Oprah Winfreys letzte Show Mutter der Lotterwelt und Lebenshilfe
Wie mächtig ist Oprah Winfrey? So mächtig, dass sie den Spielplan der hiesigen Basketball-Liga NBA beeinflussen kann. Eigentlich sollten die Chicago Bulls am vergangenen Dienstag in ihrer Arena auf die Miami Heat treffen. Doch dann wurde die Playoffs-Begegnung vertagt.
Grund: Das United Center, ein Megastadion auf Chicagos West Side, hatte Winfreys TV-Produktionsfirma Harpo blockiert, um dort zwei der letzten "Oprah"-Shows aufzuzeichnen. Also verschob die NBA das Spiel brav auf Mittwoch.
"Das ist Oprah, Mann", grinste Bulls-Star Derrick Rose, der, statt auf dem Basketball-Court zu dribbeln, selber unter den VIP-Gästen der Doppelaufzeichnung sitzt. "Sie kann in dieser Stadt machen, was immer sie will."
Entsprechend überkandidelt ist das Abschiedsspektakel im United Center. Vor mehr als 13.000 Fans strömt eine Armee der Entertainment-Superstars über die riesige Bühne, um Winfrey die letzte TV-Ehre zu geben: Madonna, Tom Cruise, Katie Holmes, Michael Jordan, Halle Berry, Queen Latifah, Will Smith, Stevie Wonder, Patti LaBelle, Jamie Foxx.
US-Nationalpoetin Maya Angelou trägt ein Gedicht vor, Aretha Franklin singt "Amazing Grace", Usher "Oh Happy Day". Beyoncé wackelt mit den Hüften. "Keine Überraschung ist magischer als die, geliebt zu werden", gurrt Tom Hanks als Conferencier.
"Du hast mir Liebe, Unterstützung, Weisheit und vor allem Wahrheit gegeben", sagt Maria Shriver, Noch-Gattin des Ex-Gouverneurs Arnold Schwarzenegger. Shrivers Auftritt - nur Tage, nachdem bekannt wurde, dass ihr Mann mit ihrer Haushälterin ein Kind zeugte und seine Familie nichts davon ahnte - zeigt, wie problemlos Winfrey Pop und Politik vereint.
"Einflussreichste Kulturpersönlichkeit der Welt"
Zumindest mit Winfreys Show-Power ist es nun zu Ende. Die Weihefeierlichkeiten im United Center werden an diesem Montag und Dienstag ausgestrahlt, am Mittwoch folgt das Finale, dann ist Schluss - nach 25 Jahren und mehr als 5000 Episoden.
Nie zuvor ist in den USA das Ende einer TV-Talkshow zu solch einem Event hochgejubelt worden. So etwas gebührt sonst nur Kultserien wie "Lost". Für die Goodbye-Folge blechen Werbekunden eine Million Dollar pro Spot.
Winfreys Macht wurde immer schon in Geld gewogen. Emporgestiegen aus tiefster Armut, ist die 57-jährige Talk-Queen heute Amerikas reichste - und philanthropisch spendabelste - Afroamerikanerin, mit einem Privatvermögen von geschätzten 2,7 Milliarden Dollar. Sie ist ein Phänomen, das Kultur, Gesellschaft, Politik und nicht zuletzt die öffentliche Meinung in den USA nachhaltig bestimmt hat.

Manche halten die Selfmade-Milliardärin sogar für die einflussreichste Kulturpersönlichkeit der Welt - "mehr als jeder Universitätspräsident, Politiker oder Religionsführer", schreibt "Vanity Fair". "Vielleicht mit Ausnahme des Papstes".
Sie sprechen von "Oprahfizierung", vom "Oprah-Effekt". Davon, dass alles, was sie anrührt, zu Gold werde - Bücher, Produkte, Lebenshilfe. Doch am Ende ist alles nur ein schöner Mythos, Ergebnis einer perfekten Inszenierung, dank ihrer täglichen TV-Präsenz.
Fest steht: Kaum jemand hat die öffentliche "conversation" der Amerikaner untereinander und übereinander ausdauernder bestimmt als sie. Ob Diät, Inzest, Wahlen, Filme, Literatur, Gewalt, Rassismus, Schwulenrechte, Religion: Zweieinhalb Jahrzehnte lang steuerte Winfrey den Dialog, begann ihn oft als erste. Das liegt auch an Winfreys Werdegang. Maureen Dowd, Kolumnistin der "New York Times", hält sie für eine "Top-Alpha-Frau".
Beichtmutter der Nation
Winfrey war es, die den öffentlichen Pranger zur Institution gemacht hat. Sie revolutionierte das Genre Talkshow mit ihrer Gabe, selbst feindseligste Gäste um den Finger zu wickeln. Sie brachte andere zum Reden, offenbarte aber nur Ausgesuchtes über sich selbst, so es denn ihrem Image zuträglich war - erst als Beichtmutter der Nation, dann als spirituelle Erdmutter für sinnsuchende Seelen.
