NPD-Aussteiger vor Gericht Abrechnung mit einem Abtrünnigen

Rechtsextremismus: Die NPD will einem Aussteiger Redeverbot erteilen
Foto: dapdEs waren vier Worte, die einen Punk aus Jena fast das Leben kosteten. "Good Night, white Pride", rief er in einer Sommernacht im Jahr 2006, als er mit einem Freund über die Fußgängerbrücke lief, die nahe am sogenannten Braunen Haus, dem Sitz des NPD-Kreisverbands Jena, vorbeiführt.
Die Rechtsextremen saßen im Garten am Lagerfeuer, tranken "Braunen" und hatten schon ordentlich einen intus. Der Ausruf des jungen Mannes - für die Neonazis eine "Zecke" - scheuchte den Mob auf. Ein Dutzend stürmte auf die Straße, griff sich den Punk und prügelte wie von Sinnen auf ihn ein. Die Frauen feuerten die betrunkenen Männer an: "Zieht ihn aus! Macht ihn nackig!" Die Gruppe gehorchte, schlug den nackten Mann krankenhausreif und verbrannte seine Kleidung.
Passanten riefen die Polizei. Als der Staatsschutz die Teilnehmer der rechten Lagerfeuerparty später befragte, schwiegen die meisten. Uwe Luthardt schwieg nicht. Er war damals Vorstandsmitglied im NPD-Kreisverband, trug entsprechende Symbole an seiner Jacke, zu Hause hing eine Fahne der Partei.
Der Vorfall hatte ihn zutiefst schockiert. Er sagte als Zeuge aus - gegen seine Gesinnungsgenossen. "Mit solchen Leuten", wie er heute sagt, wollte er nichts mehr zu tun haben. 2007 trat Luthardt aus der Partei aus.
Die Rache kam zwei Jahre später. Der Staatsschutz klingelte an Luthardts Haustür. "Herr Luthardt, kommen Sie mal runter", rief ein Beamter. Luthardt ahnte Übles. "Ich zieh mal besser die Jacke an", sagte er zu seiner Ehefrau. Unten wuchtete ein Mann die Schiebetür eines Transporters auf, Luthardt kletterte ins Innere, Schiebetür zu.
"Diesen Kriminellen muss das Handwerk gelegt werden"
Erst in der anschließenden Vernehmung erfuhr er, worum es ging: Einen Tag zuvor war das Interview erschienen, das er dem Journalisten Christoph Ruf zwei Jahre zuvor gegeben hatte. Darin behauptete Luthardt, dass Aussteiger von Parteimitgliedern bedroht würden und die NPD von national gesinnten Deutschen aus Südamerika Spenden bekäme. "Die spenden dann beispielsweise an irgendeinen mittelständischen Betrieb. Und die leiten den Betrag dann wiederum an die Partei weiter." Außerdem gäbe es im "Braunen Haus" einen Raum mit Waffen und hinter verschlossenen Türen singe man "gerne das Horst-Wessel-Lied".
Alles Lüge, sagt die NPD und verlangte von Luthardt, eine Unterlassungserklärung abzugeben, die Aussagen zurückzuziehen und keine weiteren Interviews zu geben. Doch Luthardt weigert sich. "Wenn ich das zurücknähme, würde das bedeuten, ich hätte gelogen - aber das habe ich nicht. Diesen Kriminellen muss das Handwerk gelegt werden."
Die Partei - vertreten durch den früheren NPD-Chef Udo Voigt beziehungsweise den stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Frank Schwerdt - klagte gegen Luthardt. Seit drei Jahren zieht sich das Verfahren vor dem Landgericht Gera hin. Und wer der Verhandlung an diesem Donnerstag beiwohnte, weiß spätestens jetzt: Ein Ende ist nicht in Sicht.
