinderten käme dies einer Entmündigung gleich.

Berührungsängste hat hier niemand

Als Akira seinen Gegner in der zweiten Runde in den Schwitzkasten nimmt und zur Aufgabe zwingt, tobt das Publikum. Akira klatscht mit den Zuschauern ab. Berührungsängste hat hier niemand. Das Raunen, das durch das Publikum geht, als im Anschluss der beinamputierte Tsuruzono in den Ring getragen wird, zeigt, dass die Begeisterung der Zuschauer aber vor allem auch mit dem Grad der Behinderung der Kämpfer steigt.

"Klar gibt es Leute die sagen, dass wir hier eine Freakshow abziehen", sagt Doglegs-Gründer Yukiji Kitajima, "aber darum geht es nicht, die Behinderten empfinden es als wohltuend, das Publikum zu unterhalten."

In jedem Fall sind sie bereit, den Voyeurismus des Publikums zu bedienen. Im Ring lehnt sich der beinamputierte Tsuruzono zurück, krempelt seine Shorts hoch und präsentiert breit grinsend seinen Beinstumpf. Handys blitzen auf, einige Zuschauer posieren neben Tsuruzono mit zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern.

"Warum soll ich mir das nicht anschauen?", sagt Yoshimitsu, ein Student, der bereits das dritte Mal bei Doglegs ist. "Behinderte haben doch genau so das Recht zu kämpfen, wie Nichtbehinderte."

Das stimmt zweifelsohne. Allerdings ist es auch richtig, dass die Faszination der meisten Zuschauer vermutlich weniger aus der sportlichen Leistung, sondern eher daraus resultiert, dass es Menschen mit Behinderung sind, die sich hier gegenseitig verprügeln.

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