Studie zu Islamfeindlichkeit und Fußball Salah, ein Geschenk von Allah

Mohamed Salah betet nach seinem Tor im Spiel des FC Liverpool gegen FK Crvena Zvezda (Archivbild aus 2018)
Foto: Matteo Bottanelli/ ZUMA Press/ imago imagesOb Kevin-Prince Boatengs Kampf gegen Rassismus oder die Causa Mesut Özil: Prominente Fußballer haben Einfluss darauf, wie bestimmte Ethnien und Religionen in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Auch auf die Auseinandersetzung mit schädlichen Stereotypen. Das erscheint einleuchtend - aber kann man es belegen?
Wissenschaftler der Universität Stanford und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich haben sich damit eingehend beschäftigt und wählten als Beispiel den ägyptischen Fußballer Mohamed Salah. Der hat gerade mit Jürgen Klopps FC Liverpool die Champions League gewonnen - und im Finalspiel zum 2:0 auch ein Tor beigetragen.
Die Forschungsfrage lautete: Hat der sagenhafte Aufstieg Salahs zum Liverpooler Starstürmer dazu beigetragen, islamfeindliches Denken und Verhalten zu verringern? Für ihre Untersuchung nutzten die Politologen drei Instrumente:
- Sie analysierten Polizeiberichte über Hassverbrechen, die sich zwischen 2015 und 2018 in 25 englischen Grafschaften ereignet haben. Im Besonderen untersuchten sie die Entwicklung der Hassverbrechen in Merseyside County, wo der FC Liverpool beheimatet ist.
- Sie durchsuchten 15 Millionen Tweets von rund 60.000 Followern der bekanntesten englischen Erstliga-Klubs auf antimuslimische Ressentiments.
- Sie befragten vom Oktober 2018 bis Januar 2019 via Facebook 8060 Fans des FC Liverpool zu ihrer Einstellung zu Muslimen allgemein und zu Salah im Speziellen.
Die Ergebnisse zeigen einen klaren Trend: So sank den Autoren zufolge die Zahl der Hassverbrechen in Merseyside seit Salahs Vertragsabschluss beim FC Liverpool um knapp 19 Prozent - bei etwa gleichbleibender allgemeiner Kriminalitätsrate.
Noch deutlicher fiel das Ergebnis bei antimuslimischen Tweets aus: Bei den Fans von Liverpool sank deren Anteil demnach um mehr als die Hälfte (53,2 Prozent), seit Salah bei dem Verein aufspielt.
Die Umfrageergebnisse legen zumindest die Vermutung nahe, dass die Auseinandersetzung mit Salah als Fußballer Vorurteile abbauen kann, weil die Fans sich dadurch mit einem friedlich praktizierten Islam vertraut machen.

Mohamed Salah im Februar 2018
Foto: Carl Recine / Action Images/ REUTERSDass Salah nach erfolgreichen Torschüssen Allah preist und auf dem Spielfeld den Sudschud, die muslimische Gebetshaltung, einnimmt, war für viele europäische Fußballfans zunächst neu. In den sozialen Netzwerken lässt der Ägypter seine Fans am Fastenbrechen nach dem Ramadan teilhaben, seine Frau beobachtet ganz selbstverständlich im Hidschab die Spiele. Inzwischen scheint beim Publikum eine gewisse Gewöhnung eingetreten zu sein, für den einen oder anderen der Islam wirklich Teil der britischen Gesellschaft zu sein.
Schon ist von einem "Salah-Effekt" die Rede, der auf andere berühmte Muslime übertragbar sei. Der Ägypter ist ein positives Role Model, weil er sozial engagiert, sympathisch und weitgehend frei von Starallüren ist. In seiner Heimat wird er seit Langem als Held verehrt. Imagetechnisch nicht gerade vorteilhafte Besuche bei Despoten wie dem tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow tun der Begeisterung für Salah keinen Abbruch. "Seine charismatische Persönlichkeit könnte dazu beitragen, dass Muslime als menschliche Individuen wahrgenommen werden", schreiben die Autoren der Studie.
Auch begeistert, wenn der Erfolg ausbleibt?
Im April 2019 wurde der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene, schon früh sehr ehrgeizige Kicker in die "Time"-Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten aufgenommen. Die vollmundige Begründung: "Mo Salah ist ein besserer Mensch, als er Fußballspieler ist. Und er ist einer der besten Fußballspieler der Welt."

Salah und Klopp beim Champions-League-Finale gegen Tottenham Hotspur
Foto: REUTERS/Toby MelvilleFC-Liverpool-Trainer Jürgen Klopp begrüßte die Ehrung als "wichtiges Zeichen für die Welt". Die Fans widmeten Salah und seinem Glauben erstaunliche Lobgesänge: "Mohamed Salah ist ein Geschenk von Allah", tönte es durchs Stadion. Der Ägypter treffe immer das Tor, "also bitte nehmt uns Mohamed nicht weg".
Sogar von Konversion sangen die Fans, wenn auch ironisch: "Wenn er noch ein paar Tore macht, dann werd' auch ich zum Moslem. Ist er gut genug für euch, ist er auch gut genug für mich. Mitten in einer Moschee, da will ich sein."
Erfolg, das wird hier sehr deutlich, ist wichtig für die interkulturelle Akzeptanz. Und es ist schwer zu prognostizieren, wie weit es mit der Toleranz her sein wird, wenn dieser für Salah eines Tages ausbleibt. Vielen noch im Ohr ist das verbitterte Resümee des deutschen Nationalspielers Mesut Özil: "Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher, und wenn wir verlieren, bin ich ein Migrant!" Doch die Macher der Studie betonen, "dass der Erfolgsmechanismus allein Salahs Wirkung auf die Islamophobie nicht erklären kann".
Einige Experten befürchten, dass der positive Salah-Effekt nicht von Dauer oder sogar umkehrbar ist, weil die Beziehung zwischen Fans und Prominenten keine echte Interaktion, sondern einseitige Kommunikation ist. Mohamed Salah gibt Interviews, er postet Nachrichten und Bilder in den sozialen Netzwerken, die überwiegend klassisches Image-Konstrukt sind. Salah, der Held, Salah, der Sieger, Salah, der Mutmacher.
Caption included. pic.twitter.com/UFo7LNCTdg
— Mohamed Salah (@MoSalah) May 7, 2019
Ist der beliebte Stürmer also nur ein Einzelfall, nicht übertragbar auf andere? Nein, sagen die Forscher. Beim Teamkollegen Sadio Mané, einem Muslim aus dem Senegal, der ein Jahr vor Salah zum FC Liverpool kam und aus seinem Glauben ebenfalls kein Hehl macht, seien ähnliche Effekte zu beobachten.
In Großbritannien hat die Islamophobie wie in anderen europäischen Ländern seit den Anschlägen vom 11. September 2001 stetig zugenommen. Zwischen 2017 und 2018 erreichten die Ressentiments einen vorläufigen Höhepunkt: Einer Umfrage des YouGov-Cambridge Centers zufolge stimmten mehr als 55 Prozent der Teilnehmer der Aussage zu, dass der Islam mit den britischen Werten nicht vereinbar sei.
Vor allem aus Südasien stammende Muslime werden den Autoren zufolge auf dem Arbeitsmarkt und in anderen gesellschaftlichen Bereichen in Großbritannien weiter diskriminiert. Umso hoffnungsvoller blickt man auf Vorbilder wie Salah und Mané.