
Explosionen in Munitionsdepot: Vlachovice kommt nicht zur Ruhe
Tschechisches Munitionslager außer Kontrolle Alle paar Tage eine Explosion
So hat sich Zdeněk Hověžák die Adventszeit nicht vorgestellt. Er ist Bürgermeister von Vláchovice, 1400 Menschen leben hier am Fuße der Weißen Karpaten, im äußersten Osten Tschechiens.
Eigentlich eine ruhige Gegend. Eigentlich. In diesen Tagen fahren Panzerfahrzeuge auf, Hubschrauber mit der Aufschrift "Czech Air Force" landen auf dem Sportplatz, über 450 Soldaten sind dabei, eine Kommandozentrale und ein Feldlager zu errichten.
Hověžáks Gemeinde liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem gigantischen Pulverfass, in dem es seit zwei Monaten immer wieder knallt. Zwei Hallen im staatlichen Munitionslager Vrbětice sind bereits explodiert, zwei Sicherheitsmänner kamen ums Leben.
Halle 16 flog am 16. Oktober in die Luft: Eine private Firma lagerte darin 50 Tonnen Munition, Fliegerbomben, Granaten, Maschinengewehrmunition. Seither versuchen Pyrotechniker und Soldaten vergeblich, die Explosionen zu stoppen. Vláchovice und andere Gemeinden wurden mehrfach evakuiert. Am 3. Dezember explodierte eine weitere Halle. Seither schließt die Polizei auch eine absichtliche Sprengung nicht mehr aus.
Das hochexplosive Material soll teils abtransportiert, das Gelände gesichert werden. Nur müssen aus Sicherheitsgründen neun Tage ohne Explosion vergehen, damit die Sicherheitskräfte das Areal betreten können. Doch es knallt immer wieder, zuletzt am Mittwoch.
Die Menschen in Vláchovice fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Nach mehreren Wochen gab Verteidigungsminister Stropnický zu, dass im Areal chaotische Zustände geherrscht haben. Die Armee vermietet das Lager an private Waffenhändler. Laut dem Minister sollen dort Autorennen und Jagden stattgefunden haben. Nun ist Bürgermeister Hověžák nach Prag gereist, um über das Schicksal seiner Gemeinde zu verhandeln. Auf den Internetseiten seiner Gemeinde wünscht er den Anwohnern eine ruhige Adventswoche.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hověžák, was spielt sich momentan in Ihrem Dorf ab?

Bürgermeister Zdeněk Hověžák
Foto: Martin NejezchlebaHověžák: Im Moment richtet sich dort die Armee ein. Sie bauen ihr Feldlager auf und bringen ihre Gerätschaften in Stellung.
SPIEGEL ONLINE: Beruhigt das die Anwohner?
Hověžák: Manche ja, sie sind froh, dass die Regierung nun endlich ihr Versprechen einlöst und das Gebiet abriegelt, dass nun Soldaten mit der neuesten Technik anrücken. Für andere ist es eher beunruhigend. Die Armee ist ein Fremdkörper, das weckt weitere Emotionen.
SPIEGEL ONLINE: Welche?
Hověžák: Wir sind alle sehr nervös. Mit dem, was passiert ist, hat niemand gerechnet. Keiner wusste, was sich in dem Lager befindet. 2006 ist die Armee weggegangen, seitdem wird das Lager an private Firmen vermietet. Damals hätte eine neue Bauabnahme stattfinden müssen, alles hätte kontrolliert werden sollen. Das ist nicht passiert, stattdessen wurde eine Gesetzeslücke ausgenutzt und geschlampt. Das Areal gilt noch immer als Militärgebiet. Es gab nie Kontrollen, noch nicht einmal die Feuerwehr wusste, was sich dort abspielt. Einen Krisenplan haben wir erst jetzt erstellt.
SPIEGEL ONLINE: Als das zweite Lager explodierte, was ging Ihnen da durch den Kopf?
Hověžák: Ich war im Rathaus. Weil das Lager hinter einem Hügel ist und wir gut isolierte Fenster haben, habe ich die Explosion gar nicht gehört. Dann rief der Bürgermeister aus dem Nachbardorf an und fragte: Was ist da schon wieder los bei euch? Als ich auf die Straße raus bin, sah ich die Rauchwolke. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein, die sollten das doch unter Kontrolle haben.
SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist denn die Gefahr für die Anwohner?
Hověžák: Ich kann das nicht mit Sicherheit einschätzen, aber ich habe Pläne der Armee gesehen. Wir und zwei weitere Gemeinden befinden uns im Gefahrengebiet, deshalb sind wir auch evakuiert worden. Keiner weiß im Moment, ob es noch zu weiteren Detonation kommt. Aber wenn ja, dann besteht auf jeden Fall Gefahr für uns. Ich beruhige die Menschen damit, dass die Soldaten jetzt an erster Front stehen. Das sind Spezialisten, die alles dafür tun werden, dass es nicht erneut zu einer großen Explosion kommt. Schon allein, um ihre eigene Haut zu retten.
SPIEGEL ONLINE: Was haben die Politiker in Prag für die Leute in Ihrer Gemeinde getan?
Hověžák: Als am 16. Oktober das erste Unglück geschah, haben wir sofort mit meinen Bürgermeister-Kollegen einen offenen Brief geschrieben und die Regierung aufgefordert, etwas zu unternehmen. Zunächst hat das niemanden interessiert. Erst als langsam Informationen zu Tage kamen, wie viel und was alles dort gelagert ist, fingen die Politiker an zu handeln.
SPIEGEL ONLINE: Wann glauben Sie wird wieder Normalität in Vláchovice einkehren?
Hověžák: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Weihnachten ist jedenfalls gestrichen. Eigentlich sollte das Material abtransportiert werden. Darauf haben sich alle sehr gefreut, aber so einfach wird das nicht werden. Eine Firma lagert allein 4000 Tonnen Munition bei uns. Das ist mehr als die Hälfte der Gesamtmenge im Lager. Ein Vertreter der Firma sagte mir, dass das bis zu 280 Lastwagen füllt. Der Abtransport würde fast ein Jahr dauern.