Terrorakt oder Amoklauf – Die Dynamik der Angst

Foto: Sven Hoppe/dpa

Dieser Beitrag wurde am 24.07.2016 auf bento.de veröffentlicht.

Erst tötete er neun Menschen, dann erschoss er sich selbst: Der Amoklauf eines 18-Jährigen in München  ließ am Freitagabend Deutschland stillstehen. Plötzlich war sie ganz nah die Gewalt – und mit ihr die Unsicherheit.

Lange war die Lage unklar, die Polizei sprach zuerst von einem "Terrorverdacht" , später von einer "akuten Terrorlage". In einem ersten Statement verurteilte der französische Staatschef François Hollande den "terroristischen Angriff" als "neuerliche schändliche Tat". Später sprachen die Ermittler dann wieder von einem Amoklauf.

Aber was ist eigentlich der Unterschied?

Was ist eine Amoktat?

Das Wort "Amok" kommt aus Malaysia und bedeutet so viel wie "rasend" oder "wütend" (Kriminalitätslexikon ). Als Amoktat wird entsprechend gewertet, wenn ein Täter in blinder Wut andere Menschen angreift. Es ist also eher ein psychologischer Begriff (SPIEGEL ONLINE), der Täter arbeitet meist ohne konkretes Ziel, seine Opfer sind willkürlich. Es geht um maximalen Schaden.

In der Regel ist der Täter zu Fuß unterwegs, dann sprechen wir von einem Amoklauf. In seltenen Fällen wählt er ein Fahrzeug für sein Vorhaben, dann sprechen wir von einer Amokfahrt.

Was ist ein Terrorakt?

Das französische "terreur" steht für Angst und Schrecken – und das ist auch das Ziel eines Terroristen (Kriminalitätslexikon ). Wenn er tötet, will er damit für Angst bei den Überlebenden, für Schrecken in der Gesellschaft sorgen. Nicht die Tat ist wichtig, sondern das, was von ihr in Erinnerung bleibt.

Ein Terrorakt ist demnach eine kriminelle Handlung mit politischer oder religiöser Motivation, er richtet sich gegen Staaten, Organisationen oder Gesellschaften. Die Europäische Union definiert  unter anderem Mord, Erpressung, Geiselnahme und gezielte Anschläge als Terrorakte – aber auch Versuche, die Bevölkerung eines Landes einzuschüchtern oder Staatsstrukturen zu schwächen.

Oft ist unmittelbar während oder nach einem Gewaltakt nicht klar, ob er einen terroristischen Hintergrund hat. Manchmal trifft auch beides zu: Innenminister Thomas de Maizière hatte die Axt-Attacke in Würzburg "im Grenzgebiet zwischen Amoklauf und Terror" eingeordnet (SPIEGEL ONLINE) – weil hier ein Einzeltäter zwar mit politischer Motivation, aber wohl auch aus psychologischer Verwirrung handelte.

Foto: Sven Hoppe/dpa
Die Grenzen zwischen Terrorakt und Amoktat sind fließend. Am Ende bleibt Gewalt.

Vor allem die Verbreitung von Terrormeldungen, Handyvideos und (echten oder vermeintlichen) Bekennerstatements in Echtzeit löst bei vielen das Gefühl einer größeren Bedrohung aus. Die Gefahr ist auch so nahe, weil sie via Facebook und WhatsApp nun erstmals erlebbar ist. Angst infiziert uns direkter.

Genau das nutzt am Ende Hasspredigern und Fundamentalisten – egal welcher politischen Strömung. Rechte Hetzer sehen sich in ihrem Hass bestätigt. Islamisten profitieren von der Angst, ihnen reicht oft schon ein Tweet, um neuen Schrecken zu erzeugen.

Es entsteht ein Klima, das die Wütenden und Verzweifelten dazu animiert, Probleme mit größtmöglicher Gewalt zu lösen. So, wie es vielleicht auch der Amokläufer von München schließlich tat.

Wie reagierten Islamisten auf den Amoklauf in München?

Eine große Mehrheit der sich im Netz bewegenden Islamisten schwieg zur Tat: Offizielle Kanäle des IS meldeten sich nicht, auch unter häufig von Islamisten benutzten Hashtags blieb es in der Nacht zum Samstag ruhig. Für gewöhnlich bejubelt die Islamistenszene Gewaltakte sehr schnell und bezeichnet sie als von ihr inspirierte Taten.

Lediglich einzelne Personen bezeichneten den Amoklauf als islamistische Tat. Vor allem auf einschlägigen Messengerdiensten verbreiteten sich Gerüchte über Attentäter und mehrere Anschlagsorte – die sich später aber alle als unwahr herausstellten.

Und wie äußerten sich rechte Hetzer?

In der rechten Szene war vielen schon während des noch laufenden Polizeieinsatzes klar, um was es sich handeln muss: einen islamistischen Terrorangriff.

Auch einige rechtspopulistische Politiker schlachteten die Gewalttat für Stimmungsmache und Wahlkampf aus. So machte der AfD-Vorsitzende von Sachsen-Anhalt direkt Kanzlerin Merkel und ihre Flüchtlingspolitik für die Gewalttat verantwortlich.

Und auch ein sächsischer CDU-Abgeordneter brachte Flüchtlinge ins Spiel. Später löschte er seinen Tweet:

Die "Süddeutsche Zeitung"  zog das richtige Fazit: "Rechtspopulisten blamieren sich mit München-Kommentaren."

Wie gefährlich rechte Parolen sein können, zeigt auch eine Analyse zu Terrorakten von Europol: Die Europäische Polizeibehörde macht als Hauptgrund für den Anstieg der Gewalttaten  zwar den IS verantwortlich. Doch auch rechtsextreme Hetze hat zu dieser Steigerung beigetragen. Vor allem die "gewaltsame Sprache" vieler rechter Parteien und Organisationen im Netz befeuere potenzielle Attentäter: "More violent offences, including murder, may increasingly occur in the future." (Europol )

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