Münchner "WirtshausWiesn" eröffnet Ozapft is… mit Hindernissen

Das fängt ja gut an: Zwei Schläge - und noch ein paar mehr - brauchte Münchens Ex-Oberbürgermeister Ude fürs traditionelle Anzapfen. Auch sonst ist auf der Wiesn, die keine echte Wiesn ist, nichts wie gewohnt. Erste Eindrücke.
Münchner in traditioneller Tracht auf der leeren Theresienwiese: Start der "WirtshausWiesn" 2020

Münchner in traditioneller Tracht auf der leeren Theresienwiese: Start der "WirtshausWiesn" 2020

Foto: ANDREAS GEBERT / REUTERS

Das Münchner Oktoberfest, größtes Volksfest der Welt, fällt in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie aus. Gefeiert wird aber trotzdem, nicht auf der Theresienwiese mit bis zu sechs Millionen Gästen, wie sonst, sondern in mehr als 50 Gaststätten, "WirtshausWiesn" nennt sich die Ersatzveranstaltung. Auf der echten "Wiesn" blieb es am Samstagvormittag, zum Zeitpunkt des traditionellen ersten Bierfassanstichs, ruhig. Kein Wunder: Ein Alkoholverbot soll wildes Feiern verhindern und somit das Infektionsrisiko verringern.

Dafür hieß es am Samstag um Punkt 12 Uhr in vielen Wirtshäusern der Stadt "Ozapft is!" Der frühere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), seinerzeit Anzapfkönig, stach im Schillerbräu im Bahnhofsviertel an - mit zwei Schlägen - und noch "einer Handvoll weiterer", wie er zugab. Der Zapfhahn saß nicht richtig, am Boden bildete sich eine Bierpfütze. Nach den ersten beiden Schlägen habe er vorsichtshalber noch sechs nachgesetzt. Zuletzt hatte Ude 2013 angezapft - mit zwei Schlägen. Er war der erste Münchner OB in der Wiesn-Geschichte, der das geschafft hatte.

Anzapfen mit Mund- und Nasenschutz: Münchens Ex-Oberbürgermeister Ude brauchte im Gasthaus Schillerbräu mehr als zwei Schläge für das erste Bierfass

Anzapfen mit Mund- und Nasenschutz: Münchens Ex-Oberbürgermeister Ude brauchte im Gasthaus Schillerbräu mehr als zwei Schläge für das erste Bierfass

Foto: Felix Hörhager / dpa

Vielleicht lag es am Fass - und an den besonderen Umständen, dass Ude nachschlagen musste. An diesem Samstag war es mit 20 Litern eher klein (der traditionelle Wiesn-"Hirschen" fasst mehr als 200), dafür sei es aber "frisch durchgeschüttelt" gewesen, wie Ude sagte. Es war kurz vor dem Anzapfen aufgestellt worden - bei der echten Wiesn passiert dies tags zuvor, das Fass wird dann nicht mehr bewegt. Der amtierende Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), dessen Job das erste Anzapfen eigentlich gewesen wäre, feiert heute nicht. Er werde etwas wehmütig an den Anstich denken, habe aber keine Alternativen geplant. Alle, die trotzdem feiern wollten, bat er um Einhaltung der Corona-Regeln, sagte Reiter.

Wie beim ersten Mal, anno 1810

Die Innenstadtwirte wollen bis zum 4. Oktober wenigstens ein bisschen Feststimmung schaffen. In den Gaststätten gibt es das originale Wiesnbier, Hendl, Haxn, Brezn und teils auch live gespielte Blasmusik. Zahlreiche Oktoberfest-Fahrgeschäfte sind bereits seit Wochen über das Stadtgebiet verteilt in Betrieb. Die Münchner Gastronomie knüpft mit dieser notgedrungenen Light-Version an das allererste Oktoberfest von 1810 an. Damals wurde zwar auf der Theresienwiese eine königliche Hochzeit mit Pferderennen gefeiert. Gegessen, getrunken und gesungen wurde aber in den umliegenden Wirtshäusern.

