
Armbrustbauer: Spraves Schleudertraum
YouTube-Star Jörg Sprave Wenn die Klobürste einschlägt
Wahrscheinlich hätte ich meinen großen Zeh verlieren können. Aber lustig war es ja dann doch, irgendwie, und ein Unfall obendrein, als mir Jörg Sprave eine Klobürste in den Fuß schoss. "Man muss schon aufpassen", hatte er vorher gewarnt, "das sind enorme Kräfte, die da wirken. Wenn man oberhalb von hier getroffen wird" - dabei deutete er mit einem kochwurstdicken Zeigefinger auf seine Oberlippe - "dann ist man tot".
Was Sprave macht, ist also ein bisschen riskant. Der 48-Jährige, leitender Angestellter eines großen Elektronikherstellers, hat es mit selbstgebastelten Schleudern und Armbrüsten zur Internetberühmtheit gebracht . 42 Millionen Mal wurden seine Videos auf YouTube schon geklickt.
Darin verschießt er Macheten und laufende Kettensägen, präsentiert die erste Kondomschleuder der Welt oder ballert in Superzeitlupe - bap-bap-bap-bap-bap - Metallbolzen aus einer Schleuder-Minigun in eine Holzwand. "The Slingshot Channel" heißt Spraves YouTube-Kanal, auf dem er jede Woche eine neue Kreation vorstellt. Zuletzt war eine "Slingshot Potato Bazooka" an der Reihe sowie eine Pumpgun-Armbrust, mit der man Oreo-Kekse verschießt.
Der Mann, der mir an diesem Vormittag im Oberfränkischen die Tür öffnet, hat die Statur eines Wrestling-Profis und Pranken, mit denen man ein Pferd erdrosseln könnte. Würde Sprave aber nie machen. "Ich bin überhaupt kein gewalttätiger Mensch", sagt er. Jagen findet er auch doof, obwohl man das mit einigen seiner Schleudern durchaus tun könnte. Nicht mal bei der Bundeswehr war der Waffenbauer. Und nie, aber wirklich nie würde er eine seiner Konstruktionen weitergeben oder gar verkaufen, obwohl es regelmäßig Anfragen gibt. "Da zieh ich die Grenze", sagt er. "Das sind Waffen, und die sind gefährlich."
Zombiekopf für Beschusstests
Im Keller tut sich das Reich eines Besessenen auf, in Regalen lagern fertige und halbfertige Schleudern, Gummis, Muttern, Klobürsten, Holzreste, Armbrüste, sogar einen lebensgroßen Zombiekopf aus Kunststoff hat er hier, den brauchte er mal für Beschusstests ("Das ging vorne rein und glatt hinten wieder raus", erwähnt er im Vorbeigehen).
Die eigentliche Werkstatt ist in einer ehemaligen Garage untergebracht, und selbst Sprave findet, dass hier mal wieder aufgeräumt werden müsste. Zwischen Drehbank, Schweißgerät, Zeitlupenkamera und jeder Menge Holzstaub türmt sich hüfthoch ein Berg aus Armbrüsten: Hier wirft der Mann seine Erfindungen hin, wenn er mit dem Dreh fertig ist. Nur wenn Besuch kommt kramt er einige seiner Maschinchen hervor. Die Klobürsten-Bazooka oder die Schleuder, die Kreissägenblätter verschießt - sie alle existieren ausschließlich für die YouTube-Gemeinde.
Und die dankt es Sprave mit schwindelerregenden Zugriffszahlen, "die Zuwachsraten sind immens", sagt er. Wenige Minuten lang sind die Videos, in denen er auf seiner Garagenauffahrt steht und in wunderbarem Schulenglisch die Funktionsweise seiner neuesten Armbrust erklärt - und am Ende der Holzwand am Rand der Auffahrt ein paar neue Einschusslöcher verpasst. Wer so was sehen will? "Etwa 94 Prozent sind wohl Männer", sagt Sprave.
Für ihn selbst ist der Waffenbau eine reine Freizeitangelegenheit; nur am Wochenende hat er Zeit dazu. Und ähnlich wie bei vielen Modelleisenbahn-Freaks speist sich die Energie dazu aus den Träumen seiner Kindheit. Schon mit acht, neun Jahren baute Sprave Schleudern, er hatte einen handgemalten Katalog, aus dem seine Mitschüler Zwillen bei ihm bestellen konnten, für zwei Mark das Stück. "Aber irgendwann hat einer meiner Kunden eine Scheibe eingeschossen. Der Rektor hat dann nachgeforscht und mein Geschäft geschlossen." Fortan ruhte Spraves Leidenschaft für Schleudern, Bögen und Armbrüste - bis er sie vor wenigen Jahren wiederentdeckte.
