Abschuss über der Ukraine Was Sie zur MH17-Untersuchung wissen müssen

In der Absturzregion wird gekämpft, die Suche nach Opfern der Flugkatastrophe in der Ukraine ist unterbrochen. Wie läuft die Untersuchung von Flug MH17? Warum hört man nichts über die Blackbox-Daten? Die wichtigsten Fakten im Überblick.
Von Rainer Leurs
Trümmerteil von Flug MH17 am Straßenrand: Keine belastbaren Zahlen über geborgene Opfer

Trümmerteil von Flug MH17 am Straßenrand: Keine belastbaren Zahlen über geborgene Opfer

Foto: BULENT KILIC/ AFP

Hamburg/Donezk - Es kommen wieder Flugzeuge aus der Ukraine. Regelmäßig waren in Eindhoven zuletzt Militärmaschinen mit den sterblichen Überresten der Opfer von Flug MH17 gelandet. Am Freitagnachmittag werden nun erneut zwei Transporter erwartet. An Bord sind laut "Algemeen Dagblad" diesmal 135 Experten und Militärpolizisten aus den Niederlanden, Australien und Malaysia .

Es sind jene Einsatzkräfte, die in den vergangenen Tagen an der Bergungsmission in der Ostukraine beteiligt waren. Weil es dort nicht mehr sicher ist, hatte die niederländische Regierung die Arbeiten vorläufig einstellen lassen. Wann die Ermittler in die Absturzregion östlich von Donezk zurückkehren können, ist unklar.

Wie geht es jetzt mit der Rückführung der Opfer weiter? Welche Fortschritte macht die Suche nach dem Verantwortlichen für den Abschuss? Und warum hört man nichts über die Ergebnisse der Flugschreiberanalyse? Hier sind die wichtigsten Fakten zu Flug MH17.

Warum wurden die Daten der Blackbox noch nicht veröffentlicht?

"Wir haben beide Flugdatenschreiber erfolgreich ausgelesen und analysieren jetzt die Aufzeichnungen", sagt Wim van der Weegen, Sprecher des niederländischen Sicherheitsrats OVV, der mit den Ermittlungen beauftragt ist. "Das ist ein Vorgang, der Zeit braucht." Außerdem wolle man die Daten im Zusammenhang mit anderen Informationen betrachten; erst im Gesamtpaket würden die Angaben öffentlich gemacht. "Wir haben uns dagegen entschieden, Teilergebnisse bekannt zu geben", sagt van der Weegen.

Auch die brisante politische Lage spielt bei der Untersuchung eine Rolle. "Es ist davon auszugehen, dass eine internationale Untersuchungskommission in dem vorliegenden Spannungsfeld besondere Zeit aufwenden wird, um ihre Ergebnisse zu präsentieren", sagt George Blau. Er leitet das Flugschreiberlabor bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig (BFU), die ebenfalls an den Ermittlungen beteiligt ist.

Wann wird es einen ersten Untersuchungsbericht geben?

Ursprünglich hatte der OVV geplant, innerhalb eines Monats erste Ergebnisse vorzustellen - so sehen es auch die Regeln der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation vor. Doch wegen der komplizierten Lage in der Ukraine wird sich dieser Zwischenbericht nun verzögern - "um einige Wochen", wie Sprecher van der Weegen sagt. Erst in diesem Dokument gebe es dann eine offizielle Stellungnahme zu den auf den Flugschreibern gespeicherten Daten.

Warum werden die Flugschreiber in Großbritannien untersucht?

Laut van der Weegen gibt es für das Auslesen dieser Geräte weltweit nur wenige geeignete Einrichtungen. "Der OVV hat dazu einen langfristigen Vertrag mit einem britischen Labor abgeschlossen." Die Analyse übernähmen allerdings Mitarbeiter des niederländischen Sicherheitsrats. Nur das Auslesen selbst habe in Großbritannien stattgefunden.

Was passiert mit den Habseligkeiten der Opfer?

