Mutmaßlicher Kindesmissbrauch "Ich war zum Schweigen verdonnert"

Peter R. ist einer der Jesuiten-Patres unter Missbrauchsverdacht, Wilfried Otto wurde als Diakon einer Hildesheimer Gemeinde sein Nachfolger. Er wusste von den Vorwürfen - und hat geschwiegen. Wie viele andere. Jetzt quält ihn sein damaliges Verhalten.
Von Birte Schmidt
Peter R. steht unter Missbrauchsverdacht: "ein echter Eigenbrötler"

Peter R. steht unter Missbrauchsverdacht: "ein echter Eigenbrötler"

Foto: DER SPIEGEL

Peter R. ist in seiner ehemaligen Gemeinde "Guter Hirt" noch immer präsent. Auf einem Flipchart vor dem Eingang zum Pfarrhaus zum Beispiel, einem roten Backsteingebäude in einer Seitenstraße in Hildesheim, lädt die Gemeinde zum "Sozialen Mittagstisch". Eine Idee von Peter R. "Peter R. hat viele Spuren in unserer Gemeinde hinterlassen", sagt Wilfried Otto. Auch gut verborgene. R. steht unter dem Verdacht, Kinder und Jugendliche missbraucht zu haben.

Wilfried Otto, 57, ist seit zwölf Jahren Diakon in der Gemeinde in Hildesheim und trat 1997 die direkte Nachfolge R.'s an. "Ich wusste, dass es um Missbrauchsvorwürfe ging", gibt er heute zu. Gesagt hat er damals nichts. "Ich war zum Stillschweigen verdonnert." Während er das sagt, funkeln seine blauen Augen und das Gesicht wird rot. "Und ich weiß, ich hätte die Bombe damals platzen lassen sollen."

Tatsächlich wirkt Otto nicht wie einer, den man so leicht zum Schweigen bringt, im Gegenteil: Der Vater zweier Kinder ist ein stämmiger Kerl, mit lauter, eindringlicher Stimme, starkem Händedruck, festem Blick. Einer, den nichts so leicht aus der Fassung bringt. Einer, der sich wehrt. "Vielleicht hätten die Opfer meine große Schnauze gebraucht", sagt er. Doch Otto hat geschwiegen.

Der Diakon kennt Peter R. seit den frühen Achtzigern, aus seiner Zeit in Göttingen, wo er als Jugendreferent arbeitete. R. war zu gleicher Zeit dort als Pater beschäftigt. "Ich habe ihn als sehr schwierigen Menschen erlebt, mit dem Zusammenarbeit nicht möglich war", sagt der studierte Sozialpädagoge. "Ein echter Eigenbrötler."

Pater R. war in Niedersachsen aufgetaucht, nachdem er die Berliner Jesuiten-Schule Canisius-Kolleg wegen Missbrauchsvorwürfen hatte verlassen müssen.

R. blieb bis 1989 in Göttingen, danach wirkte er in der Gemeinde "Guter Hirt" in Hildesheim. Dort wandte sich 1993 eine Mutter mit einem Brief an Josef Homeyer, seinerzeit Bischof von Hildesheim, in dem sie von sexuellen Übergriffen auf ihre 14-jährige Tochter berichtete. Ihr Schreiben blieb ohne Konsequenzen. Erst vier Jahre später, 1997, veranlasste eine junge Erzieherin eine weitere Versetzung des Paters.

"Ich weiß nicht, ob man mir geglaubt hätte"

In Hildesheim trat Otto die Stelle von R. an und übernahm damit ein schweres Erbe. Er habe "aufräumen" wollen in der Gemeinde und damit begonnen, den "Klüngel um Peter R." aufzulösen. Zahlreiche Mitarbeiter verließen die Gemeinde in den folgenden Monaten. Die Öffentlichkeit aber suchte Otto damals nicht. "Ich weiß nicht, ob man mir geglaubt hätte, wahrscheinlich hätten sie mich rausgeschmissen."

Es sei ein stiller, schweigender Kampf gewesen, sagt er. Otto forderte eine Therapie für den mutmaßlichen Täter, knüpfte an sein Schweigen die Bedingung, dass R. in anderen Gemeinden keine Jugend-Freizeiten mehr begleiten durfte. Er habe alles getan, sagt Otto, was damals in seiner Macht stand. Heute weiß er: "Gereicht hat es nicht."

Denn auch später, in der Gemeinde St. Maximilian Kolbe in Hannover-Mühlenberg, hatte Pater R. offenbar weiter mit Jugend-Freizeiten zu tun. Als Otto 2003 davon erfuhr, übte er schließlich Druck auf seine Vorgesetzten aus. Die Folge: R. ging vorzeitig in den Ruhestand. "Damals war der Fall für mich erledigt, ich hatte gehofft, dass endlich Ruhe einkehrt", so Otto.

Die Ruhe kam und hielt, fast sieben Jahre lang, bis jetzt. Otto vergleicht die Situation heute mit einer Käseglocke: "Jetzt nimmt da einer den Deckel hoch und guckt, welcher Käse stinkt." Trotzdem sei er froh, dass alles rausgekommen ist - und bietet seine Hilfe an: "Jeder, der jetzt ins Grübeln kommt, findet in mir einen Ansprechpartner."

Denn viele, so glaubt Otto, würden bestimmte Situationen mit R. aus der heutigen Perspektive neu bewerten, sich auch fragen, welche Rolle sie dabei überhaupt gespielt haben.

Pater R. selbst ist für eine Stellungnahme seit mehr als einer Woche nicht zu erreichen. Im Gespräch mit Vertretern des Berliner Canisius-Kollegs bestritt er sämtliche Missbrauchsvorwürfe.

Und Wilfried Otto, was geht in ihm vor?

"Rechtlich trage ich keine Verantwortung, aber moralisch?", fragt er und sein sonst so fester Blick weicht aus. "Hätte ich anders handeln können und sollen?"

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