Nachruf auf die "Paris Bar" Schlechte Luft mit Walz und Sander
Berlin - Als "Berlins bekanntesten Promi-Treffpunkt" kannte man die "Paris Bar" an der Kantstraße 152, doch jetzt sind die Insolvenzverwalter bestellt. Kaum hatte sich die Nachricht herumgesprochen, machte sich in der Stadt eine Depression breit, als habe das einzige Nachtasyl plötzlich und unerwartet dicht gemacht. "Wohin wollen wir jetzt gehen?", fragen sich in einem anschwellenden Bocksgesang die Promis der Stadt, als hätten sie weder ein Haus noch einen Bausparvertrag.

"Paris Bar" an der Kantstraße: Alles, nur kein Lokal
Foto: DDP
"Bild"-Kolumnist Franz Josef Wagner, der in der "Paris Bar" zum Mobiliar gehörte, ist nicht nur "persönlich betroffen", er ist so verzweifelt, dass er sich gleich mit der Grammatik anlegt. Der Tod seiner Stammkneipe sei "nicht weniger trauriger" als ein wirklicher Tod. "Wenn eine Stammkneipe stirbt, dann stirbt ein Freund." Die "Paris Bar" war Wagners "Zuhause", sie war ihm "Mutter, Vater, Freundin, Bruder".
Auf seine Art hat Wagner Recht. Die Paris-Bar war alles, nur kein Lokal, das man essenshalber besuchte. Das Essen war eine Zumutung, der Service eine Katastrophe, auf die Bedürfnisse von Sado-Masochisten zugeschnitten. Die Gäste wurden behandelt wie Woolworth-Kunden beim Sommerschlussverkauf. Sie machten Männchen oder krochen unter den Tischen, um eine Bestellung aufgeben zu können. Fragte man sie, warum sie trotzdem immer wieder in die "Paris Bar" gingen, antworteten sie: "Wegen der Atmosphäre".
Die Atmosphäre bestand zu 95 Prozent aus schlechter Luft und zu fünf Prozent aus der Freude, im selben Raum mit Schauspieler Otto Sander und Starfriseur Udo Walz sitzen und am nächsten Tag auf der Gesellschaftsseite der "Berliner Zeitung" lesen zu können, gestern seien Udo Walz und Otto Sander in der "Paris Bar" gewesen. Zur besonderen Atmosphäre gehörte auch, dass man die "Paris Bar" mit jenem Gefühl im Magen verließ, das in den armen Gegenden Afrikas vor der Nahrungsaufnahme normal ist. Weswegen die "Paris Bar"-Aficionados umgehend zur nächsten Curry-Bude am Ku'damm eilten, um nicht hungrig in die Kissen zu fallen. Es waren dieselben Promis, die man bei jeder Unicef-Gala zugunsten Not leidender Kinder beim solidarischen Schlemmen und Schlürfen erleben konnte.
Heimatlos in Berlin
Nun sind sie heimatlos. Wo werden sie Zuflucht suchen? Im "Ottenthal" nebenan? Unmöglich, keine Atmosphäre. Im "Einstein"? No way, das ist auch teuer, aber man wird satt. Bleibt nur eine Option: das "Ambrosius", wo es die gleiche Art von Essen (Blutwurst, Rouladen, paniertes Schnitzel mit Grünkohl) zu einem Bruchteil der Preise gibt. Nur an der Atmosphäre müsste noch gearbeitet werden, denn bislang wird das "Ambrosius" vor allem von Rentnern und Studenten besucht.
Das Ende der "Paris Bar" ist nicht die erste Katastrophe dieser Art, mit der Berlin fertig werden muss. Als vor Jahren das Schiller-Theater geschlossen wurde, war auch die Todesglocke zu hören. Theaterfreunde aus der ganzen Republik eilten nach Charlottenburg, um sich mit den Schiller-Leuten zu solidarisieren und vor einem "Abstieg in die Barbarei" zu warnen, denn so habe auch das Dritte Reich angefangen, mit Maßnahmen gegen die Kultur. Eine bekannte Schauspielerin riss sich das Bundesverdienstkreuz vom Hals und warf es in die demonstrierende Menge.
Solche Reaktionen sind bis jetzt bei den "Paris Bar"-Paten ausgeblieben. Weder Franz Josef Wagner noch Sabine Christiansen haben sich mit selbst gebastelten Plakaten ("Die Paris-Bar muss bleiben! Wehret den Anfängen!") vor dem Lokal postiert.
Übrigens: In dem Haus, aus dem die "Paris Bar" bald ausziehen muss, um möglicherweise einem Fast-Food-Lokal Platz zu machen, hat mal Carl von Ossietzky gewohnt. Aber das wissen nur die wenigsten Berliner.