Missbrauchsskandal
Anglikaner-Oberhaupt attackiert katholische Kirche
Ungewöhnliche Vorwürfe von der Konkurrenz: Erzbischof Rowan Williams, Oberhaupt der Anglikaner, hat den Umgang der katholischen Kirche in Irland mit dem Missbrauchsskandal kritisiert. Der Skandal bedeute den "Verlust jeder Glaubwürdigkeit" und ein "kolossales Trauma".
Rowan Williams: Es ist das erste Mal, dass sich der Erzbischof öffentlich zur Krise in der katholischen Kirche äußerte
Foto: Matt Dunham/ AP
Canterbury - Das Oberhaupt der Anglikaner, Rowan Williams, sorgt mit drastischer Kritik an der katholischen Kirche für Wirbel: Der Missbrauchsskandal sei für die katholische Kirche in Irland ein "kolossales Trauma", durch das sie "all ihre Glaubwürdigkeit" verloren habe, sagte der Erzbischof von Canterbury in einem Radiointerview der BBC. Weil die katholische Kirche in Irland so eng mit der Gesellschaft verbunden sei, sagte Williams weiter, seien die Missbrauchsfälle nicht nur für die Kirche ein Problem, sondern für jeden Iren.
Es ist das erste Mal, dass sich der Erzbischof öffentlich zur Krise in der katholischen Kirche äußerte. Williams sagte, christliche Institutionen hätten sich für das Schweigen entschieden, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. "Wir haben gelernt, dass das Schaden anrichtet, dass es falsch ist, dass es unehrlich ist." Das Interview wurde am Freitag aufgezeichnet und soll am Montag gesendet werden.
Ermittlungen der irischen Behörden haben ergeben, dass die Kirche jahrzehntelang Missbrauchsfälle vertuscht hat. Dabei geht es um Vergewaltigungen und Misshandlungen von Minderjährigen durch Geistliche, insgesamt ist von 14.500 Opfern die Rede. Der Missbrauchsskandal, der von den dreißiger Jahren bis in die neunziger Jahre dauerte, wurde von der weltlichen Justiz aufgearbeitet, nachdem die Opfer geklagt hatten. Papst Benedikt XVI. hatte die Missbrauchsfälle am 20. März in einem Hirtenbrief verurteilt und sein tiefes Bedauern geäußert.
Der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, gab sich "erstaunt": Williams' Äußerungen seien "unqualifiziert" und "ungemein entmutigend" für die Eltern und Priester, die sich in den Gemeinden für eine Erneuerung der katholischen Kirche nach dem Missbrauchsskandal einsetzten. Die anglikanische Kirche hatte sich im 16. Jahrhundert von der katholischen Kirche abgespalten, weltweit gehören der Kirche von England mehr als 70 Millionen Menschen an.
Er habe die Verfehlungen der Kirche in Irland in größter Offenheit angesprochen, teilte Martin auf der Website der Erzdiözese mit. Er habe anerkannt, dass die Kirche missbrauchte Kinder im Stich gelassen habe. Doch diejenigen, die sich für eine Erneuerung innerhalb der katholischen Kirche in Irland einsetzen, "haben diese Stellungnahme an diesem Osterwochenende nicht gebraucht und verdienen sie nicht".
Vatikan distanziert sich von Antisemitismus-Vergleich
Der Vatikan distanzierte sich am Samstag von einem Antisemitismus-Vergleich, den der persönliche Prediger des Papstes wegen des Missbrauchskandals gezogen hatte. Papst-Prediger Raniero Cantalamessa hatte am Karfreitag im Beisein von Benedikt XVI. aus dem Brief eines jüdischen Freundes zitiert: "Die Stereotypen und das Verschieben persönlicher Verantwortung und Schuld hin zu einer kollektiven Schuld erinnert mich an beschämendste Aspekte des Antisemitismus."
"Ich dementiere auf Schärfste, dass dies ein vom Vatikan angeregter Vergleich zwischen dem Antisemitismus und der derzeitigen Situation in Sachen Pädophilie sei", sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi nach italienischen Medienberichten vom Samstag. Es habe absolut kein Angriff auf die jüdische Welt sein sollen und sei auch "kein passender Vergleich", sagte Lombardi. Die "New York Times" ließ auch Roms Chefrabbiner Riccardo di Segni zu Wort kommen, der diesen Vergleich "ungläubig" aufgenommen habe.