

Christopher Boffoli, Jahrgang 1969, ist Fotograf, lebt und arbeitet in Seattle. Sein Portfolio umfasst Arbeiten für Werbekunden und Verlage, aber auch Kunstfotografie. Boffolis bekannteste Bilder stammen aus der "Big Appetites"-Serie, zu Deutsch: Riesenhunger. Die Bilder wurden bislang in mehr als hundert Ländern gezeigt. In Deutschland sind Riesenhunger-Fotos im Großformat vom 13. bis 16. November beim Affordable Art Fair in Hamburg zu sehen.
Was geht Jerome durch den Kopf, wenn er seiner Liebsten einen Antrag in einer Muschel macht? Wie fühlt sich Luc, während er Fußspuren auf einem Pfannkuchen hinterlässt? Und was denkt Patty, wenn sie Furchen in der Schale einer Orange hinterlässt?
Christopher Boffoli weiß es. Er hat Jerome, Luc und Patty erschaffen. Der Fotograf haucht den wenige Zentimeter großen Figuren Leben ein, zumindest ein bisschen. In seinen Bildern werden die Spielzeuge zu Hauptdarstellern, Lebensmittel sind ihre Kulisse. Boffolis Arbeit wurde bereits in mehr als hundert Ländern gezeigt. Nun ist sein Buch "Big Appetites" erstmals in einer fremdsprachigen Version erschienen - auf Deutsch.
Die Fotos verbinden zwei universelle Themen des Menschseins: Essen und Spielen. Das, glaubt Boffoli, macht ihren Reiz aus. Dazu kommt die Umkehr der Größenordnung.
Tage bis zum perfekten Bild
Diese Idee, sagt Boffoli, "ist schon sehr alt, man denke nur an 'Gullivers Reisen'". Ihn inspirierten speziell die Filme und TV-Werbespots seiner Kindheit. "In den Siebzigerjahren wurde das häufig gemacht, vermutlich weil es ein einfacher Spezialeffekt war."
Seit Ende 2002 fotografiert Boffoli Figuren in Lebensmittel-Landschaften. Seine Arbeit beginnt fast immer auf dem Wochen- oder im Supermarkt. Weil er mit Makro-Objektiven fotografiert, ist jedes Detail zu erkennen. "Deshalb bevorzuge ich es, mit frischen und saisonalen Produkten zu arbeiten", sagt er. "Dann muss ich nicht so viel Zeit damit verbringen, die Fehler digital zu beseitigen."
Boffoli ist Perfektionist, in seinen Fotos soll sich die Idealvorstellung einer Erdbeere oder Banane wiederfinden. Manche in der Food-Fotografie übliche Schummeleien lehnt er aber trotzdem ab. Oft werde weißer Klebstoff statt Milch verwendet, Würfel aus Glas statt echter Eiswürfel. Boffoli behauptet, alle Lebensmittel auf seinen Fotos blieben essbar.
Weil auch das Bemalen der Figuren von Hand eine echte Geduldprobe ist, kann es Tage dauern, bis das perfekte Bild vom Schneepflug zwischen Puderzucker-Plätzchen oder vom Liebespaar in einer Muschelschale fertig ist. Echte Schnellschüsse sind die absolute Ausnahme.
Die Figuren als Charaktere begreifen
Die Fotos sind für Boffoli nur die Hälfte der Arbeit. Genauso wichtig nimmt er die kurzen Kommentare zu den Bildern. Manchmal ironisch, manchmal lakonisch, lassen sie aus dem Foto eine Geschichte entstehen. Wenn etwa fünf Figuren in Arbeiterkleidung auf Rigatini-Nudeln sitzen, textet Boffoli: "Trotz ihres rauen Äußeren waren sie wie eine Clique Schulmädchen. Und Harvey war so etwas wie der erste Cheerleader."
"Viele Leute, die diese Arbeit nachahmen, vergessen den Kontext. Die nehmen eine Figur und stecken sie auf ein Stück Kuchen", sagt Boffoli. Man müsse die Männchen als Charaktere begreifen. "Gib ihnen eine Handlung, ein Schicksal. Man muss sich fragen: Was, wenn ich nur 20 Millimeter groß wäre und neben einem riesigen Stück Kuchen stehen würde?"
