Tod eines Zauberers »Ohne Siegfried gibt es keinen Roy, und ohne Roy keinen Siegfried«

Undatierte Aufnahme von Siegfried und Roy: Duo mit großer Karriere
Foto: imago images / Everett CollectionFünf Mark trennten den Jungen von seinem Traum. Fünf Mark für ein Buch mit Zaubertricks, das er im Schaufenster eines Buchladens in Rosenheim entdeckt hatte. Für ein kleines Kind sollte es, könnte man meinen, im Elend nach dem Zweiten Weltkrieg nichts Überflüssigeres geben. Für Siegfried Fischbacher, geboren 1939, war es das Wichtigste auf der Welt. Und als absurder Luxus unerreichbar – bis er auf dem Gehweg gegenüber dem Buchladen ein Fünf-Mark-Stück fand.
So jedenfalls erzählte Fischbacher gern die Geschichte, wie er zum Zaubern kam. Wie überhaupt die Geschichte von Siegfried und Roy nur darauf zu warten scheint, demnächst in einen atemberaubenden Mehrteiler bei Netflix verwandelt zu werden.
Als der Vater des Jungen endlich – alkoholkrank, gebrochen – aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimkehrte, war Zauberei das Mittel, seine Aufmerksamkeit zu erregen: »Wie hast du das gemacht?«, soll der Vater angesichts eines aus dem Buch erlernten Taschenspielertricks seines Sohnes gesagt haben.
Akzeptiert fühlte sich das Kind in der bayerischen Provinz nie: »Zauberei«, sagte er später einmal, konnte dort »nie mehr sein als ein amüsantes Hobby. Als Beruf wäre es sogar blasphemisch gewesen«. Fischbacher setzte sich schon als Jugendlicher an den Gardasee ab, wo er als Kellner und weiter an seiner Zauberkunst arbeitete.
Ein Gepard an Bord
Der Zug in die Ferne brachte ihn 1960 an Bord des Kreuzfahrtschiffes »Bremen«, wo er als Steward arbeitete. Auf Veranlassung des Kapitäns sollte er bald die Passagiere und Teile der Besatzung mit seinen Tricks unterhalten. Auf der »Bremen« lernte er Roy Horn kennen, der dort als Kellner arbeitete – und Siegfried fragte, ob er nicht auch größere Tiere als »nur« Tauben hervorzaubern wolle.
Roy, geboren als Uwe Ludwig Horn, entstammte ebenfalls einer kriegsversehrten Familie. Was Siegfried in der Zauberei, das fand Roy bei den Tieren. Also ließ er seine guten Kontakte mütterlicherseits spielen und schmuggelte in einem Wäschesack einen lebenden Geparden an Bord. Der Effekt, in diesem ungewöhnlichen Rahmen plötzlich ein noch ungewöhnlicheres Raubtier zu sehen, muss für das Publikum überwältigend gewesen sein.

Siegfried und Roy
Eine Überwältigung, auf der Siegfried und Roy im Grunde ihre komplette, vier Jahrzehnte währende Karriere aufbauten. Bald waren sie komplett für das Unterhaltungsprogramm zuständig. Sie machten sich selbstständig und tingelten durch europäische Hauptstädte. Ihr Erfolg in Monte Carlo, wo sie in den späten Sechzigerjahren die Fürstin begeisterten, brachte ihnen den Ruf ins Epizentrum der Unterhaltungsindustrie.
Las Vegas war damals ein berüchtigtes Pflaster. Es herrschten Frank Sinatra, der schillernde Pianist Liberace, es herrschten Prostitution und die Mafia. Ein amerikanisches Babel, in dem kaum eine Show ohne sexuelle Anzüglichkeiten auskam und, wie ein Casinobesitzer sagte, auch kein Platz für Zauberei sei.
Magie, wilde Tiere und Humor – eine perfekte Kombination
Siegfried und Roy bewiesen das Gegenteil, auch wenn es bis zum endgültigen Durchbruch noch zwölf Jahre dauerte. Ihre Veranstaltungen waren so »over the top« und »larger than life«, wie die Stadt es war – und zugleich verzichteten sie komplett auf die üblichen Anzüglichkeiten. Es gab Magie und wilde Tiere und Humor, eine perfekte Kombination.
Nicht nur war Las Vegas der Gipfel aller Träume für die beiden seltsamen Deutschen. Das Duo wurde immer wichtiger für Las Vegas. Sie leisteten, was kein Nachtklub und kein Casino leisten konnten. Ihr zauberhaftes Konzept zwischen Magie, Exotik und Muscial zog weniger Glücksspieler, mehr gewöhnliche Paare und ganze Familien an – und damit auch in die Stadt. Siegfried und Roy haben geholfen, das Babylon in ein alternatives Disney Land zu verwandeln. Sie waren es, die Spektakeln wie »Cirque du Soleil«, einem David Copperfield oder dubiosen Gestalten wie »Joe Exotic« erst den Boden bereiteten.
Der Nimbus der illustren Entertainer zog auch andere Prominente an, von Elizabeth Taylor bis zu Michael Jackson, der ihnen für ihre Auftritte die offizielle Hymne (»Mind Is The Magic«) schrieb. In einem eigens für ihre Shows konzipierten Theater zogen sie Abend für Abend 1.500 Gäste an, beide Vorstellungen waren stets ausverkauft. Sie tanzten mit Tigern, spielten mit Schlangen und ließen Elefanten verschwinden. Siegfried und Roy spielten Milliarden ein – und wurden selbst märchenhaft reich.
Sexualität passte nicht ins Konzept
Zum »sauberen« Image gehörte auch, dass Fischbacher und Horn ihre Liebesbeziehung nie thematisierten. Wer wollte, konnte sich das denken. Sexualität gleich welcher Orientierung passte einfach nicht ins Konzept. Das Paar ließ sich auf einem »Little Bavaria« genannten Anwesen außerhalb der Stadt nieder, einem Privatzoo wie aus der Fantasie des jungen Roy Horn.
Als Freunde und Geschäftspartner blieben sie auch verbunden, nachdem die Beziehung gegen Ende der Neunzigerjahre in die Brüche gegangen war: »Ich bin der Magier«, sagte Fischbacher einmal über seinen Partner, »aber er ist die Magie«.
Das Märchen endete 2003, als Roy Horn während der Vorstellung von einem Tiger namens Montecore angefallen wurde. Die Magier einigten sich auf die Version, dass Roy zuvor auf der Bühne einen Schlaganfall erlitten habe und das Tier ihn lediglich habe in Sicherheit bringen wollen. Wie beide sich auch außergerichtlich mit Mitarbeitern einigten, die ihnen sexuelle Belästigung vorwarfen. Das Geschäft ging stets vor.
Nach dem Unfall seines Partners machte Fischbacher eine »wilde Zeit« durch, wie er sagte. Es kehrte die Depression früher Jahre zurück, die er mit Rucksackreisen durch Europa und dem Aufenthalt in einem orthodoxen Kloster offenbar erfolgreich bekämpfte.
Bis zuletzt, als Horn im Mai 2020 an einer Infektion mit Covid-19 starb, blieb Fischbacher als Freund und Pfleger an seiner Seite: »Ohne Siegfried gibt es keinen Roy, und ohne Roy keinen Siegfried«, erklärte er nach dessen Tod.
Nun ist Siegfried Roy im Abstand von nur acht Monaten gefolgt. Am 13. Januar starb er in Las Vegas an den Folgen einer Krebserkrankung.