Jeden Monat kommt ein Scheck
Ungefähr 800 E-Mails bekommt er inzwischen täglich von seinen Fans, dazu ungezählte Nutzerkommentare, von denen er viele beantwortet. Ein Haufen Arbeit, aber: "Wer bei YouTube erfolgreich sein will, muss auch mit der Gemeinde reden." Inzwischen ist der Deutsche offiziell Partner der Videoplattform, jeden Monat kommt ein Scheck aus den Werbeeinnahmen. Das meiste investiert er nach eigenen Angaben in Material für neue Drehs; die Zeitlupenkamera in der Werkstatt zum Beispiel hat 16.000 Euro gekostet.
Anderes ist deutlich billiger, stammt aus dem Supermarkt oder von Ebay. Holz holt er sich im Baumarkt, meist unbehandelte Fichte, Federmechanismen tüddelt er mit Küchengummi und Schrauben zurecht. Auch das trägt wohl zur Begeisterung bei: Plump wie Tapeziertische sehen manche der Waffen aus, die Sprave aus einfachsten Materialien zusammenfriemelt - und doch funktionieren selbst fitzelige Apparaturen wie der Repetiermechanismus für HB-Bleistifte absolut perfekt.
Nur bei der Klobürsten-Apparatur kommt es zum besagten Zwischenfall. Dazu muss man wissen, dass es sich bei der Waffe eigentlich um ein Abfallprodukt handelt: Sprave hatte mal eine knapp zwei Meter lange Bazooka-Armbrust, mit der man Macheten verschießen konnte. Sah toll aus und wurde bei YouTube zum viralen Hit - "aber die Armbrust war totaler Mist", sagt er. Viel zu gefährlich und zu unzuverlässig. Nachdem er sich beim Schießen den Unterarm aufgeritzt hatte, rüstete er das Gerät auf Pümpel und Klobürsten um. Wohlgemerkt: Klobürsten mit einem fingerlangen Stahlbolzen dran. Schießt Sprave damit aus rund 20 Metern auf seine Holzwand - Fffump! - zischt die Bürste wie ein Dartpfeil durch die Luft und versinkt beim Einschlag tief in der 40 Millimeter starken Eichenplatte. Man braucht eine Zange, um den Bolzen rauszuhebeln.
Gemeinsam spannen wir also die dicken Gummizüge des Apparats, der dazu senkrecht hingestellt werden muss - da löst sich ein Schuss, die Klobürste schlägt in meinen Turnschuh ein, zwischen Sohlenrand und großem Zeh. Millimeterarbeit. Immerhin brauche ich keine Zange, um den Bolzen aus meinem Schuh zu bekommen.
"Da war es sofort mit der Sicht vorbei"
Natürlich kann so was auch mal hässlich ausgehen: Einmal, erzählt Sprave, da hätte er beinahe ein Auge verloren, als sich beim Spannen das Gummi an einer Schleuder löste und ihm ins Gesicht flatschte. "Da war es sofort mit der Sicht vorbei, Krankenhaus, Augenklinik", sagt er. Am Zeigefingerknöchel sieht man außerdem noch gut die Narbe, wo er mal mit der Hand in die Schussbahn geriet. Musste dann auch genäht werden.
Bei mir dauert es auf Spraves Schießstand keine zehn Minuten, bis ich blute. Schuld bin ich allerdings selbst: Gerade hatte mir der Waffenbauer eine Armbrust gezeigt, mit der man Wurfmesser verschießt. Eindrucksvoll war das, bis ich versuchte, so ein Messer mit bloßen Händen aus der Holzwand herauszuziehen. "Das ist der Vorteil an sehr scharfen Klingen", sagt Sprave mit Blick auf den Cut an meinem Mittelfinger. "Wenn man sich dran schneidet, blutet es nie sehr lang."
Deutlich ungefährlicher ist seine bisher erfolgreichste Erfindung: Eine Schleuder, mit der man Kondome auf einen Penis-Dummy draufschießen kann. "Das ist natürlich vollkommen sinnlos und bescheuert, ein Stück Comedy", sagt er. Gedacht war das Teil als lustiger Beitrag zu einem Wettbewerb, den die Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates ins Leben gerufen hatte. Darin rief sie dazu auf, verschiedene Eigenschaften von Präservativen zu verbessern - etwa ihre Abrollfähigkeit. Sprave tat also, was er am besten kann: Er baute eine Schleuder und stellte das Video ins Internet.
4,5 Millionen Klicks bekam der Film mit der Kondommaschine - und bei Sprave landete bald darauf eine Dankeskarte im Briefkasten. Handgeschrieben, von der Bill & Melinda Gates Foundation. Sein Video, heißt es darin, sei die größte externe Quelle für Klicks auf ihren Kondom-Wettbewerb gewesen. Völlig sinnlos sind Spraves Basteleien dann eben doch nicht.