Boffoli greift mit seinen Figuren große Themen auf. "Beim Thema Lebensmittel geht es um Politik, die Umwelt, Gesundheitsfürsorge, Landwirtschaft, Wissenschaft", sagt er.
Wenn ein Kuchenstück dreimal so hoch ist wie die Figur, die daneben steht, lässt sich das als Anspielung auf die amerikanische Überflussgesellschaft deuten. "Es gibt bei uns riesige Portionen, Donuts zum Beispiel. Einzeln sind sie eine wunderbare Leckerei, aber wir verkaufen sie im Dutzend. Wir wollen mehr, mehr, mehr. Das ist solch eine amerikanische Vorstellung", sagt Boffoli.
Der Autor bei Twitter:
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Schwere Arbeit im Erdbeerfeld: Der Fotograf Christopher Boffoli setzt kleine Figuren in eine Landschaft aus Lebensmitteln - Obst und Gemüse werden zur Kulisse. Zu seinen Fotos stellt Boffoli Kommentare, in diesem Fall: "Weil die Marktpreise wie Raketen stiegen, gerieten Erdbeersamen in die Hände von Wilderern."
Streicharbeiten am Spargel: Im Vergleich zu den kleinen Figuren wirkt das Gemüse wie eine Ansammlung riesiger Stelen. Boffoli schreibt zu dem Foto, Jahre der Ausbildung seien notwendig gewesen, bis die Figuren sich derart anspruchsvoller Arbeit hätten zuwenden können.
Verteidiger des Burgers: Miniatur-Polizisten haben sich hinter einer Barriere aus Pommes frites versteckt. Boffolis Kommentar: "In exakt diesem Moment begriff Larry, dass sich all die Judostunden nun wirklich auszahlen würden."
Grillvergnügen am Eiswaffel-Tipi: Fotograf Boffoli sagt, Miniaturen interessierten ihn schon lange. Zu diesem Foto hat er folgenden Kommentar gestellt: "Der Kopfraum in dem Waffel-Zelt konnte dessen schlechte Performance bei Regen nicht wettmachen."
Kontaminiertes Gelände: Diese Szene könnte auch aus einem Science-Fiction- oder Horrorfilm stammen. Boffoli schreibt dazu: "Es war eine Entdeckung, die sie dazu brachte, das Sortiment ihrer Phobien neu zu sortieren."
Dieser kleine Spaziergänger hinterlässt auf einem Pfannkuchen Spuren: "Luc lernte endlich, der Protagonist seines eigenen Lebens zu sein."
Im echten Leben süße Naschereien - bei Fotograf Boffoli landwirtschaftliche Nutzfläche.
Puh, ganz schön anstrengend: Wenn Puderzucker wie Schnee aussieht, müssen Schippe und Schneepflug ran. Boffoli schreibt: "Sobald man sich freigeschaufelt hat, schiebt der Schneepflug alles wieder zu."
Gewöhnliche Schnittlauchstangen wirken plötzlich wie massive Baumstämme: harte Arbeit für den kleinen Holzfäller. "Howard wurde wegen seiner Präzision und Schnelligkeit bewundert."
Mit der Axt gegen den Blätterkohl: Die Figuren werden von Boffoli handbemalt.
"Was als Internet-Freundschaft begonnen hatte, entwickelte sich zu einem tropischen Tauchtrip unter Freunden": Diese Zeile hat Fotograf Boffoli dem Bild mit den kleinen Tauchern beigestellt.
Glückliches Paar in der Muschel: Man müsse die kleinen Figuren als echte Charaktere begreifen, sagt Boffoli. Das Foto ist mit "Jerome überwand endlich sein Peter-Pan-Syndrom und stellte die Frage" unterschrieben.
Lila, gelb oder grün? Jeder der Miniatur-Köche scheint zu versuchen, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu lenken. Boffoli schreibt dazu: "Wie auf Kommando spielte sich Philippe in den Vordergrund, um das ganze Lob einzuheimsen."
"Trotz ihres rauen Äußeren waren sie wie eine Clique Schulmädchen": Eine Gruppe Arbeiter macht Pause.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden