

"Unwichtig zu sein, ist ein fantastisches Gefühl", das sagte Mads Mikkelsen vor Kurzem in einem Gespräch mit dem "Guardian". Er sprach über "Arctic", einen neuen Film, in dem er einen in der Arktis verschollenen Forscher spielt. Völlig allein in Feldern von blendend weißem, stummem Schnee.
Gedreht wurde der Film in einem abgelegenen Teil Islands und die Arbeiten waren nicht nur eine schauspielerische Herausforderung. "Der Natur sind wir scheißegal. Es gab einige Aufnahmen, bei denen wir einige Meilen voneinander entfernt waren. Dann kam ein Blizzard und wir wussten, 'Wenn ich jetzt nicht aufstehe, wird keiner mich finden'. Und das ist gar nicht so schlimm. Meine engsten Verwandten, meine Familie, meine Freunde, sie würden traurig sein. Aber der Welt ist das scheißegal."
"Unwichtig zu sein, ist ein fantastisches Gefühl." Nun ließe sich einwenden, dass so ein Satz leicht gesagt ist, für einen wie Mikkelsen, der so "wichtig", also so reich und so berühmt ist. Zwei Dinge, die ja sehr gerne mit "Bedeutsamkeit" verwechselt werden.
Wie man "ein Toter" wird
Aber bei Mikkelsen schwingt in diesem Satz auch eine Sehnsucht mit. Er sagte dem "Guardian" noch etwas anderes: "Ein falsches Wort und du bist ein Toter". Es lohnt sich, diesen Satz genauer anzuschauen. Mikkelsen sagt nicht, dann sei man "tot", sondern "ein Toter" - durch Social Media kann es nicht nur einem Star sehr leicht passieren, "ein Toter" zu werden, also per Tweet oder durch eine unbedachte Äußerung zumindest zeitweise als Supertrottel oder Schlimmeres zu gelten. Fragen Sie Matt Damon.
Natürlich, es ging bei dem Zitat mit dem Toten um #MeToo.
Auch dank dieses Hashtags werden in Sachen Emanzipation und Feminismus gerade mit angemessener Lautstärke und Heftigkeit längst überfällige Debatten geführt und Grenzen verschoben.
Aber wichtige Themen müssen auch besprechbar sein. Zum Lernen, das wissen wir alle, gehört es eben auch, sich manchmal zu melden, im Brustton der Überzeugung etwas total Matt-Damon-haftes zu sagen, das einzusehen und das nächste Mal beim selben Thema vielleicht einen etwas weniger doofen Fehler zu machen.
Raum für Blödheiten
Wenn aber jedes Mal direkt die ganze Klasse aufsteht, mit dem Finger auf einen zeigt, lacht, wütet, verurteilt und man ein paar der Sprüche nie wieder los wird, dann wird nicht nur der eine genau überlegen, ob er noch einmal was sagt, sondern die ganze Klasse. Dann wird aus der Atmosphäre gemeinsamen Lernens eine Atmosphäre des gegenseitigen Taxierens, eine Atmosphäre der Angst.
Wenn Mads Mikkelsen etwas Doofes zum Thema #MeToo sagt, dann lesen das Hunderttausende, wenn es richtig blöd ist, Millionen. Und der arme Mads steht in der Klasse, auf dem Pausenhof, auf der Geburtstagsfeier (wenn er überhaupt eine Einladung bekommt) und wird diesen Fehler einfach nicht mehr los. Er steht da als "tote Person". Deshalb schweigt er im Interview zu dem Thema lieber und macht noch etwas Reklame für seinen neuen Film.
Doch mit jedem, der schweigt, verlieren wir Blickwinkel und Aspekte, die vielleicht noch nicht gesehen oder ausführlich genug verhandelt wurden. Damit sind natürlich nicht die Beiträge der Unverbesserlichen gemeint, die ohne jede Bereitschaft zuzuhören in jede Diskussion den selben ätzenden Halbsatz knallen. Aber auch die #MeToo-Befürworter dürfen sich nicht hinter ihren Argumenten verschanzen. Wir müssen weiter reden und weiter zuhören. Denn jedes Mal, wenn einer schweigt - aus Angst, falsch verstanden oder für eine moderate Doofheit öffentlich bloßgestellt zu werden - stirbt das Thema ein bisschen.
Bei #MeToo sollte uns das nicht egal sein. Deshalb brauchen so wichtige Debatten auch Raum, vielleicht wieder mehr Raum, in dem Fehler und Dummheiten erlaubt sind.
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Ein Kavalier und Gentleman? Kann sein. Zu #MeToo sagt Mads Mikkelsen trotzdem lieber nichts.
In einem "Guardian"-Interview sagte der Schauspieler, ein falsches Wort zu solch einem Thema und man sei eine "tote Person".
In seinem neuen Film "Arctic" spielt er einen in der Arktis verschollenen Forscher.
Matt Damon äußerte sich anfänglich des Öfteren zum Weinstein-Skandal. So sagte er etwa, "dass verdammt viele Typen - die Mehrzahl der Typen, mit denen ich gearbeitet habe - diese Dinge nicht tun". Für diesen eher zur Unzeit kommenden als wirklich boshaften Kommentar kassierte Damon einiges an Schelte.
Was Mikkelsen zu #MeToo denkt? Werden wir vielleicht nie erfahren. Schade. Denn Veränderung braucht Debatte. Und Debatte braucht Offenheit - auf allen Seiten.
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