
Gianna Nannini: "Ich bin eine wandelnde Jukebox"
Mutter mit 54 "Ich muss mich für gar nichts schämen! Ich bin Gianna Nannini!"
Hamburg - Italien feiert 150 Jahre nationale Einheit. Das könnte ein Fest der Freude sein, ist es aber nicht. Nord und Süd sind zerstritten wie eh und je, Berlusconis Eskapaden und Prozesse haben die politische Klasse endgültig demontiert, Mafia und Korruption das Land zu einer Bananenrepublik verkommen lassen, auf die europäische Nachbarn mit Unverständnis und oft unverhohlener Abscheu blicken.
"Bella Italia ist in keinem guten Zustand. Wir müssen ihr dringend ein Kind machen, eins, das in der Lage ist, die Situation zu ändern", sagt Gianna Nannini, eine der berühmtesten Töchter des Landes und bricht in ihr typisches krächzendes Lachen aus.
Kinder sind gerade ein großes Thema für die Sängerin. "Ganz im Ernst: Wir brauchen dringend einen Generationswechsel in Italien", sagt sie und rutscht unruhig auf dem Hotelsofa hin und her. "Die nationale Einigkeit hat es nie gegeben. Und die Regierung Berlusconi ist sicherlich nicht diejenige, die das ändern wird."
Die 54-Jährige ist gerade in Deutschland unterwegs und rührt die Werbetrommel für ihr Album "Io e te", das ein gefälliger Mix ist aus Schnulzen, knochentrockenem Rock und einer wundervoll rauchigen, leicht verschleppten Version von "Volare", dem Gassenhauer ihrer Kindheit, einst geschmettert von Domenico Modugno. Eine Tournee steht an, im Juli wird sie in Deutschland auftreten, an diesem Donnerstag bei der Echoverleihung in Berlin.
In Hamburg residiert die 54-Jährige im eleganten Park Hyatt, in einer Suite, wie es sich für eine Rockröhre gehört. Allerdings schlägt sie hier kein Mobiliar klein und feiert auch keine wilden Partys. Nein, Signora Nannini lässt die Putzfrauen schon vor ihrer Abreise ins Zimmer, weil sie "eh im Konferenzraum ist und die Damen dann schneller fertig sind", wie ihre Managerin versichert.
Das wirkt sympathisch. Wie Nannini selbst, die in den vergangenen Monaten mit nicht enden wollenden Meldungen über ihre späte Schwangerschaft und das Für und Wider von Geronto-Geburten selbst eingefleischten Fans ordentlich auf die Nerven ging. Jetzt sitzt sie da, Lachfalten um die Augen, wach und ausgeruht, unverkennbar im Lot mit sich und der Welt. Immer noch ausdrucksstark, aber nicht halb so zappelig wie früher.
Die dünnen Beine stecken in Knobelbecher-Stiefeln, die sie abwechselnd auf einem Knie ablegt. Überm roten T-Shirt trägt sie ein schwarzes Jackett mit glänzendem Kragen. Am 26. November kam Tochter Penelope auf die Welt, da war die Rockerin 54 und im besten Großmutteralter. Der Aufschrei war groß, die Verwunderung auch, in Italien entbrannte eine Polemik um die Spätgebärende.
Die eigene Tochter als PR-Motor benutzt?
Giorgia Meloni, seit 2008 Sport- und Jugendministerin in Berlusconis Kabinett, beschuldigte Nannini, die Tochter benutzt zu haben, um mehr Platten zu verkaufen. Tatsächlich ließ sich die Sängerin für das Cover von "Io e te" mit nacktem Kugelbauch fotografieren. "Das Cover sollte zeigen, wie es mir damals ging", sagt Nannini, die während der Arbeit an dem Album von ihrer Schwangerschaft erfuhr.
"Eigentlich wollte ich ganz nackt posieren. Ich wollte ein Kunstwerk schaffen." War das denn wirklich nötig? Schließlich haben bereits Dutzende Prominente dasselbe getan, zum Beispiel Demi Moore.
"Aber Demi Moore war viel jünger als ich! Ich wollte damit auch der Meinung entgegentreten, dass eine Frau in fortgeschrittenem Alter kein Kind bekommen darf."
Ministerin Meloni habe einfach nur bei den Katholiken Wahlstimmen einfangen wollen, das sei alles. "Man hat mich benutzt, aber ich mache, was ich will - niemand sagt mir, was ich zu tun habe! Das hat nicht mal bei meinen Eltern geklappt."
Seit Penelope auf der Welt ist, geht es der Musikerin laut eigenen Worten phantastisch. "Schon die Schwangerschaft war wunderbar, aber jetzt fühle ich mich noch besser", so die 54-Jährige. Das Asthma sei weg, der ganze Körper wie runderneuert. Die Kleine sei sehr brav, schlafe sieben bis acht Stunden und lasse sich gern von der Mama in den Schlaf singen: "Ich bin eine wandelnde Jukebox."
"Es ist eine gefährliche Welt"
Für ihre Geburt hat sich Penelope allerdings einen denkbar schwierigen historischen Moment ausgesucht: Erst die Aufstände in den arabischen Ländern, der Krieg in Libyen, kurz darauf die Erdbeben- und Tsunamikatastrophe mit anschließendem Fallout in Japan.
"Es ist eine gefährliche Welt", sagt Nannini. Zweimal war sie 2003 im Irak, begleitete einen Hilfsgütertransport und sah den Krieg. Im Sommer 1995 seilte sie sich aus Protest gegen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll mit Greenpeace-Aktivisten von einem Balkon der französischen Botschaft in Rom ab.
Der Schmerz über die nukleare Katastrophe im japanischen Fukushima ist entsprechend groß. "Ich habe mein Leben lang alles getan, damit das nicht passiert - und was hat es genutzt? In Italien wurde fleißig weiterdiskutiert über den Neubau von Atomkraftwerken, die Meinung der Leute war der Regierung völlig egal." Immerhin: An diesem Mittwoch setzte Italien seine Pläne für den Wiedereinstieg in die Kernenergie aus - für ein Jahr.
Eingemischt hat sich Nannini immer. Aufmerksam verfolgt sie den Protest der Italienerinnen gegen Benachteiligung und das vorherrschende Frauenbild, auch wie dieser "von den regierungstreuen Medien kleingeschrieben wird". Dennoch will sie politisch nicht weiter aktiv werden, weil sie sich als "Frau des gesungenen, nicht des gesprochenen Wortes" versteht.
"Ich muss mich nicht schämen"
Schämt sie sich manchmal angesichts Korruption, Rubygate und Mafia-Verstrickung Italienerin zu sein?
"Ich muss mich für gar nichts schämen! Ich bin Gianna Nannini!", platzt sie heraus. "Jeder Mensch ist anders, eine einzelne Person wie Berlusconi kann niemals ein ganzes Land repräsentieren. Not in my name", fügt sie wütend hinzu.
"Wir müssen unsere Intelligenz einsetzen und die wichtigen Aufgaben nicht an Leute delegieren, die keine besitzen", ist Giannini überzeugt und schiebt einen Stereotyp hinterher, dessen sich so viele in Italien bedienen, die in Regungslosigkeit verharren. "Unsere Politiker sind unfähig - die linken wie die rechten."
Warum aber kandidiert ihr Bruder Alessandro für die Berlusconi-Partei "Volk der Freiheit" (Pdl) für den Bürgermeisterposten in Siena?
Die Frage ist der Künstlerin sichtlich unangenehm. Der Stadt gehe es nicht gut, die Banca Monte dei Paschi, Europas älteste Bank und wichtiger Arbeitgeber in der Region, habe Leute entlassen und weitere drastische Kürzungen angekündigt.
Der Bruder, früher ein erfolgreicher Formel-1-Pilot, heute Unternehmer, wolle helfen. "Er liebt seine Heimatstadt. Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, aber ich habe keinen Einfluss auf ihn." Natürlich habe sie sich aufgeregt, zumal ein Bürgermeister in der Regel wenig zu sagen habe und Berlusconi sowieso auf dem absteigenden Ast sei.
Dröhnendes Rockerlachen, gefolgt von der plötzlichen Erkenntnis: "Außerdem hat sich mein Bruder eigentlich nie für Politik interessiert."