Klimaproteste in Lützerath Räumung beendet – aber im Tunnel harren zwei Aktivisten aus

Vom Gelände geschoben: Ein Klimaaktivist in Lützerath
Foto: Federico Gambarini / dpaDie Räumung des Protestdorfes Lützerath am rheinischen Braunkohletagebau ist nach Angaben der Polizei bis auf zwei in einem Tunnel ausharrenden Aktivisten beendet. Wie lange es dauern werde, sie dort herauszuholen, sei völlig unklar, sagte am Sonntag ein Sprecher des Energiekonzerns RWE, dessen Werkfeuerwehr die als »Rettung« bezeichnete Aktion übernommen hat. Am Schacht kontrolliere die Feuerwehr regelmäßig ein Belüftungsgerät. Andere Aktivisten berichteten, den beiden gehe es gut.
Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach war am Freitag in den Schacht hineingestiegen und beschrieb »ein Kellergewölbe, aus dem ein Schacht von vier Metern geht, dann eine Konstruktion in der Waagerechten«. Er sei nicht ganz unten im Schacht gewesen, sondern nur oben, wo es noch halbwegs gefahrlos möglich sei. »Die Konstruktion ist nicht sicher«, so Weinspachs Eindruck. »Was wir gesehen haben für Zug- und Abluft, ist nicht geeignet, dort dauerhaft Sauerstoffversorgung so zu gewährleisten, dass der CO₂-Gehalt nicht zu sehr ansteigt.«
»Es befinden sich keine weiteren Aktivisten in der Ortslage Lützerath«, teilte die Polizei am Sonntag mit. Bereits bis Freitag seien die Gebäude geräumt worden, nunmehr auch die insgesamt 35 »Baumstrukturen« sowie knapp 30 Holzkonstruktionen. Knapp 300 Personen seien aus Lützerath weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei, so die Polizeiangaben. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Mehr als 70 Polizistinnen und Polizisten seien seit Beginn des Räumungseinsatzes am vergangenen Mittwoch verletzt worden. Neun Aktivisten seien mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden. »Glücklicherweise ist niemand lebensgefährlich verletzt worden«, teilte die Polizei mit.
Kontroverse um Gewalttätigkeiten
Die Veranstalter der Anti-Kohle-Demonstration vom Samstag hatten dagegen von mehreren lebensgefährlich verletzten Kundgebungsteilnehmern gesprochen. Nach Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten flogen am Sonntag Gewaltvorwürfe hin und her.
Am Rande der Demo hatten laut Polizei rund 1000 großenteils vermummte »Störer« versucht, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath vorzudringen. Um sie abzuwehren, setzte die Polizei Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen. Nach Polizeiangaben wurden 30 Dienstfahrzeuge beschädigt, davon acht durch abgetretene Seitenspiegel, Schmierereien und Steinwürfe. Außerdem seien 32 Reifen an den Fahrzeugen der Polizei zerstochen worden.
Die Veranstalter der Demo und Sprecher der Lützerather Aktivisten warfen umgekehrt der Polizei Gewaltexzesse vor. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten sagte, es sei eine »hohe zweistellige bis dreistellige Zahl« von Teilnehmern verletzt worden. Darunter seien viele schwer verletzte und einige lebensgefährlich verletzte Menschen gewesen. Die Polizei habe »systematisch auf den Kopf von Aktivistinnen und Aktivisten geschlagen«.
Nach eigenen Angaben ist der Polizei von lebensgefährlichen Verletzungen nichts bekannt. Ein Demonstrant sei am Samstag bewusstlos geworden, man habe ihn sofort versorgt und dann in einem Rettungswagen abtransportiert, sagte ein Sprecher. Lebensgefahr habe nicht bestanden und es habe ebenso keinen Rettungshubschraubereinsatz gegeben, über den Aktivisten berichtet hatten. Von »Legenden« sprach Michael Mertens, NRW-Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), und von einem Einsatz mit »Vorbildcharakter«: Die Polizei habe von Anfang auf ein Deeskalationskonzept gesetzt, das dem friedlichen Protest gegen den Braunkohleabbau viel Raum gelassen habe.
Greta Thunberg: »Ihr seid die Heiligen und die Hoffnung«
Am Samstag war auch Greta Thunberg, Star der Klimabewegung, aus Solidarität nach Erkelenz gereist. Über die Besetzungen als Mittel der Klimabewegung sagte sie im Interview mit dem SPIEGEL: »Was sie hier gemacht haben, war sehr beeindruckend und hat enorme Aufmerksamkeit gebracht. Ich merke auch, dass die internationale Klimabewegung hier sehr genau hinschaut, sich darüber austauscht. Die Aktionen hier haben etwas ausgelöst.«
Die Landschaft um Lützerath bezeichnete Thunberg in einem dpa-Interview als »Mordor« – wie das zerklüftete, baumlose Reich, in dem der englische Schriftsteller J.R.R. Tolkien einst in seiner Fantasiewelt Mittelerde das ultimativ Böse verortete. Als Hauptrednerin einer Kundgebung am Samstag rief sie den Zuhörerinnen und Zuhörern zu: »You are the saints, and you are the hope!« – sie seien die Heiligen und die Hoffnung. Und am Ende auf Deutsch: »Ich sag Lützi – ihr sagt?« – »Bleibt!«, ergänzte die Menge.
Am Sonntagnachmittag tauchte Greta Thunberg noch einmal überraschend an der Kante des Braunkohletagebaus bei Lützerath auf, dick eingepackt mit Mütze und Kapuzenjacke. Ein dpa-Reporter berichtete, sie habe an einer Spontan-Demo teilgenommen und mit anderen Klimaaktivisten gesungen und getanzt.
Ein Polizeisprecher sagte, Thunberg habe kurzzeitig auf einem Wall an der Tagebaukante gesessen. Polizisten hätten sie zu ihrer eigenen Sicherheit aufgefordert, den Wall zu verlassen. Als sie dem nicht nachgekommen sei, hätten die Beamten sie einige Schritte weggetragen, was harmonisch verlaufen sei. Anschließend sei die schwedische Klimaaktivistin ihrer Wege gegangen.