Krimi-Kult "Ich bin die erste Tatort-Leiche!"

Fernsehgeschichte trifft Familiengeschichte: Petra Mahlau spielte vor 39 Jahren eine wichtige Rolle bei der Geburtsstunde des Krimiklassikers "Tatort". In der Auftaktfolge "Taxi nach Leipzig" war sie die erste Leiche. Auch ihr Vater und ihr Bruder waren beteiligt. Jetzt erinnert sich das Trio.
Von Michael Scholten
"Tatort"-Familie Boris, Petra und Nils-Peter Mahlau (v. l.): Leiche auf der Rückbank

"Tatort"-Familie Boris, Petra und Nils-Peter Mahlau (v. l.): Leiche auf der Rückbank

Foto: Michael Scholten

Heute vor 39 Jahren, am 29. November 1970, flimmerte in der ARD die erste Folge der Krimi-Reihe "Tatort" über den Bildschirm: "Taxi nach Leipzig". Hauptkommissar Paul Trimmel, gespielt von dem mittlerweile verstorbenen Walter Richter, untersuchte den Tod eines kleinen Jungen, der mit westdeutscher Kleidung auf einem ostdeutschen Autobahnrastplatz nahe Leipzig gefunden wurde. Die "Tatort"-Reihe und ihre bislang über 70 Ermittler schrieben Fernsehgeschichte, dagegen blieb die Identität der ersten "Tatort"-Leiche ein Geheimnis - bis jetzt: Petra Mahlau, 48, spielte damals im Alter von neun Jahren den toten Bertram Landsberger, der in der zweiten Filmminute exakt drei Sekunden auf der Rückbank eines Mercedes zu sehen war.

Warum übernahm ausgerechnet ein dunkelhaariges Mädchen mit hellblonder Perücke die Rolle des leblosen Jungen? Die Antwort: Weil auch Petras Bruder Boris Mahlau, 44, damals fünf Jahre alt, im selben "Tatort" eine kleine Sprechrolle ergattert hatte. Und weil im Drehbuch zwei ähnlich aussehende Halbbrüder eine wichtige Rolle spielten.

Petra und Boris sind die Kinder des Hamburger Kameramannes Nils-Peter Mahlau, 74, der in den siebziger Jahren viele "Tatort"-Folgen mit Regisseur Peter Schulze-Rohr gedreht hat. So auch die Debütfolge "Taxi nach Leipzig", die am 3. Dezember 2009 erstmals auf DVD erscheint.

"Nicht mit den Augen zwinkern!"

Im Sommer 1970 drapierte Nils-Peter Mahlau für die Filmarbeiten in Hamburg-Rotherbaum seine eigene Tochter als Kinderleiche in einem Auto. "Ich lag auf der Rückbank unter zwei Wolldecken, mein Vater hing mit der Kamera quer über mir, und Regisseur Peter Schulze-Rohr saß auf dem Fahrersitz", erinnert sich Petra Mahlau, die heute als Psychotherapeutin in einer Beratungsstelle arbeitet. "Man hatte mir ganz dick Wimperntusche aufgetragen und einen klaren Befehl gegeben: Nicht mit den Augen zwinkern!"

Eine Gage bekam die Jungdarstellerin für ihren Sekundenauftritt nicht, wohl aber einen Tag schulfrei. Entsprechend groß war die Erwartung aller Mitschüler an der Grundschule Tannenhofstraße in Langenhorn. Doch als der Tag der Fernsehausstrahlung endlich kam, wurde Petra Mahlau doppelt enttäuscht: "Ich durfte den ,Tatort' nicht sehen, weil meine Eltern uns Kinder vorher ins Bett geschickt hatten." Schlimmer noch: "Am nächsten Morgen sagten mir alle Mitschüler, die den Krimi gesehen hatten: ,Du hast gelogen! Du warst nicht im Film, nur Dein Bruder!'" Wegen der blonden Perücke hatte sie keiner erkannt. "Das war ganz schlimm für mich."