Im Saal 49, einem Raum so groß wie ein Wohnzimmer, gestrichen in Wartezimmer-Gelb, begegnete Luthardt seinen ehemaligen Partei- und Gesinnungsgenossen. Gisa Pahl, eine bekannte Szene-Anwältin, lässt sie im Namen der NPD als Zeugen auftreten, um Luthardt als Lügner zu entlarven.
"Vielleicht mal einen Hitlergruß"
Einer von ihnen ist das NPD-Mitglied Hans-Jürgen Buhler. "Wie Nebenbuhler", erklärt der 68-Jährige dem Richter. Der pensionierte Maurermeister aus Jena trägt ein schwarzes Nadelstreifensakko und Bürstenhaarschnitt. Ja, es gebe Jugendliche im Kreis um das "Braune Haus", "die trinken, Krach machen und verfassungsfeindliche Symbole" auf Kleidung und Haut tragen. Aber mehr nicht.
Gut, "vielleicht haben dummdreiste Jungs mal einen Hitlergruß gemacht, aber das Horst-Wessel-Lied, das kenne ich nicht mal", sagt Buhler. Auf die Frage, ob Ralf Wohlleben - einst NPD-Funktionär und mutmaßlicher Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) - Luthardt bedroht habe, antwortet der Zeuge: "Der Ralf war ein ruhiger Geselle." "Warum war?", hakt Richter Michael Kaufmann nach. "Weil er doch gerade inhaftiert ist", sagt Buhler verwundert.
Es ist nur einer von vielen Momenten, in denen sich der Eindruck aufdrängt, Richter Kaufmann habe sich so intensiv mit dem Fall beschäftigt wie die Passanten, die vor dem Gebäude die Straße überqueren. Auch Fragen wie "Wieso standen Sie neben wem bei was?" gehören zu seiner Art der Aufklärung. Klingelt ein Handy während der Sitzung, ist es nicht das eines Zuschauers, sondern sein eigenes. Ungeniert zieht er es aus der Brusttasche seines weißen Hemdes und beschäftigt sich damit. Die Verhandlung - die reinste Farce.
"Keine falschen Rechenschaftsberichte"
Auch Stefan Köster, Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern, sagte am Donnerstag aus. Ein hochgewachsener Mann mit Brille, der verurteilt wurde, weil er bei einer Wahlkampfveranstaltung auf eine junge Demonstrantin losging. Fernsehaufnahmen des Politmagazins "Panorama" belegten, wie er mit drei anderen auf die am Boden Liegende eintrat. Köster war Schatzmeister der NPD. Spenden aus Südamerika gebe es nicht, sagte der 38-Jährige und betonte: "Die NPD hat keine falschen Rechenschaftsberichte abgelegt."
Als dritter Zeuge setzte sich Maximilian L., 37, vor den Richter. Ein winziger Mann mit tiefliegenden Augen, Boxernase und kurzen, blonden Haaren. Der gelernte Fleischer hat das "Braune Haus" an den NPD-Kreisverband Jena vermietet. Er müsste das Haus am besten kennen, aber von einem Raum mit Waffen wusste er nichts. "Den habe ich nie gesehen", beteuerte er.
Weder Schlagstöcke, Schlagringe, Baseballschläger noch Sturmmasken, die nach Angaben Luthardts dort gelagert wurden, seien ihm je untergekommen. Die Waffenkammer soll im Raum hinter der Kneipe gewesen sein. "Das könnten nur die Speerattrappen gewesen sein", so L.
Wer für Donnerstag geladen war, aber nicht erschien, war André K., eine Neonazi-Größe in Jena. Er hatte mit den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sowie dem inhaftierten Ralf Wohlleben die "Kameradschaft Jena" gegründet. "Tja, keine Ahnung, wo der ist", zuckte die NPD-Anwältin mit den Schultern. "Dann müssen wir den eben noch mal laden", sagte ebenso gleichgültig Richter Kaufmann und schloss die Verhandlung erleichtert mit den Worten: "Das ging ja schneller als gedacht."