Angebliches MH17-Beweisfoto Karriere einer Fälschung

Vermeintliches Satellitenbild mit MH17 und Kampfjet: "Wer ist die Quelle der Wahrheit, und wer der Vater aller Lügen?"
Foto: REUTERS/ Channel OneEs ist die sprichwörtliche smoking gun: Mit einem spektakulären Satellitenfoto ging das russische Staatsfernsehen am Freitag an die Öffentlichkeit. "Sensationell" sei das Material, das vermutlich von einem ausländischen Spionagesatelliten stamme, hieß es beim Sender Perwy Kanal (Kanal 1). Auf dem Bild angeblich zu sehen: der Abschuss von Flug MH17 durch einen Kampfjet.
Tatsächlich sind Timing und Blickwinkel der Aufnahme aus dem Orbit perfekt, sogar der heiße Abgasstrahl der Luft-Luft-Rakete ist klar zu erkennen. Vom Tisch wäre damit die Darstellung westlicher Regierungen und Geheimdienste, wonach die Boeing 777 von prorussischen Separatisten mit einer Flugabwehrrakete abgeschossen wurde. Das Problem ist nur: Das Foto ist eine Fälschung, und eine ziemlich plumpe noch dazu.
Zahlreiche Luftfahrtexperten und Journalisten haben inzwischen auf die Unstimmigkeiten im Bild hingewiesen. Selbst russische Beobachter finden das Ganze eher amüsant als explosiv - bei Twitter kursieren ulkige Bildchen, die das vermeintliche Beweisfoto aufs Korn nehmen. "Übrigens hat Wladimir Putin gestern ein Foto geschickt vom Abschuss der Boeing. Ein echtes, versteht sich", twitterte zum Beispiel dieser User.
Als Quelle für das Satellitenbild nannte die TV-Sendung "Odnako" am Freitagabend (Ortszeit) einen Mann namens George Bilt. Dieser sei Luftfahrtexperte und MIT-Absolvent; das brisante Material habe er an eine Organisation in Moskau geschickt. Vermutlich stamme das Foto ursprünglich "von einem ausländischen Spionagesatelliten".
Auch SPIEGEL ONLINE bekam Post von Bilt. Seine E-Mail datiert vom 13. November um 6:01 Uhr, sie enthält unter anderem das fragliche Satellitenfoto und einen länglichen Text, in dem Bilt behauptet, den Abschuss von Flug MH17 durch einen Militärjet belegen zu können. "Alle verfügbaren Beweise und Fakten" würden darauf hindeuten. "Hier geht es um den Kampf des puren Guten gegen das pure Böse, der Wahrheit gegen die Lügen", schreibt er, und schließt mit der Frage: "Wer ist die Quelle der Wahrheit, und wer der Vater aller Lügen?"

E-Mail von George Bilt an SPIEGEL ONLINE: "Von Augenzeugen bestätigt"
Hinweismails dieser Art erreichen unsere Redaktion seit dem Absturz von Flug MH17 regelmäßig. Oft sind es längst widerlegte Geschichten zum Abschuss, auf die vermeintliche Experten hinweisen, etwa jene des spanischen Lotsen, der angeblich in der ukrainischen Flugsicherung arbeitete , oder jene des OSZE-Manns, der an den Wrackteilen der Maschine Einschusslöcher eines Bord-MG erkannt haben wollte (im fraglichen Interview gab der Mann nur wenige Sätze später zu, dass er kein Experte ist und das Beschussbild eigentlich nicht beurteilen kann ).
Das russische Fernsehen präsentierte die E-Mail von Bilt als Sensation, mit günstigem Timing zum G20-Gipfel in Australien. Auch im Westen kommentierten diverse Beobachter aufgeregt die Veröffentlichung.
Dabei fasste die Enthüllungswebsite "Bellingcat.com" bereits am Freitag gut zusammen, was an dem Foto nicht stimmt. Hier die wichtigsten Aspekte:
- Das vermeintliche Satellitenbild ist in Wahrheit aus zwei frei verfügbaren Aufnahmen zusammengesetzt, wie sich am Wolkenbild erkennen lässt. Eines entnahm der Urheber bei Google Earth, das andere bei dessen russischem Gegenpart Yandex.com.
- Die abgebildete Passagiermaschine trägt das "Malaysia Airlines"-Logo an der falschen Stelle (zu weit vorn), überdies ist es wohl keine Boeing 777 (sondern eine kleinere 767).
- Die Position des Zivilflugzeugs stimmt nicht mit dem von der Flugsicherung bekannten Kurs überein.
Auch der Absender der E-Mail scheint mit der Entwicklung nicht glücklich zu sein. Auf Anfragen von SPIEGEL ONLINE antwortete George Bilt bislang nicht; "Buzzfeed" allerdings sagte er, er habe das "Satellitenfoto" in einem Diskussionsforum entdeckt und zusammen mit seinen Ausführungen an einen russischen Experten geschickt. "Ich hatte nicht die Möglichkeit, die Echtheit des Bildes zu überprüfen", zitiert "Buzzfeed" den Mann. Er sei schockiert darüber, dass seine E-Mail im russischen Fernsehen als Beweis für die Sichtweise des Kreml benutzt worden sei. "Diese Leute sind entweder verzweifelt oder völlig unprofessionell."
Auf ein anderes, naheliegendes Argument gegen die Echtheit des Fotos allerdings hätte auch er kommen können: Wenn es frei verfügbar ein derart klares Beweisfoto für einen Abschuss durch einen Kampfjet gäbe, hätte Moskau der Weltöffentlichkeit ein solches wohl schon vor Monaten präsentiert.
Stattdessen gibt es noch immer keine klaren Beweise zur Frage, wer für den Abschuss von Flug MH17 verantwortlich ist. Daran ändert auch ein jetzt aufgetauchtes Handyvideo nichts, das offenbar die ersten Momente nach dem Aufschlag nahe einer Siedlung in der Ostukraine zeigt.
Etwas Klarheit bringt womöglich die Analyse der Wrackteile, die inzwischen an der Absturzstelle eingesammelt und zum Transport nach Westeuropa vorbereitet werden. Zumindest das für den Abschuss benutzte Waffensystem sollte sich an ihnen nachweisen lassen. Dann wäre auch das Szenario eines Kampfjetangriffs vom Tisch - diesmal endgültig.
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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, der Text bei "Bellingcat.com" sei am Samstag erschienen. Tatsächlich erschien er bereits am Freitag. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.