US-Medien und der Weinstein-Skandal Gewusst und verschwiegen

Harvey Weinstein (2013)
Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/ AFPMonatelang hatte Ronan Farrow recherchiert. Mühsam hatte der US-Reporter mehr als ein Dutzend Frauen aufgespürt, die behaupteten, von Hollywoodmogul Harvey Weinstein sexuell missbraucht worden zu sein. Einige waren sogar bereit, das vor der TV-Kamera zu sagen.
Trotzdem lehnten es Farrows Chefs beim TV-Sender NBC im August ab, den explosiven Report zu senden. Warum? "Da müssen Sie NBC fragen", sagte Farrow im NBC-Schwestersender MSNBC kryptisch. Er legte seine Recherchen schließlich dem Magazin "New Yorker" vor, das sie diese Woche veröffentlichte - fünf Tage nach ähnlichen Enthüllungen der "New York Times" .
Der Skandal um den Filmproduzenten Weinstein erschüttert nicht nur Hollywood, wo viele lange Bescheid gewusst haben müssen. Sondern auch die US-Medienbranche: Weinsteins Machenschaften waren auch dort ein offenes Geheimnis - berichtet wurde darüber nicht.
Denn Journalisten standen ähnlich unter Weinsteins Fuchtel wie Stars. Ob aus Angst, Gier oder Sexismus: Bisher ließen sie alle Vorwürfe versanden. "Die Medien sollten einen Blick in den Spiegel werfen", schreibt der "Observer" - der ausgerechnet Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner gehört - und wirft den Kollegen "Feigheit und Komplizenschaft" vor.

Harvey Weinstein: "Genie und Arschloch"
Farrows Odyssee ist ein Beispiel. Der Sohn des Regisseurs Woody Allen und der Schauspielerin Mia Farrow ist freier Mitarbeiter für NBC. Sein Weinstein-Report sei vor Monaten "sendebereit" gewesen, sagt er - samt der brisanten, kompromittierenden Tonaufnahmen der New Yorker Polizei.
"NBC tat alles, um die Story hinauszuzögern", schreibt die Website "Daily Beast" . Schließlich war Weinstein mit dem Mutterkonzern NBC Universal durch lukrative Produktionsdeals verbandelt.
Diese Symbiose verband auch andere Medien mit Weinstein - und sorgte dafür, dass die Gerüchte Gerüchte blieben. "Viele Journalisten wurden von ihm bezahlt, arbeiteten als Berater für Filmprojekte oder als Drehbuchautoren", berichtet die Reporterin Rebecca Traiste ("New York Magazine"), deren Ex-Freund, ebenfalls ein Reporter, einmal von Weinstein verprügelt wurde.
Weinstein vereinnahmte Reporter mit Film- und Buchdeals und steckte ihnen angeblich auch Klatsch über Frauen zu, die ihm gefährlich werden konnten. Den reichten die Gossip-Kolumnisten gierig weiter - aus passivem Schweigen wurde aktive Mittäterschaft.
Video: Audiomitschnitt von sexueller Belästigung
Die Schauspielerin Ambra Battilana Gutierrez zeigte Weinstein 2015 an. Prompt wurde sie in der Boulevardpresse durch den Schmutz gezogen. Vor allem in der "New York Post": Deren "Page Six" diente seit jeher als Auffangbecken für Weinstein-freundlichen Klatsch.
Das ging so bis zuletzt. Margaret Sullivan, die Medienkolumnistin der "Washington Post", enthüllte am Mittwoch , dass jemand ihrer Zeitung vorige Woche "negative Informationen über eine der Weinstein-Anklägerinnen" angeboten habe - kurz vor den ersten Enthüllungen in der "NYT". Zufall?
Reichte das nicht, kamen Drohungen. "Weinstein und sein Anwalts- und PR-Team führten eine jahrzehntelange Kampagne, um diese Storys zu unterdrücken", schreibt Farrow. Auch ihm selbst habe er mit Klage gedroht. Kolumnist Lloyd Grove ("Daily Beast") erinnerte sich, dass Weinstein ihn angebrüllt habe: "Ich bin die größte Drecksau, die du je als Feind haben wirst!"

Harvey Weinstein: Skandal in Hollywood
Selbst die "New York Times" war dagegen offenbar nicht immun. Hollywoodkolumnistin Sharon Waxman schreibt, sie habe bereits 2004 für die "NYT" an einer Enthüllungsgeschichte gearbeitet. Weinstein sei daraufhin in der Redaktion erschienen und habe sich beschwert, während die Schauspieler und Weinstein-Freunde Matt Damon und Russell Crowe bei ihr persönlich interveniert hätten. Der Bericht erschien nie. Das sei für ihn "unvorstellbar", wundert sich "NYT"-Chefredakteur Dean Baquet, der damals noch bei der "Los Angeles Times" war.
Mehr noch: Mit seinen Methoden stand Weinstein nicht alleine. "Sie kaufen Journalisten, sie bedrohen Journalisten", sagte ein Entertainment-Reporter der "Huffington Post" über Hollywood und die Medien. "Sie tun, was immer sie tun müssen."