
Schwedens König Carl XVI. Gustaf Ende eines royalen Spießertraums
Die Buchhandlung Hedengrens ist ein edler Tempel für Buchliebhaber der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Hedengrens versteht sich nicht als moderner Buchsupermarkt à la Hugendubel. Daher hatte man dort darauf verzichtet, ein Exemplar der Skandalbiografie "Der widerwillige Monarch" in der Auslage zu platzieren, als das druckfrische Werk am Donnerstag in den Handel kam.
"Trotzdem haben ungefähr 80 Prozent unserer Kunden dieses eine Buch gekauft", seufzt Nicklas Björckholm an der Kasse, nachdem er den Tagesumsatz überschlagen hat. "Es verkauft sich von allein!" Kopfschütteln. Am Ende des Tages ist die gesamte erste Auflage des Buchs im ganzen Land vergriffen.
So einen rasanten Absatz konnte nicht einmal die Millennium-Trilogie von Erfolgsautor Stieg Larsson verzeichnen. Auch ein Henning Mankell müsste vor Neid erblassen. Eine zweite, erheblich höhere Auflage ist bereits im Druck.
Im Vergleich dazu nimmt sich das Heile-Welt-Oeuvre "Unsere Hochzeit" - die offiziellen Erinnerungen von Kronprinzessin Victoria und Prinz Daniel" wie ein Ladenhüter aus, seit Erscheinen vor fünf Monaten gingen nur 1400 Exemplare über den Ladentisch.
Hedengrens liegt an Stockholms schniekstem Platz, dem Stureplan. Hier regiert das Geld die Welt. Tagsüber prägen teure Flagship-Stores schwedischer Designer und schicke Cafés das Straßenbild. Nachts gehört der Platz den "Stureplan-Brats", den reichen und verwöhnten Angehörigen der Stockholmer Oberschicht, zu der auch die Familie Bernadotte zählt - das schwedische Königshaus.
Hier finden sich die einschlägigen Nacht- und Privatclubs, vor denen noch in den frühen Morgenstunden Menschen Schlange stehen, um mit den Reichen und Schönen teuer tanzen und trinken zu dürfen. Und hier am Stureplan spielen einige der saftigsten Szenen des Buchs "Carl XVI. Gustaf - der widerwillige Monarch", das auch amouröse Eskapaden des Regenten zum Thema hat.
"König sein ist kein Job, sondern eine Pflicht, 24 Stunden am Tag"
Seit Tagen schon beherrscht das Thema die Schlagzeilen der Boulevardpresse, zu einer geglückten Lancierung könnte man dem Buchverlag daher gratulieren. Die Autoren Kristoffer Lind und Thomas Sjöberg wollen davon jedoch nichts wissen. Es gehe um mehr als Klatsch - die Frage, ob das Staatsoberhaupt beispielsweise Kontakte ins Kriminellen-Milieu habe, betreffe die nationale Sicherheit. Trivial sei das kaum.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste handelt Kindheit und Jugend des Monarchen im Stile einer konventionellen Biografie ab. Dass die königliche Familie seinerzeit Nazisympathien gehegt haben soll, wird wahrlich nicht zum ersten Mal thematisiert.
Es ist der zweite Teil des Buchs, der die große Aufregung verursachte. Vom Besuch illegal betriebener Nachtclubs ist die Rede, wo die Frauen Handelsware seien und ausgemustert würden, sobald sie zum Sicherheitsrisiko würden.
Mit nie da gewesener Offenheit wird nun die moralische Integrität des Königs in den Medien diskutiert.
Das Buch, heißt es im linksliberalen Boulevardblatt "Aftonbladet", enthalte eigentlich nichts, worüber man nicht schon lange getuschelt hätte, was aber aus Gründen der Staatsraison unpubliziert geblieben sei. Åsa Linderborg, die Kulturchefin von "Aftonbladet" sagt: "König sein ist kein Job, sondern eine Pflicht, 24 Stunden am Tag." Der König müsse ein "moralisches Vorbild für die Untertanen" sein, seine wichtigste Aufgabe "die Bildung einer perfekten heterosexuellen Kernfamilie. Gelingt das nicht, wird die Daseinsberechtigung der Monarchie in Frage gestellt."
Der König und sein "superpeinlicher" Auftritt vor der Presse
Das sind harte Worte für eine Zeitung, die ihre Auflagen gerne mit deftigen Storys über Stars und Sternchen in die Höhe treibt. Oder auch konsequent, denn bislang hatte das schwedische Königshaus als kreuzbraver Spießertraum und Gegenentwurf zum vulgären Lotterleben herzuhalten.