Fast alle bisher geborgenen persönlichen Gegenstände sind inzwischen in den Niederlanden. So landete am Donnerstagabend eine australische Militärmaschine vom Typ C-17 "Globemaster" in Eindhoven, an Bord: zehn Transportkisten mit jeweils einem Kubikmeter Fassungsvermögen. Gefüllt waren sie mit Koffern, aber auch mit Schmuck, Kameras, Reisepässen, Terminkalendern, Fotos und Spielzeug.

Gefunden wurden diese Gegenstände laut der Zeitung "De Telegraaf" zum Teil von Anwohnern der Absturzregion, die sie den Einsatzkräften übergaben. Diese hätten aber auch selbst nach Habseligkeiten der Opfer gesucht und für den Transport in die Niederlande gesammelt, sagt Jean Fransman, Sprecher des niederländischen Justiz- und Sicherheitsministeriums. Sie sollen zunächst für Ermittlungen zur Absturzursache und für die Identifizierung der Toten zur Verfügung stehen.

Wie viele Todesopfer liegen noch an der Absturzstelle?

Bisher wurden 228 Särge in die Niederlande geflogen, 298 Passagiere und Besatzungsmitglieder waren an Bord der Boeing 777. Daraus lässt sich allerdings nicht zwingend die Zahl der bereits geborgenen Opfer ableiten. Diese sei schlicht unbekannt, sagt Fransman. Die Toten müssten erst identifiziert werden; so lange gebe es keine belastbaren Zahlen. Die Regierung in Den Haag hofft, dass es in zwei bis drei Wochen so weit ist. Bislang seien etwa 700 DNA-Proben gesichert worden, erst bei 23 der Opfer sei die Identität geklärt. An der Absturzstelle hatten die internationalen Helfer bis zu ihrem Abzug noch regelmäßig Leichenteile gefunden.

Wo sind die geborgenen Todesopfer jetzt?

Nach dem Transport per Flugzeug nach Eindhoven wurden alle Särge in die Stadt Hilversum gebracht. Dort bleiben die Toten laut Ministeriumssprecher Fransman, bis sie identifiziert sind. "Danach werden sie ihren Angehörigen übergeben und in ihre jeweiligen Heimatländer gebracht." Neben 43 Menschen aus Malaysia betrifft das vor allem die 27 Australier, zwölf Indonesier, zehn Briten und vier Deutsche, die sich an Bord von Flug MH17 befanden. Für alle niederländischen Passagiere will die Regierung in Den Haag laut "Algemeen Dagblad" noch vor dem Abschluss der Identifizierungen Totenscheine ausstellen lassen, um den Angehörigen den bürokratischen Aufwand zu ersparen.

Ist inzwischen klarer, wer für den Absturz der Maschine verantwortlich ist?

Nein. Zwar ist relativ unstrittig, dass die Boeing 777 abgeschossen wurde. Es gibt allerdings keine Beweise, anhand derer sich ein Schuldiger eindeutig festmachen ließe. Viele Indizien weisen darauf hin , dass Separatisten im umkämpften Osten der Ukraine Flug MH17 mit einer Boden-Luft-Rakete versehentlich abschossen - zu nennen sind Schrapnellschäden an Trümmerteilen der Maschine, der verräterische Online-Beitrag eines Rebellenführers , frühere Abschüsse von Militärmaschinen und nicht zuletzt Erkenntnisse westlicher Geheimdienste.

Es zeichnet sich ab, dass die Schuldfrage kaum abschließend zu klären sein wird. Zu unübersichtlich sind die Verhältnisse im Absturzgebiet, zu unprofessionell wurde mit Beweismitteln am Boden hantiert - und zu groß sind die politischen Interessen der Beteiligten.

Aufklärung ist in dieser Frage auch vom niederländischen Sicherheitsrat nicht zu erwarten. Man gehe bei der Untersuchung gemäß internationaler Regeln vor, sagt van der Weegen. "Dabei geht es nicht darum, wer die Schuld oder die Verantwortung trägt. Ziel der Ermittlungen ist es, die Absturzursache zu klären."

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