Petras jüngerer Bruder Boris durfte in "Taxi nach Leipzig" gleich zweimal auftreten. In beiden Fällen musste er ins Wohnzimmer einer Hamburger Villa stürmen und mit sächsischem Akzent "Papa, Papa, Papa" rufen. "Den Dialekt hat Peter Schulze-Rohr mit mir einstudiert", sagt Boris Mahlau, der heute als Kameramann Dokumentarfilme dreht. Die Honorarabteilung des Norddeutschen Rundfunks zahlte dem Fünfjährigen damals 50 Mark, die in einen Lederfußball investiert wurden. Außerdem folgten weitere Rollenangebote, sodass er als Grundschüler noch in der ARD-Reihe "Sonderdezernat K1" zu sehen war.

Die Mutter stoppte die Filmkarriere

Als Boris Mahlau später in einem Radiohörspiel ein junges Opfer sprechen sollte, das von Hunden zerfleischt wird, oder als Tarzans Filmsohn ins Ausland reisen sollte, legte seine Mutter Evelin ihr Veto ein. "Und damit", sagt Boris Mahlau lachend, "haben meine Eltern mir vielleicht eine große Filmkarriere versaut!"

Die Geschwister Petra und Boris Mahlau sind sich heute einig: "Die ,Tatort'-Dreharbeiten waren für uns kein reines Kinderspiel. Wir wussten, dass wir es gut machen müssen, um vor unserem Vater zu bestehen. Filmemachen galt in unserer Familie immer als eine sehr engagierte Sache."

Nils-Peter Mahlau, seit 1997 in Pension, erinnert sich gern an die Pionierzeit des Krimi-Klassikers: "Ich war ein junger Kameramann, als Peter Schulze-Rohr mich in sein Team holte, um den Film ,Exklusiv!' zu drehen." Dieser Krimi, ebenfalls mit Walter Richter als Kommissar Trimmel inszeniert, lief bereits am 26. Oktober 1969 in der ARD, allerdings noch ohne den legendären "Tatort"-Vorspann. Erst durch die Wiederholung am 11. Juli 1971 wurde "Exklusiv!" ganz offiziell zu einer "Tatort"-Folge erklärt.

Schimanski findet sie "zu vulgär, zu machohaft"

Mit einigen "Tatort"-Regisseuren verband Nils-Peter Mahlau eine freundschaftliche Beziehung. "Bei Peter Schulze-Rohr haben wir gutes Kochen gelernt, außerdem hat er einen Kräutergarten hinter unserem Haus angelegt", sagt das Ehepaar Mahlau. "Und Wolfgang Petersen kam mit Jürgen Prochnow zur Einweihung unseres Hauses in Langenhorn."

Die heutigen "Tatort"-Folgen schaut sich Nils-Peter Mahlau mit ein bisschen Wehmut an: "Es läuft derselbe Vorspann, aber ich habe mit diesen Filmen nichts mehr zu tun. Das gibt mir jedes Mal einen kleinen Stich, weil der ,Tatort' früher ein Stück meines Lebens war. Wenn der Abspann lief, riefen mich einige Kollegen an und gratulierten. Oder ich fand am nächsten Tag Zettel im Dienstfach, auf denen ein Lob für meine Arbeit stand."

Boris Mahlau schaut heute am liebsten Axel Milberg und Mehmet Kurtulus als "Tatort"-Kommissare in Kiel und Hamburg. Seine Schwester Petra schwört auf Ulrike Folkerts in Ludwigshafen und auf das Kölner Duo Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär. Doch ausgerechnet mit dem Ermittler, der bundesweit als beliebtester "Tatort"-Kommissar aller Zeiten gilt, konnte sich die Psychologin niemals anfreunden: Horst Schimanski. "Zu vulgär, zu machohaft", meint die erste "Tatort"-Leiche.

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