Es war ein weiter Weg dorthin. In bitterstem Elend aufgewachsen, überwand Winfrey eine schwierige Jugend, deren Motive sie später oft auch in ihren Sendungen verarbeitete: Vergewaltigung, Missbrauch, mit 14 Mutter eines Babys, das nach zwei Wochen starb.
Sie gab nicht auf. In der Highschool ergatterte sie sich einen Radio-Job, mit 19 moderierte sie die lokalen Abendnachrichten. 1986 führte sie in Baltimore durchs Frühstücksfernsehen, als sie dem legendären TV-Produzenten Michael King auffiel. Der bot ihr eine Million Dollar für eine landesweite Talkshow. Winfrey - gerade mitten in den Dreharbeiten zu Steven Spielbergs "Color Purple" - zögerte. Filmkritiker Roger Ebert überredete sie. Der Deal veränderte ihr Leben.
Thema ihrer ersten Show am 8. September 1986: "Wie man den Mann/die Frau seiner Wahl heiratet." Die Themen waren vulgär und boulevardesk, die Darbietung jedoch anders, gefühlsbetonter als die Trash-Show des zu jener Zeit regierenden Zirkusmeisters Phil Donahue. Winfrey entthronte diesen schnell.
Winfrey war die einzige Frau und einzige Schwarze in einem Feld weißer Männer. Trotzdem war und blieb ihre Show von Anfang an die Nummer eins. "Was ihr an journalistischer Härte fehlt", schrieb "Time", "gleicht sie mit Neugier, Humor und vor allem Mitgefühl aus."
Sie machte den Talk zur Gruppentherapie für die Fans - und später dann, nach ihrem Schwenk vom Trash ins Transzendentale, zum quasireligiösen Erlebnis. Auf dem Höhepunkt schauten in den USA zwölf Millionen Menschen zu.
Sie bat den aidskranken Liberace zum letzten Gespräch. Karrte 67 Pfund Fett ins Studio, ihren jüngsten Diät-Gewichtsverlust. Brach 1993 mit ihrem Michael-Jackson-Interview alle Quotenrekorde. Und als sie 2008 mit Barack Obama auf Wahlkampftour ging, verschaffte sie ihm einer Studie zufolge eine Million zusätzliche Stimmen - und den Wahlsieg.
Infomercials mit Trance-Effekt
1986 gründete Winfrey ihre eigene Produktionsfirma Harpo (Oprah rückwärts), zwei Jahre später handelte sie King und dem Network ABC die komplette Kontrolle über ihre Show ab - und somit über ihr Leben.
Ihre Schenksendungen "Oprah's Favorite Things" waren Infomercials mit Trance-Effekt. Ihr "Book Club" machte aus Ladenhütern Bestseller. "Ich kenne keine Marke, die stärker ist als Oprah", sagte Harvard-Markenexpertin Nancy Koehn der "Businessweek".
Die Yoga-Lehrerin Robyn Okrant lebte ein Jahr lang ausschließlich nach Winfreys Kommerz-Ratschlägen. Ihr Fazit: "Es war unheimlich anstrengend und machte mich sehr traurig." Doch derlei Kritik konnte ihren Durchmarsch nicht verhindern. Als sich Skandal-Biografin Kitty Kelly voriges Jahr ihrem Leben widmete, ließ Winfrey sie von fast allen Networks verbannen.
Ihr Kosmos wird von einem engen Zirkel aus Getreuen gemanagt, die Außenseiter und Störenfriede von ihr fernhalten. Alles, was nicht in Winfreys Image passt, wird totgeschwiegen - etwa Flops wie "Beloved", die von Harpo produzierte Verfilmung des gleichnamigen Kultbuchs von Toni Morrison.
Winfrey riet ihren Fans immer wieder, zu ihrem Alter und ihrem Aussehen zu stehen. Doch ihr Magazin "O" (Auflage: 2,5 Millionen, alleiniges Covergirl: Winfrey) strotzt vor Werbung für Diätpillen, Schlankmachern und Schönheitschirurgie.
Am 1. Januar 2011 debütierte ihr eigenes TV-Network OWN, über das sie ihre Aura nach dem Ende ihrer Talkshow weiter zu versilbern hofft. Trotz einer Reichweite von rund 80 Millionen Haushalten erzielte OWN jedoch mit seinem typischen "Oprah"-Mix aus Lotterwelt und Lebenshilfe bisher nur magere Quoten.
Vorige Woche kam das Krösusmagazin "Forbes" mit seiner alljährlichen Liste der 100 Top-Prominenten heraus. Winfrey - die in den vergangenen sieben Jahren viermal auf Platz eins gelandet war - findet sich da diesmal nur noch auf dem zweiten Rang. Ganz oben: Lady Gaga.