Live-Spektakel Justiz könnte TV-Übertragung verbieten
Miami - Stundenlang hatte Boris Becker am Donnerstag vor dem Gericht in Miami Dade für den Schutz seiner Privatsphäre gekämpft - vergeblich. In Deutschland, wo ebenfalls Millionen Zuschauer die Verhandlung live mitverfolgten, könnte Becker allerdings wesentlich schneller Erfolg haben. Denn die Live-Übertragung aus dem Gericht in Miami, mit der vor allem der Nachrichtensender N24 am Donnerstag erfolgreich sein Programm bestritt, verstößt möglicherweise gegen deutsches Recht.
Nach Meinung des Berliner Medien-Rechtlers und Anwalts Christian Schertz, der schon zahlreiche Prominente in Presserechts-Prozessen vertreten hat, wird durch die Berichterstattung das Persönlichkeitsrecht Beckers verletzt, weil er zu Details seines Familienlebens, zu seinen Kindern und zu den Vermögensverhältnissen Auskunft geben müsse. Diese Privatsphäre sei aber selbst bei Personen der Zeitgeschichte grundsätzlich geschützt. "Da wird sich für die Einschaltquote über geltendes Recht hinweggesetzt. Schließlich kommt es nicht darauf an, von wo übertragen, sondern wo ausgestrahlt wird." Durch seinen Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen, habe Becker zudem deutlich gemacht, dass er eine Berichterstattung nicht möchte.
In der Freitagsausgabe der "Bild" wurde der Informationschef von Leo Kirchs Sendergruppe Pro Sieben Sat 1 Media AG , Claus Larrass, für seine Entscheidung, auf N24 live zu übertragen, als "Gewinner des Tages" bejubelt. "Sensationelles Live-TV" schwärmte das Boulevardblatt. Doch damit könnte es bald vorbei sein.
Zu erwarten ist, dass Beckers Rechtsbeistände Anfang der Woche versuchen werden, bei einem deutschen Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen die Ausstrahlung zu erreichen, um weitere Live-Übertragungen zu unterbinden. Aus dem Kreis der Anwälte in Miami verlautete, man werde die Angelegenheit nun sehr genau prüfen. Auch der Münchner Anwalt Dierk Burger, der Becker lange vertreten hat, hält eine Einstweilige Verfügung für wahrscheinlich. "Das müsste bei Gericht durchgehen, so klar wie der Fall liegt."
N24 hatte bereits angekündigt, am Montag erneut ab 14.45 Uhr zu berichten, auch RTL will unter dem schmissigen Motto "Becker gegen Becker - der Rosenkrieg live aus Miami" übertragen. Lediglich ARD und ZDF hatten sich mit Hinweis auf geltendes deutsches Recht zurückgehalten. "Da muss man nicht mal juristisch argumentieren, da reicht mir die journalistische Ethik", sagt der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Helmut Reitze.
Interessant ist die Frage der Rechtsmäßigkeit der Übertragung auch vor dem Hintergrund einer Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht am 24. Januar fällen wird. Dort hatte der Nachrichtensender n-tv auf Zulassung von Fernsehkameras im Gerichtsaal geklagt. Bislang wird eine Aufzeichnung von Prozessen durch das Gerichtsverfassungsgesetz unterbunden, um die Angeklagten durch die Anwesenheit von Kameras nicht zu verunsichern und in ihren Aussagen nicht zu beeinflussen.
Die große Mehrheit der Deutschen lehnt die TV-Übertragung ab. In einer Emnid-Umfrage im Auftrag von SPIEGEL ONLINE sprachen sich 89 Prozent gegen Live-Bilder der Anhörung von Boris Becker und Barbara Becker im deutschen TV aus. Nur sieben Prozent sind für eine Übertragung.