Auf der Wiese ertönten um 12.00 Uhr immerhin vereinzelte "Ozapft is!"-Rufe. Einige kleinere Grüppchen hatten sich versammelt. Unter anderem picknickte eine Gruppe von Wiesnbedienungen in Tracht mit Cola-Mix und alkoholfreiem Radler unterhalb der Bavaria. Die "WirtshausWiesn" sehen sie kritisch. "Das ist ein Schmarrn", sagte Nicolai Schmidt, der normalerweise in einem der Festzelte gearbeitet hätte, der dpa. Der Münchner Polizei zufolge, die laut einem Sprecher mit 60 Personen im Einsatz war, blieb bisher alles ruhig.

Klimademo statt Wiesn-Wahnsinn

Den freien Platz nutzte das Netzwerk Klimaherbst für eine Demonstration unter dem Motto "Einzug der Klimaheld*innen". Mehr als 100 Menschen nahmen teil. Zum bunten Tross gehörten unter anderem eine elektrische Kutsche, auf der junge Frauen in Tracht tanzten, ein Esel, Bäume in Bollerwagen, als Kühe verkleidete Menschen sowie Kinder auf Fahrrädern. Auf dem Wiesngelände schrieben die Demonstrierenden - begleitet von Festmusik - ihre Thesen zu Tierschutz, Klimagerechtigkeit und einer ökologischeren Zukunft mit Kreide auf den Asphalt. Die Teilnehmer trugen großenteils Mund-Nasen-Schutz und achteten auf Abstände.

Angesichts der in Bayern, aber auch bundesweit steigenden Corona-Infektionszahlen mehren sich in München auch kritische Stimmen zur "WirthausWiesn". Auf Twitter gibt es unter anderem Kritik daran, dass nach dem Überschreiten des Signalwerts von 50 Corona-Infizierten pro 100.000 Einwohner ältere Schüler am Montag in München mit Maske in der Schule sitzen müssten, am Wochenende aber in den Wirtshäusern gefeiert werde. "Die Kinder müssen sich einschränken, die doofe WirtshausWiesn darf stattfinden", schrieb ein Nutzer. Ein anderer fand es "unverantwortlich", die Veranstaltung in der aktuellen Situation nicht abzusagen.

Oberbürgermeister Reiter hatte engmaschige Kontrollen angekündigt und will am Montag einen Krisenstab einberufen. Dem Bayerischen Rundfunk sagte Reiter: "Ich glaube nicht, dass wir weitergehende Maßnahmen schon am Montag treffen werden. Sondern da müsste schon der Wert entweder deutlicher steigen oder über längere Zeit über 50 bleiben." Der kritische Grenzwert, ab dem verstärkte Infektionsschutzmaßnahmen gelten, wurde in München am Freitag mit 50,7 pro 100.000 Einwohnern überschritten. Als Konsequenz hat die Stadt zunächst die Maskenpflicht im Unterricht an weiterführenden Schulen verlängert.

Reiter mahnte die Gastwirte am Samstag: "Achten Sie bitte stets auf die Einhaltung Ihres Schutz- und Hygienekonzepts - Maskenpflicht, Abstandsgebot und alle weiteren Vorgaben der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Sie haben es vor allem auch selbst in der Hand, weitere Einschränkungen durch die notwendige Sensibilität und Achtsamkeit zu verhindern." Auch Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner rief seine Mitbürger im Bayerischen Rundfunk zu Achtsamkeit auf: "Geht in das Wirtshaus eurer Wahl, egal ob zu Hause oder in München, geht nicht auf die Wiesn, feiert im Wirtshaus, das ist einfach besser." Wer beim Konsum oder Verkauf von Alkohol auf der Theresienwiese erwischt wird, muss mit einem Bußgeld rechnen.

Die einzige - kleine - Menschenschlange bildete sich am Samstagmittag nicht wie gewohnt vor den Festzelten auf der Wiesn, sondern vor der Corona-Teststation unter der Bavaria. Ansonsten gehörte das Gelände am Samstagmorgen vor allem Joggern und Spaziergängern.

bor/dpa

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