Zuletzt hatte "Aftonbladet" wochenlang in langen Text- und Fotostrecken die Geschichte der Kronprinzessin Victoria und ihres Gatten Daniel zu einer Lovestory Disney'schen Formats hochgejubelt. Wenn der König plötzlich mit offenem Hosenlatz im Stripclub dasteht, passt er natürlich nicht mehr in die Rolle des Heile-Welt-Onkels, die ihm der Boulevard zugedacht hat.
Gunilla Brodrej, Redakteurin beim Konkurrenzblatt "Expressen", spricht beleidigt davon, dass nach der "Hochzeitsvöllerei" nichts als ein verdorbener Magen geblieben sei. Ihr stoße dabei besonders übel die Reaktion des Königs auf das Buch auf.
Hätten Schwedens Journalisten ihm und seiner Familie im Sommer den sprichwörtlichen roten Teppich des Wohlwollens ausgerollt? Bei der schon legendären Elchjagd-Pressekonferenz - am Donnerstag hatte der Monarch, umringt von Reportern, am Rande seiner traditionellen Pirsch in den westschwedischen Wäldern eine verschwurbelte Erklärung abgegeben - sei er ihnen jedoch eine klare Antwort schuldig geblieben.
"Wie nett, so viele von euch hier zu sehen"
Vielleicht ist das der eigentliche Skandal. Denn König Carl XVI. Gustaf antwortete tatsächlich auf keine einzige Frage der 60 Journalisten aus ganz Skandinavien, die ihm ins Unterholz nachgereist waren, um sich nach den vermeintlichen Triebtaten des "widerwilligen Monarchen" zu erkundigen. Unbeholfen und hoch nervös wirkend begegnete der 64-jährige Carl Gustaf, in gedecktes Jägergrün gekleidet, einer wahren Batterie von ausgestreckten Mikrofonen und Kameras - als träte er vor ein Erschießungskommando.
"Wie nett, so viele von euch hier zu sehen," stammelte der Majestät. Er sehe, dass es "ein großes Interesse für ein Buch gibt, das sozusagen mir zu Ehren herausgekommen ist."
Dann machte er noch ein Witzchen über das Hinterteil eines Elchs, dem er nicht habe ansehen können, ob es sich um Männlein oder Weiblein gehandelt habe. Erwartete Carl Gustaf etwa, dass ihm das als Ausdruck seines sexuellen Desinteresses ausgelegt werden würde?
Schließlich: Das Buch habe er noch nicht lesen können, daher könne er es auch nicht kommentieren. Kein Dementi? Nein. Er habe jedoch mit seiner Familie und seiner Frau über den vermuteten Inhalt des Buchs gesprochen: "Wir blättern eine Seite weiter, so wie ihr es mit euren Zeitungen macht. Wir blicken nach vorn. Das wird schön werden!"
Dann verließ Carl Gustaf die verdutzten Journalisten mit den Worten: "Vielen Dank euch allen und bis zum nächsten Mal", drehte sich um und ging davon.
"Ein Buch über Sexgerüchte zu kommentieren, muss extrem daneben gehen"
Der Stockholmer PR-Experte Niclas Lövkvist meint, er habe noch nie erlebt, dass jemand so miserabel mit Medien umgegangen sei. "Das einzige, was dabei herauskommt, ist doch, dass man den Eindruck bekommt, er bestätige indirekt den gesamten Inhalt des Buchs", meint Lövkvist. Die Politologin Jenny Madestam bezeichnet die Situation als "superpeinlich" und glaubt, dass das Verhalten des Monarchen das Vertrauen in ihn erschüttert habe. "Im Wald zu sitzen und ein Buch über Sexgerüchte zu kommentieren, muss extrem daneben gehen", sagt sie. Der König habe doch kompetente Ratgeber, wie könne so was nur passieren?
Die Rhetorikexpertin Elaine Bergqvist will sogar ein indirektes Geständnis aus den verdrucksten Einlassungen des Königs heraushören. "Er deutet damit an, dass seine Familie ihm vergeben habe", sagt sie.
Eine Klage gegen die Autoren strebt der schwedische Hof offenbar nicht an. Bei einem Verfahren müsste der König selbst vor Gericht erscheinen und als Zeuge aussagen. "Dabei könnten peinliche Details herauskommen", meint der Anwalt Percy Bratt.
Eine Stockholmer Kolumnistin, die sich selbst als Republikanerin bezeichnet, empfiehlt, Carl XVI. Gustaf, der seit bald 40 Jahren auf Schwedens Thron sitzt, solle die Krone nun an seine älteste Tochter weiterreichen: "Victoria würde nicht in Stripclubs gehen."